XXVII.

[98] Als jüngst ihr Geist, mein freundlicher Gefährte,

Zu trösten mich in diesem Jammerstande

Sich nieder ließ an meines Bettes Rande

Und sich mit süßem Flüstern zu mir kehrte,

Sprach ich, dem Furcht und Lieb' am Leben zehrte:

Was führt dich, sel'ger Geist, in diese Stille? –

Und aus des Busens Hülle

Zog sie von Palm' und Lorbeer zween der Zweige,

Und sprach: »Herab ich steige

Fernher aus Empireums heil'gen Höhen

Zu dir, bloß um mit Trost dir beyzustehen.«


Demüthig dankt' ich ihr, als sie geschwiegen,

Mit Blick und Wort, und frug: »Wie hast vernommen

Mein Schicksal du? – Und sie: So mußt' es kommen;

Die Thränen, die dir nimmermehr versiegen,

Sind mit der Seufzer Wehn emporgestiegen

Zum Himmel, meinen Frieden mir zu stören.

Wie mag dir Schmerz gewähren,

Daß ich aus diesem Jammer mich begeben

Zu einem bessern Leben?

Freu'n sollt' es dich, warst du mir je gewogen,

Und hat dein Wort, dein Blick mir nicht gelogen.« –
[98]

Drauf ich: Mir selbst, nicht Andern gilt mein Weinen,

Der ich in Finsterniß und Leid befangen;

Ich weiß, daß du zum Himmel aufgegangen;

Nicht wahrer kann, was ich umfass', erscheinen.

Wie konnten Gott sich und Natur vereinen,

Ein Herz mit solcher Tugend zu umkleiden,

War es zu ew'gen Freuden

Für seines Wandels Treue nicht erlesen?

O du der seltnen Wesen,

Das unter uns gelebt, von Glanz umwoben,

Und plötzlich drauf zum Himmel sich erhoben!


Doch ich? was soll ich sonst, als immer klagen,

Ich, der ein Schatten, seit du mir genommen?

Wär' ich bey Wieg' und Milch doch umgekommen!

Nicht müßt' ich solcher Liebe Weh ertragen! –

Und sie: »Was frommt dein Schmerz, dein bang Verzagen?

Wie besser wär's, die Flügel auszubreiten,

Des Lebens Aermlichkeiten,

Den süßen Tand, der Erde falschen Segen

Gerecht und treu zu wägen,

Und liebtest du mich wahr, mir nachzusteigen,

Erfassend einen nur von diesen Zweigen!« –


Was künden diese Zweige hochgeschwungen?

Erwiedert' ich, vergönne mir's, zu fragen! –

»Das,« sprach sie drauf, »magst du dir selber sagen,

Deß Feder ja den einen oft besungen.

Die Palm' ist Sieg; jung hab' ich schon bezwungen

Die Welt und mich. Im Lorbeer aber grünet

Triumph, den ich verdienet,[99]

Dank sey dem Herrn, der mir die Kraft gegeben.

Wenn Feinde sich erheben,

Fleh' ihn um Beystand nur, zu ihm dich wende,

Daß wir ihn finden, ist dein Lauf zu Ende!« –


Sind dies die Augen, die mir Sonne waren?

(So ich) die Locken, die noch jetzt mich binden

Mit goldnem Band? – »Nicht irre mit den Blinden,«

Sprach sie, »o laß du ihre Thorheit fahren!

Ein Geist wohn' ich bey frohen Himmelsscharen;

Was du begehrst, seit Jahren ist es Erde.

Nur daß dir Lind'rung werde,

Durft' ich dir so erscheinen; so gestaltet,

Ja herrlicher entfaltet

Werd' ich einst theurer, frömmer dir mich schenken,

Mein Heil zugleich mit deinem zu bedenken.« –


Ich weine und sie trocknet

Mit ihrer Hand die Augen mir, die vollen,

Und süße Seufzer quollen,

Und Worte tönten, Felsen zu bewegen;

Drauf ging sie weg, mit ihr des Traumes Segen.

Quelle:
Petrarca, Francesco: Italienische Gedichte. Band 1, Wien 1827, S. 98-100.
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