Unterirdischer Chor

[171] (19. und 20. Mai 1832.)


Er ist begangen,

Der Völkermord!

Nun schwingt die Schlangen,

Ihr Furien alle,

Zerstört dem Würger

Der besten Bürger

Jedwede Lust,

Und setzt die Kralle

Ihm auf die Brust!


Er hat's erfüllet

Der Frevel Maß!

Ihr Furien, brüllet

Um ihn, den bangen,

Und lockt den Sünder,

Den Todverkünder,

In unsre Nacht.

Er hat's begangen,

Er hat's vollbracht!


Ihr mögt ereilen

Das Ungetüm

Mit euren Pfeilen,

Ihr mögt umspannen

Im Netz den Eber

Den Kettenweber

Der Sklaverei!

Ihr wißt, Tyrannen

Sind vogelfrei!


Den Gott zu spielen

War der imstand,

Der, vor so vielen

Geehrt und prächtig,

So viel vermochte;

Doch unterjochte

Er jedes Recht:

Er war allmächtig

Und war so schlecht!
[172]

Er baute Tempel

Dem Teufel selbst!

Nun soll den Stempel

Er auch empfangen,

Der große Quäler:

Es sein die Maler

Ihm aufgebrannt!

Er hat's begangen,

Er ist erkannt!


Ihn schilt Vernichter

Ein ganzes Volk;

Nun schreibt der Richter

Ihm jede Tat an.

Zu allen Fristen

Gewalt und Listen,

Meineidig Spiel!

Er ist ein Satan,

Die Maske fiel!


Schlachtopfer schleichen

In Wüstenein;

Voll sind von Leichen

Gefild und Schanzen;

Vor seinem Heere

Von Meer zu Meere

Ziehn Tod und Pest:

Er kommt, wir tanzen

Das schönste Fest!


Den Volksbezwinger

Grüßt sein Geschlecht

Mit blutigem Finger,

Der Missetäter

Zahlreiche Schatten:

Gefallne Gatten

Von Fraun bestrickt,

Erwürgte Väter

Im Bett erstickt!


Von Schmach und Greuel

Entwirrt sich ihm[173]

Ein langer Knäuel;

Doch kein Verbrecher

Ist ihm vergleichbar,

Dem unerweichbar

Der Busen schwoll:

Geuß ihm den Becher,

Megära, voll!


Er schlürft begierig,

Ihm ist von Blut

Die Lippe schmierig!

Und als Begleiter,

Als Schmeichler stottern

Ihm Molch' und Ottern

Loblieder vor:

Gesetzbefreiter

Monarchen Chor.


Sie singen laut ihm

Triumph, Triumph!

Doch ach, es graut ihm,

Wie sehr sie dudeln!

Wer hat dem Feigen

Mit Lorbeerzweigen

Die Stirn belaubt?

Harpy'n besudeln

Gesalbtes Haupt.


Er soll regieren,

Er soll den Thron

Der Hölle zieren!

Sein Reich in kalter,

Beeister Sphäre,

Wie groß es wäre,

Ist viel zu klein:

Er soll Verwalter

Der Hölle sein!
[174]

Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 171-175.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1834)
Gedichte
Gedichte. Auswahl.
Wer wusste je das Leben?: Ausgewählte Gedichte
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Gedichte: Ausgabe 1834

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

Camilla und Maria, zwei Schwestern, die unteschiedlicher kaum sein könnten; eine begnadete Violinistin und eine hemdsärmelige Gärtnerin. Als Alfred sich in Maria verliebt, weist diese ihn ab weil sie weiß, dass Camilla ihn liebt. Die Kunst und das bürgerliche Leben. Ein Gegensatz, der Stifter zeit seines Schaffens begleitet, künstlerisch wie lebensweltlich, und in dieser Allegorie erneuten Ausdruck findet.

114 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon