[81] Dreymal hat die winterzeit
Das begrünte sommerkleid
Wald vnd gärten abgenommen/
Dreymal ist der früling kommen/
Dreymal hat die sommerlust/
Dreymal hat der frische must/
Dreymal dreyen Pierinnen
Frey gelassen jhren sinnen.
Bis das süsse vaterland/
Welches weit vnd breit bekant/
Vnsern bräutgam hat bewogen
Daß er wieder heim gezogen.
Bald darauff so wurd' er kranck/
Jhm war zeit vnd weile lang/
Jhm war beyde tranck vnd essen/
Gantz zu wieder/ gantz vergessen.
Auch der schlaff/ wie süß' er ist
Dem dir ohne sorgen rüstt
War jhm bitter vnd zu wieder/
Macht' jhn kräncker/ macht' jhn müder.
Wenn jhm denn die matte ruh
Zog-die müden augen-zu/[81]
Must' er balde vor jhm sehen
Ein gespenste vor jhm stehen/
Ein gespenst' ein süsses thier
Ein gespenste/ daß jhm schier
Hätte durch sein' augen-kertze
Aus gebrennet seel' vnd hertze.
Solche träwme machten gar/
Daß er immer kräncker war/
Dacht' er dran/ so kont' er spüren
Daß jhn fror/ vnd in dem frieren/
Fühlt' er innerlichen brand/
Vnd was diesem ist verwandt:
Grossen durst vnd grossen schmertzen
Mattigkeit vnd angst im hertzen/
Neben häupt-vnd magen-pein.
Was mag diese kranckheit seyn?
Hat des wegen bald befohlen/
Daß man doch wolt' eilend holen
Einen doctor oder zween.
Welches also bald geschehn.
Er vermahnet/ er bat sehre/
Daß sie/ wenn es möglich währe/
Jhn zu retten/ thäten fleiß/
Denn jhm wäre trefflich heiß.
Aber/ wie es pflegt zu gehen/
Keiner konte recht ersehen/
Was jhm war/ vnd was für pein
Jhn möcht' angekommen seyn.
Kein Chymist/ auch nicht Galenus
Kan jhn retten ohne Venus/
Weder der Empedocles
Noch der weis' Hippocrates.
Jungfraw braut/ wenn jhr nur wollet/
Wie jhr könnt/ vnd wie jhr sollet/
Kan ewr heller augenschein/
Wol herr Freters cure seyn.
Ewrer äuglein Asteriten/
Ewrer äuglein Chrysolithen/
Ewre rosen-wängelein/
Ewr corallen-mündelein/
Ewre zierd' vnd ewre jugend/
Ewre zucht vnd ewre tugend
Machen/ wie sie jhn verwundt/
Euch vnd jhn gewiss gesundt.
Drumb/ herr bräutgam/ ohne sorgen/
Wartet nur auff nächsten morgen
Eh noch Phœbus auffgesteht/
Eh noch Phœbe schlaffen geht/
Eh die göldnen himmel-nothen
Durch des liechtes tages bothen
Werden abgeleschet seyn/
Eh noch Phœbus glantz vnd schein
Vnsern Horizont recht zieret
Ist her Freter schon curieret.
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