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[62] Nikomedien, im Nov. 301.
Ich bin von Larissen getrennt! Der Wunsch, den meine Vernunft seit jenem Zufall, der uns vereinigte, meinem Herzen aufgedrungen hat, ist erfüllt, meine Fesseln sind zerbrochen, ich bin frei. Keine verführerische Gegenwart macht die stolzen Vorsätze, die ich in einsamen Stunden faßte, zu nichte, kein mildes, herzliches Betragen fordert meine Seelenkräfte zum Kampfe auf, es ist nicht mehr die schreckliche Wahl zwischen Tod und Verrath, die vor mir liegt. Der Weg der Pflicht steht offen, ich habe ihn mir zum Theile selbst gebahnt, ich habe ihn muthig betreten, und dennoch – dennoch fühle ich mich sehr unglücklich. Daß ich nicht mehr beim Heere bin, wird dir der Anfang meines Briefs gezeigt haben. Die Kabale hat gesiegt, Demetrius ist vom Commando entfernt; das, was auf Schleichwegen nicht zu erhalten war, ist nun durch einen Machtspruch ertrotzt worden. Die Feinde des redlichen, vielleicht nur allzu gewissenhaften Demetrius haben selbst den hellsehenden Diocletian diesmal zu überlisten verstanden. Man hat ihm die Sache aus dem falschesten Gesichtspunkt gezeigt, und er hat gethan, was sie ihn thun lassen wollten, er hat dem Feldherrn das Commando genommen, und sein Nachfolger ist auf dem Wege. Demetrius gereiztes Ehrgefühl erlaubte ihm nicht, eine Würde langer zu behalten, die nichts mehr als ein hohler Name ohne Einfluß und Wirksamkeit war. Er hat seine Entlassung auf der Stelle gefordert, erhalten, und sich mit seiner Gemahlin in die Ruhe des Privatlebens zurückgezogen. Aber noch ehe sie Nisibis verließen, war der Plan, den ich, ohne zu ahnen,[63] was das allzugefällige Schicksal für mich thun würde, entworfen hatte, zur Reise gekommen. Tiridates hatte auf mein Verlangen vom Galerius die Erlaubniß bewirkt, mich zu sich zu rufen. Ich erhielt den Brief nur um acht Tage später, als Demetrius den seinigen. Er war nun vergeblich, denn die Trennung von Larissen stand wir ohnedies bevor. Indessen, so weh es mir that, die letzten schönen Tage meines Lebens verkürzen zu müssen, so rief doch eine heilige Pflicht, die Pflicht der Menschlichkeit gegen eine Unglückliche, und die Gefahr eines Freundes, der am Rande des Abgrunds stand, mich eilig nach Nikomedien. Zwei Tage war es mir noch vergönnt, bei Larissen zuzubringen. Ich genoß sie mit eifersüchtigem Geize, ich war den ganzen Tag um sie, ich labte mich in den letzten Strahlen der scheidenden Sonne meines Glückes, ich wich nicht von Larissens Seite, ich verbannte den schmerzlichen Zwang, der mich so lange Zeit von ihr entfernt gehalten hatte, ich wollte noch einmal ganz glücklich seyn – und sie verstand die heißen Wünsche meines Herzens. Mit dem Zutrauen einer Schwester, mit der Innigkeit einer Freundin behandelte sie mich, so offen, so gütige so schonend! O Phocion! Was ist sie für ein Wesen! Hingegeben mit aller Wärme einer ersten unglücklichen Leidenschaft, und doch so rein, so streng! Die Engel, die sie glaubt, können nicht sanfter, nicht unschuldiger lieben. Was bin ich gegen sie! Auf welcher Höhe erscheint der stille Frieden dieser Seele, die ergebene Geduld, mit der sie ihr schweres Schicksal trägt, der Reichthum ihres Herzens, das, von eigenen Leiden zerrissen, doch noch Trost und Schonung für den Freund, noch zärtliche Achtung und kindliche Sorgfalt für einen mürrischen, kummervollen Greis hat![64]
