Von Ernst das 26.

[23] Ein Witziger folgt eim Narren.


Darnach uff ein Zeit waren zwen Brüder, der ein was ein Nar, und der ander was witzig. Die giengen mit einander über Feld, sie kamen an ein Wegscheid; der ein Weg war lüstig und eben, der ander steinecht und ruch. Sie kriegten mit einander, welchen Weg sie wolten gon, der Weiß wolt den ruchen gon, und der Nar wolt den glatten gon. Nach langem Zancken gieng der Nar den güten Weg, der Weiß wolt seins Gesellen Geselschaft nit manglen und gieng im nach, sie wurden gefangen und in ein Burg gefüret und in ein Turn gelegt. Da sie in dem Turn lagen, da krigten sie aber mit einander. Der Weiß sprach: ›Das hab ich von dir; weren wir den ruhen Weg gangen, so weren wir nit in dise Not kumen; so hab ich dir müsen folgen.‹ Der Nar antwurt: ›Du bist weiß, und ich bin ein Nar. Ich hab gethon nach meiner Art; werest du für dich gangen, so wer ich dir nachgangen‹ etc.

Also geistlich: Leib und Seel sind zwen Brüder; der Leib ist ein Nar und die Sinlichkeit, die Sel ist witzig. Der Leib wil hie den lüstigen Weg gon der Sünden, so gat die Sel hinnach; darumb werden sie ein ewig Verweissen mit einander haben in dem Turn ewiger Verdampnis. Darumb soll die Sel dem Leib nit nachfolgen.

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 23.
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