IV. Selbstständigkeit

Selbst stehen, sich selbst bewachen, selbst ernähren. Rettung des wahrhaft Weiblichen. Aufhebung der Geschlechtsvormundschaft.

[48] Selbstständig kann schon dem Sprachgebrauch nach nur sein, wer selbst zu stehen vermag, d.h. wer sich selbst auf seinen eigenen Füßen und ohne fremde Beihülfe erhalten kann.

Den Frauen zu dieser Art der geforderten Selbstständigkeit zu verhelfen ist der wichtigste Schritt – für alles Uebrige brauchen wir dann kaum noch weitere Forderungen zu stellen, kaum zu kämpfen – es wird von selbst folgerichtig kommen.

Freilich werden sich durch den Grundsatz, der jede Frau für selbstständig erklärt, welche die Fähigkeit besitzt sich selbst zu ernähren, – ein Grundsatz, der sich ganz von selbst durch die erweiterten Gelegenheiten, von einer solchen Fähigkeit immer besseren Gebrauch zu machen, in das bürgerliche Leben einführen wird, – auch die bürgerlichen Gesetze modeln müssen. Denn – diese gebieten nicht über die Verhältnisse, sondern sie unterliegen ihnen: d.h. wenn der Fortschritt mächtig genug geworden, neue Gesetze und Gerechtsame für diese und jene Einrichtung zu erheischen, werden dieselben auch in's Leben gerufen, nicht durch brutale Willkür, sondern durch den gereiften Volkswillen, der das überlebte Alte nicht mehr duldet und das bessere Neue zur Geltung bringt, wenn auch langsam und kämpfend, nur Schritt vor Schritt, das neue Gebiet erobernd. So gut wie der Zunftzwang allmälig überall fiel, als er sich überlebt hatte und die Gewerbefreiheit an seine Stelle trat, so gut wie überall die Zollschranken[48] fallen, so gut werden auch alle die Schranken allmälig beseitigt werden, welche jetzt noch die Frauen in ihrer Selbstständigkeit, in ihren Rechten beschränken, sobald man nur einmal eingesehen hat, daß die Frauen verdienen selbstständig zu sein, weil sie es sein wollen und durch eigene Kraft sich schon dasjenige Maaß davon selbst errungen haben, das man ihnen nicht gewaltsam vorenthielt. Und so wird sich vorerst auch die Stellung der Frauen im täglichen Verkehr etwas anders gestalten müssen, als sie jetzt im Allgemeinen noch ist.

Wir haben uns dabei mehr mit den gebildeteren Ständen zu beschäftigen. Denn nur in ihnen gilt es noch häufig als Norm, daß ein junges Mädchen stets unter den Augen der Mutter leben müsse, daß es nicht ohne ihre oder irgendwelche Begleitung eines älteren Wesens sich auf der Straße zeigen dürfe; auch von der verheiratheten Frau wird es häufig unpassend gefunden, wenn sie ohne Beisein ihres Mannes mit andern Männern redet oder für sich allein spazieren geht, selbst die Wittwe, selbst das alternde Mädchen erregen Befremden, wenn sie es wagen, allein spazieren, in irgend ein Conzert, wo man ohne Sperrsitz Platz nehmen muß, oder in irgend ein öffentliches Gartenlocal zu gehen, und das Alleinreisen der Damen ist erst seit neuester Zeit – Dank dem Beispiel der in dieser Beziehung vorurtheilslosen Engländerinnen und den gar zu vermehrten Reisegelegenheiten! – nichts ganz Unerhörtes mehr, wird aber von vielen Seiten noch immer bedenklich gefunden. Man läßt es allenfalls gelten, wenn eine Dame allein von Süd- nach Norddeutschland oder umgekehrt reist, um daselbst Bekannte zu besuchen oder mit irgend einem bestimmten Zweck – daß sie aber allein reist um zu reisen, eine Rhein-, Schweiz-, oder welch andre Gebirgsreise immer zu machen, das findet man eben nicht sehr passend. Soll die Verwunderung darüber nur ausdrücken, daß es langweiliger sei eine Vergnügungsreise allein zu machen als an der Seite eines befreundeten Wesens, so müßte man auch über den Mann sich wundern, der eine solche Reise allein unternimmt – aber das geschieht durchaus nicht. Und dabei sollte man doch bedenken, wie gerade unter Männern die Kameraderie so viel leichter ist wie unter Damen,[49] wie viel schneller zwei Männer sich ohne gêne zusammenfinden und sich aneinander schließen als Damen, denen schon das angeborne Zartgefühl nicht gestattet z.B. ein Zimmer mit einer Dame zu theilen, die nicht ihre intimste Freundin ist u.s.w. Wozu noch kommt, daß es wenigstens zur Zeit noch viel weniger selbstständige Damen giebt als Männer, welche die Mittel zu einer Vergnügungsreise erübrigen können – Mittel, nicht groß genug um etwa eine Begleiterin frei zu halten – und daß darum auch viel seltener zwei befreundete Damen zugleich Reisepläne und noch dazu dieselben haben, wie zwei befreundete Männer. Und doch giebt es kein reineres, kein zugleich dauernderes Vergnügen als das, welches eine Reise zu gewähren vermag. Denn die schönen Eindrücke, die wir durch die Wunder der Natur und die Werke der Kunst empfangen, bleiben uns für's Leben und die Erinnerung daran wird durch nichts getrübt, wie es so oft die Erinnerungen an andere glückliche Stunden und Zeiten werden, wenn die Personen, mit denen wir sie verlebten, uns geraubt sind, sei es durch den Tod, sei es durch Wandlungen noch bittrerer Art. Und darum sind auch jetzt gerade mit vollem Recht ältere alleinstehende Damen so viel auf Reisen, weil sie dabei ein Glück empfinden, das auf keiner Täuschung beruht und vielleicht die einzige Entschädigung für ein berufsloses Leben ist. Aber selbst solche Damen, die Jugend und Schönheit und alle Ansprüche derselben hinter sich haben, daß man sie allenfalls ruhig ohne Begleiterin reisen sieht, dürfen es kaum wagen mit einem Begleiter zu reisen – obwohl es doch so natürlich wäre sich für fremde Gegenden und gegen fremde Menschen, mit denen das Reiseleben in Berührung bringt, einen Beschützer zu wünschen – es werden sich immer noch Splitterrichter finden, die das als unpassend bezeichnen, was doch gerade das ganz Passende wäre, da wir ja die Männer ohne Widerrede als das »starke Geschlecht« bezeichnen, als die naturgemäßen Beschützer des weiblichen! Es bürgt keineswegs für die Sittlichkeit einer Nation oder Gesellschaft, wenn man in den natürlichsten und einfachsten Dingen etwas Anstößiges findet! wenn man jedes Zusammenkommen von Personen zweierlei Geschlechts beargwohnt, jede Freundschaft zwischen ihnen – selbst dann, wenn beide[50] schon Jugend und Liebe hinter sich haben – als ein unpassendes Verhältniß bespöttelt, wohl gar als ein unsittliches darstellt und verurtheilt. Solche Verurtheilungen und Beargwohnungen, die namentlich in Deutschland zur Tagesordnung gehören, zeigen nur, was es mit den schönen Redensarten von den Männern als den natürlichen »Beschützern« des weiblichen Geschlechts, der reinen Jungfräulichkeit, die ihre sicherste Waffe in sich selbst hat, der innern Würde der Frauen denn eigentlich für eine Bewandtniß hat! All' dem entgegen sagen solche Beargwohnungen, die meist zu den niedrigsten Verleumdungen wachsen: die Männer sind nicht die Beschützer der Frauen, sie sind ihre Verfolger und gerade gegen sie ist Schutz vonnöthen – die Jungfräulichkeit hat keine andere Waffe als die der Flucht, des Versteckens hinter Schloß und Riegel – die Würde der Frauen ist keine innere, die überall sich gleich bleibt, sie ist nur eine äußere, an die Niemand mehr glaubt, sobald der für ihre Aufrechterhaltung nöthige Apparat: häuslicher Heerd, Familie und Geschlechtsgenossinnen, einmal nicht mehr an ihrer Seite ist!

