Von Schimpff das 57.

[40] Ein Fasant solt nur ein Bein haben.


Es was ein Ritter, der het ein Ordenßman zů einem Beichtvatter zů Florentz, der dieselbig Fasten alle Tag gepredigt het daselbst, An dem Ostermontag wolt der Ritter dem Beichtvatter ein Eer anthůn und lůd in zů Gast, er solt mit im essen. Der Beichtvatter kam, ee das es in der Kirchen uß was, und der Her was noch in der Kirchen. Den Beichtvatter hungert, und kam in die Küchin, da sah er villerlei Gebratens an dem Spiß, Fasanten und Krench. Er sprach zů der Köchin: ›Das Gebratens wer jetz an dem allerbesten zů essen. Geben mir ein Kolben von dem Kranch, so mag ich warten‹. Die Köchin sprach: ›Warlich, ich darff es nicht thůn. Mein Her dörfft mich zů dem Huß hinußjagen, wan ich im das Wiltbret also geschent über den Tisch brecht. Aber nemen ir selber, so hab ich kein Schuld daran.‹ Der Beichtvatter mit dem Messer an den Braten und reiß den Kolben uß, und gab im die Köchin ein Weißbrot darzu und ein halbe Maß Weins. Der Beichtvatter schlempt es.

Da man nun zů dem Tisch saß und man das Bratens fürtrůg, da lag der Kranch uff der verwunten Seiten. Der Her sprach: ›Wa ist der ander Schenkel hin kumen?‹ und wolt fast zornig sein über die Köchin. Der Leßmeister wolt in begütigen und růmet im in ein Or, als er neben im saß, er solt zůfriden sein vor den Gesten; wan man gessen het, so wolt er im beweren, das der Fogel nit me dan ein Schenckel gehabt het. Der Her als ein vernünfftiger Man ließ es sein.

Da man gessen het, sprach der Ritter: ›Wolan, Her Leßmeister, wir wöllen spatzieren gon‹, und giengen für die Stat hinuß, da die Burgerskind und die Edlen lauffen und springen. Uff dem Weg sprach der Ritter: ›Her Leßmeister, ir haben gesagt, das der Fogel nit me dan einen Schenckel hat gehabt. Wy ist es dan ein Sach?‹ Der Leßmeister sprach: ›Das wil ich euch zögen‹, und fürt in uff ein Matten vor der Stat Florentz, da wol 30 oder 40 Krench stůnden; wan ir vil daselbst sein, als sie dan gewonlich ston uff einem Bein. Der Leßmeister zögt es dem Ritter und sprach: ›Sehen ir, Her, wie die Fogel schier alle nur ein Bein haben?‹ Der Ritter schlůg sein Hend zůsamen und jöcht sie; da erschracken die Fogel und strackten die Helß uß und den andern Schenckel. Da sprach der Ritter zů dem Leßmeister: ›Wie nun? Sehen ir, das sie zwen Schenckel haben?‹ Da sprach der Leßmeißer: ›Lieber Her, hetten ir die Hend auch also zůsammengeschlagen und also ob dem Tisch gejagt, so wer der ander Schenckel auch herfürgangen.‹

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 40-41.
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