Ich werde sie vielleicht nie wieder sehen. In diesem Bewußtseyn haben wir uns getrennt. Demetrius entließ mich mit väterlicher Liebe, mit Thränen; ich empfing knieend seinen Segen. Er gab ihn mir als Vater, als Christ, und ich konnte mich nicht enthalten, die Hand, die das Zeichen des Kreuzes (dies Symbol der Christen) über mein Haupt machte, mit kindlicher, dankbarer Rührung zu küssen. Es ist keine Täuschung. Das Christenthum erhebt den Menschen zu einer bisher unbekannten Würde, und in diesem selbstsüchtigen Zeitalter, wo alle höheren Gefühle abgestorben, und die einzige Tugend, die einst die Menschen über den Staub erhob, die Vaterlandsliebe, ein nichtiges Gespenst geworden ist, scheint alle Seelen-Größe, alle Fähigkeit sich über das Sinnliche emporzuschwingen, in den kleinen Kreis der Christen sich zurückgezogen zu haben. Sie verzeihen ihren Feinden, sie beten für ihre Verfolger, indessen der größte Theil der Menschen Wiedervergeltung für erlaubt hält, und einige philosophische Secten Zorn und Rachgier als erhabene Aeußerungen unserer Seelenkräfte preisen und empfehlen.
Ich habe hier in Nikomedien sogleich Geschäfte gefunden, die mich auf eine unangenehme Art von der wehmüthig süßen Beschäftigung mit Larissens Andenken abriefen. Tiridates allzuweicher Sinn hat nicht vermocht, den Lockungen der Wollust zu widerstehen. Er war tief, tief gefallen. Es hat mich geschmerzt, ihn so zu finden. Doch sah ich auch mit Vergnügen, wie viel Kraft in diesem Geiste ist. Die Stimme der Tugend hat noch Macht über ihn; er hat sich ermannt, er hat entehrende Fesseln gesprengt, und wird zu seiner Pflicht zurückkehren. Es ist seltsam, wie in manchen Seelen die widersprechendsten[65] Eigenschaften, die sich einander aufzuheben scheinen, Platz finden können. Tiridates ist eine von diesen schwankenden, oder reichen Naturen. Noch eben mit dem Plan zu einem Feldzug, mit würdigen Unternehmungen für seine künftige Herrschergröße beschäftigt, achtet er es nicht zu gering, mit eben so viel Ernst und Eifer den Plan zu einem üppigen Feste zu entwerfen, liegt jetzt von Salben duftend, bekränzt, auf Persischen Teppichen ein verächtlicher Weichling, und springt beim Schalle der Tuba auf, sich zu waffnen, stürzt in die Schlacht, und fordert den gemeinsten Krieger heraus, Mangel, Ungemach und Gefahren mit größerer Standhaftigkeit und gelassenerem Muthe zu ertragen. Es ist, als ob zwei Seelen ihn belebten. Die Ueppigkeit des Hofes, die Buhlerei verworfener Geschöpfe, und der Umgang mit herzlosen Wollüstlingen hatten die bessere Seele in ihm auf eine Weile unterdrückt; jetzt hat sie sich wieder mächtig erhoben, er ist sogleich zum Heere abgegangen, und ich hoffe, es soll mir gelingen, ihn in dieser bessern Stimmung zu erhalten.
Mein freundschaftliches Verhältniß zu Calpurnien hat sich wieder angeknüpft, sie hat mir in einer Angelegenheit geschrieben. Wahrlich, Phocion! sie ist auch so ein Doppelwesen, ein weiblicher Tiridates in den Beschränkungen und Verhältnissen, die ihr Geschlecht nöthig macht. Ich kann ihr meine Achtung in gewisser Rücksicht nicht versagen; aber ich kann ihre Art zu denken nicht billigen. Wie man hier erzählt, soll der Kaiser ihren Vater als Proconsul nach Nikomedien bestimmt haben, und die ganze Familie im Frühling hierher kommen. Ich weiß noch nicht, ob ich mich über die Erneuerung dieser Verbindung freuen, oder sie fürchten soll. Leb' wohl!