Die gerühmte Sittsamkeit der deutschen Mädchen und Hausfrauen erscheint sonach als nichts Anderes als das Resultat eines stets auferlegten Zwanges, des Fernhaltens jeder Gelegenheit dawider zu verstoßen – sie ist im besten Falle die Unschuld eines ungeprüften, stets beaufsichtigten Kindes, das die Mutter nicht eher von ihrer Hand los ließ, bis sie ihr Aufsichtsrecht einem Gatten übertragen konnte – im schlimmeren das erzwungene Product einer fast unerträglich befundenen Sklaverei, das sofort vernichtet ist, wenn das gewaltsam aufgezwungene Joch einmal gebrochen wird – in keinem Falle aber ist sie die Tugend eines selbstständigen Wesens, das jeder Leitung und Aufsicht entbehren kann, weil es seiner selbst gewiß ist.

Dasselbe Beispiel, das wir bei den Jünglingen erleben, die z.B. im geschlossenen Pferch einer klösterlichen Schule sechs Jahre lang durch Zwang moralisch und fleißig erhalten worden sind, dann, wenn die Fessel gebrochen, auf der Universität das flotteste und faulste Leben führen, indem andere, die diesen Zwang nicht kannten, ruhig in den einmal eingeschlagenen besseren Gewohnheiten verharren, das sehen wir auch bei den Mädchen. Diejenigen, die schon immer ein[51] richtiges Maaß von Freiheit genossen, wissen sich auch in ein freies Leben, das ihnen vielleicht durch den Tod der Mutter oder irgend einen Kunstberuf oder einen vorurtheilslosen Gemahl wird, mit jenem weiblichen Takt zu finden, der doch nicht allein angeboren ist, sondern das Resultat wirklich guter Erziehung und eines selbstständigen Charakters, der sich nur bei ihm gelassener Freiheit entwickeln kann, indeß diejenigen, die fortwährend in ängstlicher Obhut und strengster Beaufsichtigung gehalten wurden, nun diese wegfällt, die plötzliche Freiheit leicht mißbrauchen und in vollständiger Haltungslosigkeit durchs Leben taumeln, weil man ihnen bisher nur durch Verhältnisse und Personen einen äußern Halt, nie aber einen innern gegeben.

In Amerika – das als so materialistisch und nur die Praxis des Lebens beobachtend verschrieen und dem man so gern den idealistischen Ruf Deutschlands und seiner Söhne und Töchter triumphirend entgegenstellt – in Amerika erzieht jede Mutter ihre Tochter so, daß sie dieselbe ohne jede Gefahr allein nicht nur mit andern jungen Mädchen, sondern auch mit jungen Männern verkehren lassen kann. Wenn dort ein junges Mädchen eine Freundin besucht, so wird es ganz natürlich gefunden, daß sie Abends ein junger Mann ihrer Bekannschaft dort abholt, da sie durch die große Stadt nicht allein gehen kann (nicht weil sie dort »feine Herren,« wie bei uns, insultiren würden, sondern weil sie fremdes Gesindel oder Indianer anfallen und berauben könnten) und eben so oft geschieht es, daß er dann noch mit bei den Ihrigen (auch ohne daß die Eltern dabei sind) einkehrt und sich erholt, ehe er allein zurückgeht. Was würde man dazu in Deutschland sagen! Die Amerikanerin weiß sich so zu betragen, daß sich kein Mann die geringste Unziemlichkeit gegen sie zu erlauben wagt und wollte er es thun, so würde er ein für allemal aus der guten Gesellschaft ausgeschlossen und mit der Verachtung Aller, die von seiner Ungezogenheit erführen, bestraft werden. Für das Mädchen aber, das von Niemandem bewacht wird, sondern sich allein bewacht, giebt es keine größere Schande, als wenn sich ein Mann eine Zudringlichkeit gegen dasselbe erlauben konnte – kein Mädchen, das nur irgendwie auf Bildung und guten Ruf Anspruch macht, wird so leicht in diese Gefahr kommen, denn kein[52] Mann ist ehrlos genug die Schutzlose derselben auszusetzen – und wie ist es dagegen in unserem Deutschland, in dem man sich so viel auf Moral und patriarchalisches Familienleben zu gute thut?

