Lob des Weins

[73] Wien im Herbstmond 1780.


O du, der du an mancher Tafelrunde

Mir Wonne gabst, o königlicher Wein!

Beseele mich, und lass mit frohem Munde

Mich deines Lobs entzückten Herold seyn!


Du offenbarst des Heuchlers schlauste Lügen,

Machst, Göttersaft! den Freund uns doppelt werth,

Und füllst das Herz mit traulichem Vergnügen,

Das Liebe selbst nicht halb so dauernd nährt.


Der Liebe Glut erkaltet mit den Jahren:

Ihr süsser Rausch fliegt nur zu bald dahin,

Indess, o Wein, noch Männer, grau an Haaren,

Trotz Schlag und Gicht, von deinem Feuer glühn.
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Du stärkst den Geist, giebst Nahrung und Gedeihen,

Und strömest Kraft in alle Glieder mir,

Du tröstest mich, wenn Sorg' und Gram mir dräuen,

Und meinen Muth, wem dank' ich ihn, als dir?


Drum sey mein Freund! Von deiner Glut begeistert,

Wandr' ich beherzt durch's Labyrinth der Welt,

Bis einst der Tod, der alles übermeistert,

Auch mich dem Schwall der Schatten zugesellt.

Quelle:
Joseph Franz Ratschky: Gedichte, Wien 1791, S. 73-75.
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