Das Gesellenstück

[104] Mahagoni auf Eiche furniert.

Deckel sauber scharniert.

Alle Bretter gefedert, gespundet.

Die Ecken fein weich gerundet.

Die Seitenwände mit tief geschnitzten

Weintrauben und Schellfischen geziert.

Das war bei Weber in Osnabrück

Mein Gesellenstück.


Selbst Wasmann und Peter sagten 1910:

Solch einen Sarg hätten sie noch nie gesehn.


Ohne mich rühmen. Das soll einer machen.

Und dabei alles selber gemacht.

Die Griffe kupfergeschmiedete Drachen,

Die Füße gedrechselt (((Acht, sacht, Pracht, lacht, gedacht))),

Auf den Deckel in Rundschrift fein säuberlich

Eingebrannt: »Sarg für Frau (Doppelpunkt Strich)«.

Inwendig ein roßhaargepolstertes Bett,

Rosa Pünktchen auf Gelb-Violett.

Ich habe manchmal des Studiums wegen

24 Stunden darin gelegen.

Da war ein durch schöne Bilder verdecktes

Speiseregal zur linken Hand,

Wo Camembert, Zwieback und Butter stand

Und Trockengemüse und Eingewecktes. –


Auf den leisesten Druck mit der Zehe im Schlaf

Löste sich zu Fußende ein Kinematograph

Und zeigte abwechselnd »Brudermord«

Und »Torpedoangriff an Steuerbord«.

Alle zwei Stunden von selbst automatisch

Spielte ein Grammophon ganz zart:

»Ich bin der Doktor Eisenbarth.«


Außerdem roch es dort sehr sympathisch

Nach Moschus, Kampfer und kalter Küche.

Von wegen die Leichengerüche.[105]

Und dann die Technik und das Komfort:

Kalender, das Telefon rechts am Ohr,

Glühbirnen und Klingeln. Ein tolles Gewirr.

Auch ein kleines, versilbertes Nachtgeschirr. –

Und Wasserstandglas und Thermometer.

Kurz herrlich! herrlich! – Wasmann und Peter

Hätten mir glattweg fünftausend Mark

Und doppelt soviel gezahlt für den Sarg.

Und das war damals ein Geld, wenn man's denkt.


Aber ich hänge nicht so am Golde. –

Und so hab ich ihn dann meiner Tante Isolde

Zum 70. Geburtstag geschenkt.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 104-106.
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