Das gegenseitige Isolirungssystem beider Geschlechter, wie es bei uns in Deutschland immer mehr sich ausgebildet hat, ist gewiß nicht der Weg die Sitten zu verbessern. Kommt man nicht mehr in harmlosem geselligen Verkehr zusammen, vereinigt man sich nicht, um miteinander seine Ansichten und Erfahrungen auszutauschen, so wird jedes Geschlecht sich gerade in seinen schlechteren Eigenthümlichkeiten verknöchern und man wird sich immer weiter von dem wahren Menschheitsideal, das eine Vereinigung der besten männlichen wie der besten weiblichen Eigenschaften und Kräfte ist, entfernen, ja man wird dahin kommen (wo man in der That schon theilweise ist!) daß die Männer in den Frauen nichts sehen als Spielzeuge für ihre Sinnlichkeit und die Frauen in den Männern nur eine passende Partie für sich selbst oder für ihre Töchter. Darauf basirt so ziemlich die jetzige deutsche Geselligkeit, die kaum noch einen andern Zusammenkunftsort für Damen und Herren kennt als den Ballsaal, in den die Mädchen geführt werden, um erst einen Tänzer und dann einen Mann zu erobern, und in dem blasirte Männer sich lieber suchen lassen, als selbst suchen.

Sind die Mädchen und Frauen nur auf die Unterhaltung ihres eigenen Geschlechts angewiesen, so verfallen sie, namentlich wenn ihnen ein ernsterer Beruf fehlt, in jene Seichtheit und Kleinlichkeitskrämerei, in der so viele geistig befähigte Frauen aus Mangel an jeder Anregung untergehen, während die Männer im gleichen Falle zur Rohheit verwildern und am Ende jede Fähigkeit nicht nur zur Unterhaltung mit einer Dame, sondern auch zum Verständniß eines weiblichen Wesens verlieren. Sind beide Geschlechter einmal in einen solchen Zustand gekommen, so ist es ganz natürlich, daß sie einander, einen flüchtigen, nur auf äußerliche, nicht auf geistige Eigenschaften gegründeten Liebesrausch abgerechnet, gar nichts mehr zu sein vermögen und weder in noch außer der Familie ein Bedürfniß nach würdigem Verkehr miteinander empfinden.

Auch um diesen edler zu gestalten, ist die größere Selbstständigkeit[53] der Frauen vonnöthen. Wir wünschen deshalb nicht etwa, daß sie den Männern (wie es leider auch schon hier und da geschieht) in die öffentlichen Restaurationen folgen und dort in einer Atmosphäre von Cigarrenrauch, Wein- und Bierdunst, sich in die oft sehr weniger baulichen Wirthshaus-Gespräche und -Witze der Männer mischen – jedenfalls kann jede Frau daheim bei einer anregenden Lektüre, angenehmen oder nützlichen Arbeit oder im Kreise ihrer Kinder ihre Zeit besser verbringen, aber wir wünschen, daß sie es vermöge den Mann wenigstens zuweilen an eine durch ihr vorsorgliches Walten verschönte Häuslichkeit zu fesseln, daß sie ihm in jeder Beziehung das nächste Wesen auf der Welt sei, also auch das, mit dem er seine Berufs- und öffentlichen Angelegenheiten zuerst und am liebsten berathe. Nur solche Ehen sind für uns sittliche und glückliche, in welchen die Gattin die Freundin und gleichsam das Gewissen ihres Gatten ist, wie er das ihrige, wie er ihr Freund. Ein Mädchen, das zur Selbstständigkeit erzogen, wird keine andere Stellung im Hause einnehmen, es wird nicht die bloße Haushälterin, noch die Puppe, noch die Leibeigene und Sklavin des Mannes sein – es wird den Platz an seiner Seite dadurch zu verdienen wissen, daß es seine Interessen theilt, seine Bestrebungen versteht und wo sie es vermag, dieselben mit zu den ihrigen macht.

Die Zeit eines patriarchalischen Familienlebens können wir allerdings nicht wieder heraufbeschwören, wie es noch zur Zeit unserer Großeltern gewesen sein mag, als sich das ganze Leben noch mehr auf das Haus beschränkte und die herrschende Einfachheit wie Wohlfeilheit des Lebens eine größere Gastfreundschaft gestattete. Damals war man überhaupt mit allen seinen Vergnügungen, namentlich aber mit der ganzen Geselligkeit mehr auf das Haus angewiesen. Das Reisen war noch eine so zeitraubende, beschwerliche, jedenfalls kostspielige Sache, daß nur die wenigsten Personen es sich gestatten konnten. Wenn getrennt wohnende Verwandte oder Freunde einander einmal aufsuchten, so war dies ein Ereigniß, dem zu Ehren man gewöhnlich alle möglichen Familienfeste veranstaltete, sie wurden im eignen Hause untergebracht und so lange wie möglich behalten. Nur auf ein paar Tage zu kommen wog ja auch die Strapazen und[54] Kosten der Reise nicht auf, man kam dann gleich auf Wochen und brachte so seine Ferien bei den Gastfreunden zu. Dampfwagen, Dampfschiffe, Omnibusse und all' diese erleichternden Verkehrsanstalten, welche die Eisenbahnen nur als Corridore erscheinen lassen, die aus einem Zimmer in das andere führen, gab es nicht und wer nicht mit eignen oder noch theureren Miethequipagen einen Ausflug von einem Tag oder Nachmittag machen konnte, mußte zu Hause bleiben oder sich auf die Punkte beschränken, die er mit seinen Füßen erreichen konnte. All' das Geld, was jetzt des Sonntags auf den Extrafahrten der Dampfwagen und Schiffe verthan wird – und die statistischen Angaben derselben, der Einnahmen, welche die Wirthe ja überall an den auf diesen Wegen zu erreichenden Punkten machen, noch gar nicht zu gedenken, weisen es nach, daß dies nicht wenig ist – alle diese Vergnügungsausgaben fielen sonst weg und wenn man sich die Mühe nehmen wollte es auszurechnen, würden die Summen, welche jetzt auf diese Weise im Kleinen verausgabt und im Großen verschlungen werden, gewiß nicht nur nicht kleiner sein als diejenigen waren, die man sonst auf häusliche Geselligkeit verwendete, sondern sie würden auch unter den jetzigen Verhältnissen ausreichen eine sehr respectable herzustellen. Indeß, der Geist der Zeit drängt einmal aus dem Hause und seiner Beschränktheit hinaus in den Strom des Lebens, der Einzelne verläßt seine Gesondertheit und begiebt sich unter die Menge, Jeder denkt nur daran wie er sich selbst, nicht wie er Andere unterhalte, der Einzelne begiebt sich unter die Gesammtheit und verfolgt doch in ihr nur sein Einzelinteresse wie jeder Andere neben ihm – möge man denn auch eben so die Frauen das Ihrige verfolgen lassen. Der Dampf und die Eisenbahnen haben eine nivellirende Macht – hier sind in Wahrheit Alle gleich und das möge man für alle Verhältnisse des Lebens berücksichtigen.

