Zweiter Auftritt.

[161] Die Baronin, Horst tritt ein.


HORST. Darf ich mir schmeicheln, gnädige Frau, daß Sie meine Zudringlichkeit entschuldigen werden?[161]

BARONIN. Wenn es der Entschuldigung bedürfte, sollte ich nicht gern entschuldigen, was mir Vergnügen bringt?

HORST. Aeußerst gnädig.

BARONIN auf einen Stuhl deutend. Darf ich bitten!


Sie setzen sich.


HORST. Leider erfuhr ich erst jetzt, daß dieser unscheinbare Ort so glücklich ist, eine unserer ersten Dichterinnen unter seine Bewohner zu zählen.

BARONIN. Sehr verbindlich, Herr von Horst.

HORST. Aber auch im Augenblick der Abreise konnte ich mir das Glück nicht versagen, die Trägerin eines so hoch gefeierten Namens kennen zu lernen.

BARONIN. Man sollte nie dessen Bekanntschaft suchen, den man aus seinen Schriften kennt. Die Wirklichkeit bleibt immer hinter dem selbstgeschaffenen Bilde zurück; und die Enttäuschung erregt Mißbehagen.[162]

HORST. Bild und Wirklichkeit stimmen selten, darin haben Sie Recht, gnädige Frau. Aber Mißbehagen? Vielleicht dann und wann, oft aber auch nur Befremden; zuweilen, wenn auch selten, freudige Ueberraschung, wie hier.

BARONIN. Freudige Ueberraschung? Dann müssen Sie sich eine gräßliche Vorstellung von mir gemacht haben.

HORST. Gnädige Frau, Sie leihen meinen Worten einen anderen Sinn, wie ein übelwollender Recensent.

BARONIN für sich. O weh. Sie rückt ein wenig von ihm weg.

HORST. Wenn ich sonst mir eine Schriftstellerin dachte, stand sogleich eine runzel- und würdevolle Matrone, oder ein weiblicher Gnome, oder wenigstens eine verblichene herbstliche Gestalt vor mir. Fortan wird bei diesem Gedanken das strahlende Bild der Jugend und der Schönheit vor mein geistiges Auge treten.

BARONIN nieder näher rückend. Keine falsche Münze, Herr von Horst. Aber warum sollten denn nur bejahrte, oder von der[163] Natur vernachlässigte Frauen Schriftstellerinnen sein können?

HORST. Das weiß ich selbst nicht. Vermuthlich habe ich geglaubt, für eine junge schöne Frau sei es ein anziehenderes Loos durch Liebe zu beglücken und beglückt zu werden.

BARONIN. Wenn aber eine Frau die Göttergabe Phantasie in der Fülle empfangen hat, daß die Ahnungen eines höheren Seins, die in uns Allen liegen, sich ihr zur Anschauung verdeutlichen, sollte sie dann nicht jenes Glück sehr matt finden, und unwilkürlich in der vollkommeneren Welt der Kunst ein höheres Glück suchen müssen?

HORST. Dann freilich. Ich bin überwunden. Wenn ich jemals als Schriftsteller auftreten sollte, so würde ich Sie, gnädige Frau, flehentlich bitten, mich nicht zu recensiren.

BARONIN für sich. O Himmel. Sie rückt von ihm weg.

HORST. Werden Sie die Welt bald wieder mit einem neuen Erzeugnisse Ihres schöpferischen Geistes beglücken?[164]

BARONIN wieder näher rückend. Ich habe allerdings eine Arbeit begonnen: wie gestattete auch eine lebhafte Phantasie Untätigkeit!

HORST. Die Stille dieses Ortes ist gewiß dem schaffenden Genius günstig?

BARONIN. Sehr günstig für das innere Leben.

HORST. Und literarisch unwichtig ist der Ort nicht. Erscheint doch hier eine vielgelesene Zeitschrift.

BARONIN für sich. O weh! Sie rückt wieder ab.

HORST. Sie ist nicht ohne Werth. Noch kürzlich stand eine Recension darin – – –

BARONIN für sich. O Himmel! Sie rückt weiter.

HORST. Die Ihnen vermutlich bekannt ist?

BARONIN. Vielleicht – ich lese nicht alles – entsinne mich nicht.

HORST. Nie habe ich auf so engem Raume einen größeren Reichthum an Geist, Scharfsinn und tiefer[165] Kenntniß entfaltet gesehen. Der Verfasser muß ein tiefer Denker sein, und doch finden sich wieder häufig Züge jener feinen Menschenkenntnis die nur Ihrem Geschlechte eigen ist. Wäre es möglich, so möchte man auf eine Verfasserin rathen.

BARONIN wieder näher rückend. Sollte es denn so ganz unmöglich sein?

HORST. O, ich wünschte, sie wäre von Frauenhand zur Ehre des Geschlechtes, das ich so innig verehre. Sie hat mich unglaublich gefreut, nicht allein des tiefen Gehaltes wegen, sondern auch weil der abscheuliche »Atreus und Thyestes« und dessen Verfasser dieses Urtheil verdienen.

BARONIN. Kennen Sie den Verfasser?

HORST. Leider, gnädige Frau. Es ist ein gewisser Löwenklau, ein reicher Abenteurer, der in allen Ländern Europa's Besitzungen hat; der roh'ste und fürchterlichste Mensch, den ich je gekannt, Schläger aus Blutgier, Trunkenbold aus Ingrimm gegen die Vernunft und gegen Ihr Geschlecht; – dürften Sie hören, was ich erzählen könnte, Sie würden schaudern![166]

BARONIN sehr laut. Gott stehe mir bei!


Quelle:
Ernst Raupach: Dramatische Werke komischer Gattung. Hamburg 1829, S. 161-167.
Lizenz:
Kategorien: