Die erste Saat

[182] (1841)


Hier ist die Stätte, seht! Hier fällten

Den unbetretnen Urwald wir,

Mit unserm Schweiße hier bestellten

Wir das jungfräuliche Revier!

Hier soll die Heimat sich erneuen,

Hier, von Europa wir verbannt,

Wolln wir den ersten Samen streuen

In dieses neue, fremde Land.


Reicht her das Korn – o sei willkommen,

Du unsrer Heimat teure Frucht,

Die wir als Erbschaft mitgenommen,

Als Pfand der Zukunft auf der Flucht!

Als wär's ein Kind, das wir versenken,

So streut dich zögernd unsre Hand,

Und unsre tiefsten Herzen denken

An das geliebte Vaterland.


Als du zuerst emporgewachsen,

Ein grüner Halm aus dunkler Gruft,

Am Elbestrand, im schönen Sachsen,

Da küßte dich die deutsche Luft;

Da schien auf dich, da floß hernieder

Die deutsche Sonne, deutscher Tau,[182]

Und deutscher Lerchen süße Lieder

Begrüßten die geschmückte Au.


Drauf als die Halme höher rauschten,

Als schon die Frucht im Keime schwoll,

O Gott, da standen wir und lauschten

Wehmütiger Erwartung voll.

Und als sich wiegten deine Ähren,

Gekleidet all in lautres Gold,

O damals, damals wieviel Zähren

Sind abwärts in den Sand gerollt!


Denn ach! schon suchten die Gedanken

Fern überm Meer ein neues Ziel,

Im Geiste schon sahn wir uns schwanken

Fernhin auf ungewissem Kiel:

Was nützt es, daß geerntet werde,

Was wogt das Korn, was blüht der Wein,

Soll nimmer doch auf deutscher Erde

Der Freiheit teure Saat gedeihn?


Und als man unter Spiel und Scherzen

Das reife Korn in Garben flocht,

Wie hat da schon in Abschiedsschmerzen

Der Busen ängstlich uns gepocht!

Die andern schwangen sich im Tanze,

Da schrie die Fiedel, klang das Horn:

Doch wir, im letzten Abendglanze,

Wir banden schweigend unser Korn. –


Nicht eine Hand voll Erde nahmen

Wir zum Valet von unsrer Flur:

Nur deutsche Frucht, nur deutschen Samen!

Denn Leben bringt Lebend'ges nur.

Und wie ein Fähnrich seine Fahne

Pflanzt auf des letzten Walles Rand,

So, jenseits nun dem Ozeane,

Wird es gepflanzt in fremdes Land.


O du, gesät in guter Stunde,

Du Samen unsers Vaterlands,

Wachs und gedeih in fremdem Grunde,

In einer andern Sonne Glanz![183]

Es wird dich keine Lerche grüßen,

Wie du sie einst vernommen hast,

Kein Kranz von Rosen wird versüßen

Des heißen Erntetages Last.


Und doch, will's Gott, so sollst du sprießen

In stolzen Halmen, frei und stark,

Und freie Männer solln genießen

Dein vaterländisch deutsches Mark.

So, während wir an fremdem Strande

Mit Tränen unsre Aussaat weihn,

O möge so im Vaterlande

Der Freiheit teure Frucht gedeihn!


Quelle:
Robert Eduard Prutz: Zwischen Vaterland und Freiheit. Köln 1975, S. 182-184.
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