Und damit ist uns nicht nur die patriarchalische Gastfreundschaft unsrer Voreltern, sondern es sind auch so ziemlich jene ästhetischen Cirkel und Salons verloren gegangen, in denen sich sonst die Geistreichen und Gebildeten beider Geschlechter zusammenfanden. Auch sie sind nicht wieder in's Leben zu rufen, weil der gesteigerte Luxus und alle damit verbundenen Ansprüche solche Ausgaben nur[55] noch den reichen Leuten gestatten – und die reichen Leute nicht immer diejenigen sind, die den »Geist« selbst in sich tragen oder doch um sich zu haben wünschen. Wir könnten freilich auch hierbei sagen wie bei den Reisen und Extrafahrten, daß wenn manche Familien das, was sie in Restaurationen verthun, darin eben nicht verthun wollten, sie für das nämliche Geld sehr wohl zuweilen einen kleinen Kreis von Bekannten und Freunden bei sich sehen könnten. Aber nicht die Gesellschaft allein – das gemeinschaftliche Wirken im Dienst des Allgemeinen ist es, in dem die neue Zeit zu fordern hat, daß Männer und Frauen einander darin begegnen, im vereinten Streben sich zur Seite stehen. Ein solches gemeinschaftliches Wirken, wo es der Beruf der Einzelnen mit sich bringt, muß in allen Consequenzen zu erreichen sein, ohne daß die Männer es wagen dürfen, ja nur den Trieb dazu in sich spüren, über die Frauen zu witzeln, die sich ihnen durch ihre Fähigkeit und ihr Wirken ebenbürtig zur Seite stellen. Die kleinliche Schüchternheit der Frauen muß dem Gefühl ihrer Selbstständigkeit weichen und die Männer müssen sie als ihre Collegen ehren, ohne die Rücksichten aus den Augen zu setzen, die sie dem schwächeren Geschlechte schon nach den Gesetzen der Natur schuldig sind.

Wir sind ganz und entschieden dagegen, wenn eine Frau, selbst an der Seite ihres Mannes – und nun gar wenn Frauen allein oder überhaupt Mädchen es thun wollten – jene Stadtrestaurationen besucht, welche allabendlich die Unterhaltungsstätten der Männer sind. Wir sprechen natürlich nicht von den Orten, die nur der Ziel- und Ausruhepunkt eines Spazierganges sind, sondern von jenen Lokalen, in denen die Männer zusammenkommen um ihre Abende hinzubringen. Wenn wir auch weit entfernt sind etwa dagegen zu eifern daß die Männer dies thun, – obwohl wir es, namentlich bei verheiratheten Männern, nicht schön finden wenn es täglich geschieht, einmal weil eben die Traulichkeit des Ehe- und Familienlebens darunter leidet, dann aber auch, weil so mancher Mann allein durch das Kneipenleben seine Gesundheit und seine Finanzen gründlich ruinirt hat, – so finden wir es doch in der Ordnung, daß der Mann zuweilen an solchen Orten ungenirt mit seinen Freunden verkehre, daß er Bekannte[56] und Freunde dort treffe, die er wo anders nicht sehen könnte. Es sei ihm immerhin Bedürfniß in solcher Weise mit seinen Geschlechtsgenossen sich zusammenzufinden, wie es den Damen ja auch Bedürfniß ist sich zuweilen im traulichen Kreise mit ihren Freundinnen zu begegnen. Aber wenn die Damen die Männer dahin begleiten, wenn sie auch so ihr Vergnügen außer dem Hause suchen und noch dazu an Orten, welche die Männer gerade darum gern betreten, weil sie sich in ihnen frei von jedem Zwang, jeder Rücksicht wissen, weil sie dort Niemand geniren und eben so wenig vor Jemand sich geniren wollen – so finden wir darin allerdings etwas der weiblichen Natur ganz Zuwiderlaufendes sich mit in solche Gesellschaft zu begeben, wo sie gewissermaßen nur die Geduldeten sind und wo es nicht – wie in ihren Privatkreisen – in ihrer Hand ist den herrschenden Ton zu regeln und Hüterinnen der Sitte zu sein. Als vor ziemlich zwei Decennien die Frage der Frauenemancipation zuerst discutirt ward, suchten einige Damen bekanntlich die Bethätigung darin, daß sie die Schranken zarter Sitte übersprangen und es – nicht im Ernst des Strebens und der Arbeit, sondern nur in äußeren Gewohnheiten und Sitten – den Männern gleich zu thun suchten. Sie verbrachten in der Mitte derselben Tag- und Nachtstunden in solchen öffentlichen Lokalen, sie rauchten und tranken mit ihnen um die Wette, kleideten sich zuweilen auch wie sie und ahmten wie gesagt das männliche Geschlecht und zwar nicht einmal in seinen guten Sitten, sondern nur in seinen Unsitten nach. Ein solches Gebahren brachte für lange Zeit die ganze Sache der Frauenemancipation in Mißcredit und wenn man über dieselbe schreiben will, hat man immer noch nöthig, sich gegen jenes Gebahren zu erklären und zu verwahren. Wie im Allgemeinen, so auch in diesem besonderen Falle. Wir wollen, daß die Frauen den Männern ebenbürtig und gleichberechtigt zur Seite stehen, aber nicht, daß sie je dabei ihre Weiblichkeit verläugnen, noch irgend eine Verletzung derselben dulden. Und um das nur an einem Beispiel zu zeigen: wir mißbilligen es, wenn sich eine Dame da, wo es sich nur um Vergnügen und Unterhaltung handelt, unter die Männer drängt und zu diesem Zweck öffentliche Lokale besucht – aber wenn sie das letztere[57] thut durch die Umstände und ihre Berufsverhältnisse genöthigt, so finden wir durchaus nichts Unpassendes noch Unweibliches darin und ist dies nur eine Consequenz derjenigen Selbstständigkeit, welche wir anstreben. Wenn z.B. ein Mädchen durch ihren Beruf aus dem Hause geführt wird, so wird es nicht nur einen vielleicht weiten Weg zu den verschiedensten Tageszeiten allein zurückzulegen haben, sondern es wird vielleicht auch nöthig sein, daß es, um Zeit und Weg zu sparen, das Mittagbrod außer dem Hause einnimmt. Es muß Sitte werden, daß sie das in jedem anständigen Lokal, das an ihrem Wege liegt und dessen Speisekarte und deren Preise ihren Verhältnissen entsprechen, thun kann, ohne deshalb verwunderten Blicken zu begegnen, die sie wie eine Landstreicherin betrachten. So gut sie das in jedem Badeort thun kann, muß sie es auch in ihrem Wohnort thun können. In Städten mit starkem Fremdenverkehr, wie z.B. Dresden, ist es auch bereits ganz üblich geworden, daß alleinstehende Damen allein außer dem Hause speisen, es giebt da sogar mehrere Restaurationen mit besondern Damenzimmern und Damen-table-d'hôte, aber es fällt auch Niemandem auf, wenn einzelne Damen an Tafeln erscheinen, wo eine aus Herrn und Damen gemischte Gesellschaft zu speisen pflegt, denn man ist eben daran von beiden Seiten gewöhnt – in vielen andern deutschen Städten aber, selbst größeren Residenzen, ist man noch nicht so weit vorgeschritten. Ebenso hat man dort Conditoreien, Caffé's und Conzerte, die, weil der Tabacksrauch aus ihnen verbannt ist, vorzugsweise das weibliche Geschlecht anziehen und deshalb auch von jeder Dame allein besucht werden können, ohne daß sie sich einer Mißdeutung aussetzt.

