Toten-Tanz

[573] Sie brauchen kein Tanz-Orchester;

sie hören in sich ein Geheule

als wären sie Eulennester.

Ihr Ängsten näßt wie eine Beule,

und der Vorgeruch ihrer Fäule

ist noch ihr bester Geruch.


Sie fassen den Tänzer fester,

den rippenbetreßten Tänzer,

den Galan, den ächten Ergänzer

zu einem ganzen Paar.

Und er lockert der Ordensschwester

über dem Haar das Tuch;

sie tanzen ja unter Gleichen.

Und er zieht der wachslichtbleichen

leise die Lesezeichen

aus ihrem Stunden-Buch.


Bald wird ihnen allen zu heiß,

sie sind zu reich gekleidet;

beißender Schweiß verleidet

ihnen Stirne und Steiß

und Schauben und Hauben und Steine;

sie wünschen, sie wären nackt

wie ein Kind, ein Verrückter und Eine:

die tanzen noch immer im Takt.

Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 573-574.
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