15. An Goethe

[470] Wenn auch Natur mir Weihe verlieh, und auch,

Tonreicher Brust Urbilder ans Licht zu ziehn,

Mir Geisteskraft gab, ihr verschwisternd

Eine bewegliche, weiche Seele:


Mehr als Natur liehn Zeit und Geschick, sie liehn

Mir Wert des Daseins, Fülle des Gegenstands

Durch Ihn, den Schmuck Deutschlands und Bayerns,

Der das Erhabene denkt und ausführt.


Auf fernem Eiland wandelte schweifend ich;

Doch drang bis hieher, über Gebürg und Meer,

Wie König Ludwig dir, o Goethe!

Reichte den spätesten, schönsten Lorbeer.


Dies ist ein Kranz, Gleich jenem, wodurch Athen

Glorreichen Lohn schlang dichtender Siegerstirn,

Ja, welker ist, Glanzloser jener

Kapitolinische Zweig Petrarcas.


Denn daß die Dichtkunst irgend ein edles Volk

Aufregend hinreißt, Staunen erweckt es kaum;

Doch wer erstaunt nicht, wenn ein deutscher

König im Busen erzieht Begeistrung?


Schutzherr der Kunst wird? Seltener, seltner ist's,

Als jenes Manns Kronperle, die leuchtende,

Die einst der Ehrgeiz Kleopatras

Warf in den Becher und stolz zermalmte.
[470]

Dein friedlich Dach, Fußtritte der Könige

Noch nicht gewohnt, ehrwürdiger Sänger, der

Eugenien schuf uns, Iphigenien,

Eleonoren und Dorothea,


Weiht König Ludwigs heilige Gegenwart

Zum Tempel ein. Dich kränzte Verdienst, o Greis,

Und König Ludwig lebt, als müßt er

Werben um die er besitzt, die Krone.


Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 470-471.
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