Von Ernst das 337.

[206] Der arm Man betet für den rychen.


Es was ein Tagloner, der het sich an dem Morgen in der Kirchen versumpt, das er kein Meister noch Herren het. Er stůnd da, da man die Tagloner dingt, und was leidig, das er nichtz zů arbeiten het. Da kam ein reicher Man und sahe in da ston und kant in wol, er het im auch etwan gewerckt, und sprach zů im: ›Wie stastu also müsig da? Hastu kein Meister?‹ Der Buer sprach: ›Nein, ich hab hüt nach der Tagmeß noch ein Meß wöllen hören, so hab ich mich versaumpt und hab noch kein Meister.‹ Der reich Man gedacht: ›Das ist freilich ein frumer Man‹, und sprach: ›Wiltu mir hüt[206] wercken?‹ Der Buer sprach: ›Ja.‹ Der reich Man sprach: ›So gang wider in die Kirchen und bet disen Tag für mich! So wil ich dir zů essen schicken und dir dein Lon geben als den andern Arbeitern uff dem Feld.‹ Der Buer was fro und gieng wider in die Kirchen und bettet. Man schickt im zů essen wie den andern. Da man Feierabent het, da gieng er heim essen in seins Meisters Huß; da gab im der reich Man seinen Lon, wie einem andern.

Da er wider heim wolt gon, da bekam im ein alter Man, das was ein Engel, und sprach zů im: ›Was hat dir der reich Man zů Lon geben, das du für in gebeten hast?‹ Er sprach: ›Zwen Schilling.‹ Der Engel sprach: ›Gang wider zů im und heiß dir me geben! Er hat dich nit bezalt.‹ Er thet es; da gab im der reich Man noch sechs Schilling. Der alt Man bekam im aber und sprach: ›Heiß dir mer geben!‹ Er gieng wider zů dem reichen Man; da hieß er im me geben, da gab er im 20 Schilling. In derselben Nacht ward dem reichen Man geoffenbart, wer das Gebet des armen Mans nit gewesen, so wer er dyselbig Nacht des gehen Dotz gestorben.

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 206-207.
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