All' dies setzt eben auch schon eine ökonomische Selbstständigkeit des weiblichen Geschlechts voraus, welche ganz naturgemäß mit dem Recht desselben auf Erwerb zusammenhängt. Weil die frühere Zeit ein solches nicht kannte und sogar durch die Geschlechtsvormundschaft (die in Sachsen zu Anfang der dreißiger Jahre abgeschafft ward, in vielen andern deutschen Staaten aber noch als Hohn aller Gesittung besteht) die Frauen den Kindern gleich stellte, so galt es z.B. überall für passend, daß die Damen von den Herren, nicht nur von ihren Vätern und Männern, sondern auch von Andern,[58] unter deren Schutz sie sich begaben, frei gehalten wurden, oder daß sie, was beinah noch empörender war und namentlich in Gartenconzerten vorkam: gar kein Entrée bezahlten. Mag es sein, daß dies ein Rest von Galanterie aus früheren Zeiten war – in der Nüchternheit der fortgeschrittenen Zeit stand diese Einrichtung in grellem Widerspruch mit der übrigen Rücksichtslosigkeit, welche man gegen das weibliche Geschlecht eingeführt hatte und stellte dasselbe auf eine Stufe mit Kindern und Hunden, welche auch das gleiche Recht hatten, in Begleitung von Herren zu erscheinen, und es kam allmälig dahin, daß man die Damen eben so ungern kommen sah wie jene, da sie nur Platz beanspruchten ohne die Einnahme zu erhöhen. So führte man denn auch hierin eine sociale Gleichstellung durch den Finanzpunkt ein – und es ist nun die weitere Consequenz, daß die Frauen, nachdem man ihnen sehr gern das Recht überall selbstständig zu zahlen zugesprochen, auch das erhalten selbstständig zu erwerben, über das Erworbene zu verfügen und noch sonst alle Rechte, die sich an das Zahlen bei den Männern knüpfen. –

Ein Mädchen, das sich einer Kunst gewidmet hat, das ein offnes Geschäft verwaltet oder darin thätig ist, das im Eisenbahn-, Post- oder Telegraphen-Bureau u.s.w. mit dem Publikum in Berührung kommt, kann selbstverständlich dabei nicht fortwährend unter der Aufsicht einer älteren Dame sein – man wird sich also daran gewöhnen müssen, ihr auch ohne dieselbe mit Achtung zu begegnen und sie wird ganz von selbst lernen eine Haltung anzunehmen, welche sie vor jeder unwürdigen Begegnung schützt. Sind auch die meisten deutschen Männer weit davon entfernt im schwächeren Geschlecht auch wirklich immer das zartere zu ehren und ihm demgemäß zu begegnen, so wird doch allgemein die Erfahrung lehren, daß die Frauen und Mädchen, die entweder aus übertriebener Schüchternheit oder Prüderie vor jeder männlichen Anrede schon wie vor einem Verbrechen zurückweichen und diejenigen, die den Männern in einer Weise entgegenkommen, die keinen Zweifel darüber läßt, daß sie ihre Aufmerksamkeit erregen möchten – auch allein den Zudringlichkeiten der Männer ausgesetzt sind, indeß diese ein zugleich sittsames aber unbefangenes Betragen, das die Frucht eines edlen Selbstgefühls ist, ganz[59] von selbst im Zaume hält. Als Berufsgenossinnen werden die Männer die Frauen ehren, wenn sie dieselben in einem Beruf tüchtig finden – Liebe, Gefallsucht und Sinnlichkeit werden nicht mehr die einzigen Triebfedern des Verkehrs zwischen Männern und Frauen sein – man wird sich in gemeinschaftlichen Unternehmungen kennen lernen, im Streben nach bestimmten Zielen begegnen und jedenfalls wird man gegenseitig ein richtigeres Bild von einander erhalten, wenn eines das andere bei seiner Arbeit, seiner Berufsthätigkeit beobachten kann, als wenn man sich nur im gesellschaftlichen Putz im Salon vorgestellt wird. Man wird auch auf diesem Wege sich kennen und lieben lernen und glücklich verheirathen. Sollten also etwa die Heirathslustigen beider Geschlechter bange sein, daß ihnen bei einer so veränderten Gestalt der Dinge die Gelegenheit fehlen würde, ein passendes Eheband zu schließen, so bedarf es nur einiger Ueberlegung um sich zu sagen, daß man beiderseits vielmehr vor Täuschungen und Enttäuschungen bewahrt sein wird, wenn man im Ungefähr des Geschäfts- und Berufsverkehrs sich kennen lernte statt im Ballsaal, den jedes Mädchen nur betritt um zu gefallen und wo es die gesellige Pflicht aller darin Erscheinenden ist sich einander in jeder Beziehung nur von der liebenswürdigsten Seite zu zeigen.

