Colombos Geist

[7] 1818.


Durch die Fluten bahnte, durch die dunkeln,

Sich das Schiff die feuchte Straße leicht:

Stürme ruhn und alle Sterne funkeln,

Als den Wendepunkt die Nacht erreicht.


Und der neuentthronte Kaiser stützte

Seine Stirne mit der tapfern Hand,

Eine Welle nach der andern sprützte

Um das Steuer des Northumberland.


An die Schlachten denkt der Held im Geiste,

Die er schlug, an sein erprobtes Heer;

Doch um ihn und seine Träume kreiste,

Einer Riesenschlange Gleich, das Meer.


Den des Südens Steppen nicht bezwangen,

Den der Frost des Nordens kaum besiegt,

Fühlt sich nun im engen Raum gefangen,

Auf dem Schaum sich hin und her gewiegt.


Als er hadernd solchem Truggeschicke

Gottes Ratschluß fodert vor Gericht,

Sieh, da zeigt sich seinem nassen Blicke

Eines Helden Schattenbild und spricht:


Klage nicht, wenn auch die Seele duldet,

Klage nicht, dir ist ein Trost bereit:

Was du leidest, litt ich unverschuldet,

Und Colombo nannte mich die Zeit.
[7]

Ich zuerst durchschnitt die Wasserwüste,

Über der du deine Zähren weinst,

Der Atlantis frühverlorne Küste,

Dieser Fuß betrat zuerst sie einst.


Nun erglänzt in heller Morgenstunden

Auferstehung jenes teure Land,

Das der Menschheit ich zum Heil gefunden,

Nicht zum Frondienst einem Ferdinand!


Du erlagst dem unbezwingbarn Norden;

Aber jene, die darob sich freun,

Werden zitternd vor entmenschten Horden

Ihren blinden Jubel bald bereun!


Aber kommt der große Tag der Schmerzen,

Und es hemmt ja nichts der Zeiten Lauf,

Nimm, Columbia, dann die freien Herzen,

Nimm Europas letzte Helden auf!


Wann das große Henkerschwert geschliffen,

Meinen Kindern dann ein werter Gast,

Kommt die Freiheit auf bekränzten Schiffen,

Ihre Mütze pflanzt sie auf den Mast!


Segle westwärts, sonne dich am Lichte,

Das umglänzt den stillen Ozean;

Denn nach Westen flieht die Weltgeschichte:

Wie ein Herold segelst du voran!


Sprach's das Schattenbild und schien vergangen,

Wie ein Stern, der im Verlöschen blinkt:

Freude färbt des großen Würgers Wangen,

Weil Europa hinter ihm versinkt.

Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 7-8.
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