Der Selbstständigkeit des weiblichen Geschlechtes widersetzen sich viele Frauen und Männer nur darum, weil sie meinen das Familien- ja das Staatsleben könne darunter leiden, die Frauen könnten die schönsten Eigenschaften weiblichen Wesens verlieren wenn sie mehr als bisher zur Selbstständigkeit erzogen, wenn sie in Wahrheit selbstständig würden. Wir aber erwarten gerade das Gegentheil davon, wenn nämlich, wie schon angedeutet, die Erziehung auch eine solche ist, wie sie sein soll, eine, welche den Charakter zu unterstützen sucht und weder das Gemüth noch den Verstand einer einseitigen Ausbildung unterwirft. Gerade die Biographieen geistig hervorragender, wirklich selbstständig gewordener Frauen lehren uns, was uns auch die Erfahrung alle Tage lehren kann, daß dieselben zugleich die besten Gattinnen und Mütter waren, lehren uns, daß sie reich waren an Opfern, an Liebe und Begeisterung sowohl für einzelne ihnen nahestehende Menschen, wie für die Menschheit und ihre großen[60] Zwecke selbst, während es gerade die auf einen kleinen Kreis angewiesenen, in Unmündigkeit gehaltenen Frauen sind, welche von dem engherzigsten Egoismus beherrscht, der nie weiter sieht als über die Grenzen des Hauses, zum Hemmschuh oft auch für das edelste Streben der besten Männer, ja daß sie geradezu oft zum Fluch, zum Verderben derselben werden. Eine Frau, welche keine andere Welt kennt und kennen darf als die ihres Hauses, wird auch stets beflissen sein den Mann da zurückzuhalten, wo er im Begriffe ist diese kleinen Interessen denen seines Vaterlandes, seines Berufes unterzuordnen. Sie wird ihn zurückhalten mit jenem Schein von Recht und Gewissen, den gerade ihre Beschränktheit um sie gebreitet – sie wird ihm sagen, daß er zuerst an seine Familie denken müsse, ehe er weiter strebe, daß er pflichtvergessen handele, wenn er etwas thue was seiner Familie d.h. seiner Stellung in Amt und Würden oder seinen Finanzen schaden könne. Und sie wird vollständig im Rechte sein so zu urtheilen und zu handeln, so lange ihr selbst kein Verständniß aufgegangen ist für höhere Interessen, so lange sich ihre Familienliebe nicht zur Vaterlands- und Menschheitsliebe erweitern konnte.

Nicht darum wollen wir das Weib aus dem beschränkten Raume des Hauses und einem in seiner Stille geführten Traumleben hinaustreiben in die größeren Kreise des wirklichen Lebens, damit es seine schöneren Eigenschaften im Lärm eines realistischen Treibens verliere: – sondern wir wollen dies gerade darum, damit es in diesem jene zur Geltung bringe, sich ihrer bewußt werde und nicht allein am häuslichen Heerd, sondern auch am Opferaltar im Tempel des Vaterlandes die priesterliche Hüterin der heiligen und heiligenden Flamme der Begeisterung sei, ohne welche die ganze Menschheit verloren ist! Denn die Fähigkeit der Begeisterung ist jenes Ewig-Weibliche, das wir als die schönste Mitgabe des weiblichen Geschlechts betrachten, das Ewig-Weibliche, das nicht allein die Männer, sondern die ganze Menschheit höher hinanzieht zum Ziel der Vollendung. Denn nur durch die edlere Gestaltung des Familienlebens, welches die Grundlage des Staatslebens ist kann dieses selbst sich in würdiger Weise entfalten. Nur durch das gemeinsame Wirken von Mann und Weib, nur durch die Gleichberechtigung beider Geschlechter[61] in allen Dingen, wo nicht die Natur, die Mann und Weib verschieden schuf, eine Grenze setzte, kann das Menschheitsideal endlich erreicht werden, dem bewußt oder unbewußt die Völker entgegenstreben.

Denn noch einmal sei es wiederholt: wir stellen nicht etwa die Forderung an das Weib, daß es von der angebornen Eigenthümlichkeit seines Wesens etwas ablege, sondern daß es nur Raum und Freiheit gewinne dieselbe ganz zu entfalten, daß es nicht um jeden Zollbreit Raum zur eignen Entwicklung, um jeden Leben und Odem bringenden Odemzug in freier Luft erst mit dem stärkeren Geschlecht zu kämpfen habe. Dies Recht, das jedem Geschöpfe von dem Schöpfer zugetheilt worden, nimmt auch das Weib für sich in Anspruch und muß es thun, will es nicht anders den Zweck des Schöpfers verfehlen.

Bleibe es immerhin dem männlichen Geschlecht unbenommen, durch körperliche Kraft und Stärke wie durch die Schärfe seines Verstandes und die strengere Logik seines Denkens die Welt zu regieren – aber es lasse das weibliche Geschlecht gerade um seines Gemüthslebens, seiner Empfänglichkeit für alles Große und Schöne, seiner erregbareren Phantasie und seiner emporstrebenden idealen Richtung willen zur Mitregentschaft zu. – Mann und Weib sind aus der Hand der Gottheit oder der Schöpfung – wie man den Ausdruck wählen will – als zwei ebenbürtige Geschöpfe hervorgegangen; aber die Verschiedenheit der Eigenthümlichkeit macht sich auch im Seelenleben geltend. Die Ausgleichung dieser Verschiedenheit ist gegeben in der Vereinigung beider. Der Mann an sich und das Weib an sich sind gleich bedeutende Einzelheiten, erst wenn Beide vereinigt, bilden sie ein Ganzes. So wollte es die Weisheit der Schöpfung, die keines dem Andern unterordnet. Bei den Bestrebungen, dem weiblichen Geschlechte zum Rechte der jedem Wesen zukommenden Selbstständigkeit zu verhelfen, kommt es gerade darauf an: das wahrhaft Weibliche zu retten – nicht es zu vertilgen oder zu unterdrücken, sondern es frei zu machen von einem einseitigen Verstandesdespotismus, wie er nach und nach von den Männern ausgebildet worden, und worunter nun das weibliche Geschlecht nicht allein, sondern[62] der ganze bessere Theil der Menschheit leidet. Was dem Weibe von der Gottheit als Erbe übergeben worden, in seiner ganzen Macht und Heiligkeit zur Geltung zu bringen, gegen die Uebermacht einer entweder kalten oder brutalen Kraft – das sollte kein vergebliches Streben sein bei der allgemeinen Entwicklung. – Dies Ewig-Weibliche, das jetzt nur in der Liebe der einzelnen Individuen, in der wahren Liebe des Mannes zum Weibe, von jenem in diesem erkannt, den liebenden und geliebten Mann »hinanzieht« zu höherer Veredlung, dies Ewig-Weibliche muß in den Frauen zum Bewußtsein und in der Menschheit zur Geltung gebracht werden, damit es nicht nur die Einzelnen, sondern die ganze Menschheit hinanziehe zu höheren Standpuncten, zum Ziel der Vollendung. Ein Ziel, das nur eben dann erreicht werden kann, wenn man die Frauen nicht mehr gebannt hält im kleinen beschränkten Raum, in dem sie verkümmern und ihre edelsten Kräfte niemals selbst kennen und üben lernen, noch weniger sie zur Geltung zu bringen vermögen.

Also keineswegs damit die Frauen die Männer nachahmen und sich mit ihnen in einen widersinnigen Wettkampf einlassen sollen, sondern damit sie in würdiger Vereinigung in der Ehe miteinander und außer ihr neben einander sich betheiligen an der Arbeit des Jahrhunderts, fordern wir eine veränderte und selbstständige Stellung des weiblichen Geschlechts.

Und um nun vom Allgemeinen wieder auf das Besondere überzugehen, so müssen wir doch hier darauf verzichten das Thema von der Selbstständigkeit der Frauen erschöpfend zu behandeln, da wir dann hauptsächlich ihre Stellung im Staate betrachten und eine Kritik sämmtlicher Gesetze, mindestens der aller deutschen Staaten schreiben müßten. Haben wir nun auch auf diesen Punkt immer ein ziemlich aufmerksames Auge gehabt, so müssen wir doch gestehen, daß wir nicht alle die betreffenden Paragraphen so vieler deutschen einzelstaatlichen Gesetzgebungen mit ihren öfteren Veränderungen und verschiedenen Handhabungen so genau kennen, welche sich auf die Stellung der Frauen beziehen, daß wir sicher wären, nicht diesen oder jenen kleinen Verstoß zu begehen und daß eine genaue Darlegung weit den uns hier zustehenden Raum überschreiten würde. Wenn[63] wir Dies und Jenes aus Preußen oder Oestreich anführen und als »deutsch« hinstellen wollten, könnten uns Lippe-Detmold oder Liechtenstein vielleicht aus ihrer eignen Gesetzsammlung eines Andern belehren – und so verzichten wir hier ganz auf dieses Kapitel. Haben wir doch die Ueberzeugung, daß es auch auf diesem Gebiet gehen wird wie auf jedem: sobald die Einzelnen ihre Erkenntniß einer Sache gewissermaßen zu einem Gemeingut gemacht, so daß die Begriffe über die Rechte und Pflichten der Frauen, die jetzt noch in einer heillosen Verwirrung sind, sich geklärt haben, sobald wird auch mit den Gesetzen, die jetzt zum Theil noch aus barbarischen Zeiten stammen und auf überwundene Anschauungen sich stützen, eine Aenderung vorgenommen werden müssen. Sie wird kommen wie eine jede gekommen: sobald sie sich als nothwendig herausstellt.

Um an ein Beispiel zu erinnern: In Nürnberg herrschte im Mittelalter zur Zeit der Kunstblüthe der berühmten Stadt bekanntlich die größte Gesittung und Bildung im Verhältniß zu den andern deutschen Städten. Und selbst in diesem Nürnberg war es Sitte, daß wenn der hohe Rath bei irgend einer Feier im Bankettsaal des Rathhauses ein Festmahl hielt, »den Frauen erlaubt war die Männer dahin zu begleiten und während dieselben bei Tafel saßen hinter deren Stühlen zu stehen, wo denn der Mann, der sich auf diese Weise von seiner Frau bedienen ließ, ihr zuweilen seinen Teller mit den Resten reichte, die sie, hinter ihm stehend, verzehrte.« Ein Fortschritt war es in späterer Zeit, daß den Frauen erlaubt war in der Nebenstube des Festsaals auch an besonderer Tafel zu sitzen, wohin man ihnen die Speisen brachte, die von den Tischen der Männer übrig geblieben. Das nannte man »deutsche Zucht und Sitte« und klagte auch über den Verfall derselben, als die Sitte aufkam, daß sich die Frauen mit unter die Männer setzen »dürften,« wo man ihnen noch jetzt wenigstens bei Tafel den ersten Platz einräumt. Im Hause pflegten die Frauen »in der guten alten Zeit« mit dem Gesinde und den Kindern in der Küche zu essen und den Eheherrn und seinen Gehülfen im Geschäft oder seinen Gästen bei Tische aufzuwarten, ohne sich selbst mit daran zu setzen und gewiß hat diejenige auch als »unweiblich« und »verbildet« gegolten und als eine schlechte[64] Hausfrau, die es zuerst gewagt hat sich des Mittags aus der Küche zu entfernen und an der Seite ihres Mannes Platz zu nehmen! Und diese Reform hat sich so allmälig vollzogen, daß – viele unsrer Leserinnen wohl gar Zweifel in unsern Chronikenbericht setzen und es nicht für glaublich halten, daß je etwas Derartiges möglich gewesen, daß sich die auch damals von den Dichtern verherrlichten deutschen Frauen je eine solche unwürdige Stellung hätten gefallen lassen. Und wenn aber wieder ein paar Jahrhunderte um sein werden, wird es wieder andere deutsche Frauen geben, welche gutmüthig lächeln werden über unsere heutigen Reformbestrebungen und sich nicht werden denken können, daß dergleichen jemals nöthig gewesen, noch weniger begreifend wie viel Kämpfe, wie viel Verketzerungen und Mißdeutungen sie uns gekostet haben! Das ist der große Trost, den die Lehren der Geschichte geben! Aber wir brauchen gar nicht so weit zurückzugehen.

Die Geschlechtsvormundschaft besteht noch in einigen deutschen Staaten – in andern ist sie abgeschafft. Auch als dies geschah – Sachsen war bekanntlich einer der ersten deutschen Staaten, der sie aufhob, schon in den dreißiger Jahren – ward erst lange darüber debattirt, ob dies nützlich sei oder nicht – ob man die Frauen als mündig vor dem Gericht erklären könne – und es war dies in der That beinahe der wichtigste Schritt nach vorwärts, den die Geschichte der Frauen aufzuzeigen hat, nur daß er eben von den Frauen selbst in seiner ganzen Größe kaum genug gewürdigt ward.

Die Sache war nämlich die: Der Vater ist der natürliche Vormund seiner Tochter und wenn dieselbe heirathete, so ging diese Vormundschaft auf ihren Mann über. War nun die Frau Wittwe geworden, so mußte sie sich einen Curator wählen, ohne dessen Bewilligung und Unterschrift sie keine Contracte eingehen noch sonst eine gerichtliche Verfügung treffen konnte – ihre Unterschrift allein hatte keine Gültigkeit. Innerlich unselbstständige und beschränkte Frauen fanden diese Einrichtung sehr bequem, sie hatten ja einen Beistand und waren von vielem Nachdenken und jeder Verantwortung befreit; reichen Wittwen z.B., die um Darlehen oder dergleichen angegangen wurden, war es sehr bequem dasselbe mit der kurzen Phrase ablehnen[65] zu können: »mein Curator will es nicht!« Die Demüthigung, die für sie selbst in dieser Antwort lag, empfanden sie nicht – sie war durch das Herkommen geheiligt. Auch kluge Frauen profitirten bei dieser Einrichtung, jene Ausrede blieb ihnen, und damit der Curator nur das wollte, was sie selbst wollten, wählten sie sich dazu entweder einen bewährten Freund oder noch lieber den dümmsten Mann, den sie finden konnten, der sich ohne Widerreden ihren Angaben unterordnete und den sie wohl auch dafür bezahlten. Um das Princip bekümmerten sie sich nicht – es war eine Einrichtung etwa wie in der Presse zur Zeit der Censur. Wir, die wir noch unter Censur geschrieben und gegen sie gekämpft haben, wissen es recht gut, daß es viel bequemer unter ihr sich schrieb – man hatte keine Verantwortung, es gab nicht so leicht Preßprozesse, denn der Censor strich ja was einen solchen hätte veranlassen können – man brauchte sich nicht selbst die eignen Flügel zu beschneiden wie jetzt, wo man sein eigner Censor sein muß – und dennoch wird kein Schriftsteller von Ehre die Censur zurückwünschen, denn sie war ein unmoralischer, entwürdigender Zustand – und eben so wird keine Frau von Ehre die Zeiten der Geschlechtsvormundschaft zurückwünschen.

Aber leider lassen die Consequenzen dieser Befreiung, dieser in Wahrheit gesetzlich festgestellten Emancipation noch sehr auf sich warten und zwar hauptsächlich mit durch die Schuld der Frauen und ihrer Scheu vor diesen Consequenzen. Man gestattet ihnen Bürgerinnen zu werden, Liegenschaften aller Art zu erwerben und selbstständig zu verwalten, Geschäfte der mannichfachsten Branchen zu etabliren, an jedem Actienunternehmen sich zu betheiligen: – wenn aber irgendwo eine Versammlung und Berathung statt findet in einer dieser Angelegenheiten: so lassen sie sich durch Männer vertreten oder wo es nicht nöthig ist, thun sie vielleicht nicht einmal dies. Und weil sie selbst von dem ihnen zustehenden Recht keinen Gebrauch machen, wird es ihnen stillschweigend, gleichsam von selbst entzogen und dies nachher damit entschuldigt: die Frauen kommen ja doch nicht! – so werden sie nur darum um ihr Recht betrogen, weil sie sich darum betrügen lassen, es nicht zu schätzen, nicht zu wahren verstanden – und man könnte sagen: damit geschieht ihnen ganz recht, wenn nicht[66] es doch einzelne Unschuldige gäbe unter der Majorität der Schuldigen! Doch wir gerathen hiermit in das Gebiet des folgenden Abschnittes, der allerdings an diesen nothwendig sich anschließt; denn die Selbstständigkeit führt zur Selbsthilfe und ohne diese der Einzelnen kann wieder jene für Alle nicht errungen werden!

Quelle:
Louise Otto: Das Recht der Frauen auf Erwerb. Hamburg 1866, S. 48-67.
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