Es schneit

[335] Es schneit dicke Flocken,

Nicht warm, aber frisch gebacken.

Die setzen sich in meine Dichterlocken,

In meinen Schiebernacken,

Auf meine Smoking-Socken.


Sie machen den Polizisten

Gemütlich zum Weihnachtsmann.

Da legen die Touristen

Ihre Polarausrüstung an.


Wir wollen uns alle zusammentun,

Um den Beschluß zu fassen:

Es dürfen alle Sachsen von nun

An nicht mehr ihr Land verlassen.
[335]

Sie querten mit wilder Behaglichkeit

Karlmayisch gedachte Fernen

Und blieben Sachsen. Es wird für sie Zeit,

Sich selbst erst mal kennenzulernen.

Es schneit.


Wenn hundert Leute sich einig sind,

Dann fühlen sich die als Giganten

Und schwafeln vor einem vernünftigen Kind

Wie taube verwunschene Tanten.


Es schneit. Wie in unserer Kinderzeit.

Zum Wintersport eingeladen,

Gehe ich schlafen. Es schneit. Es schneit.

Es schneit für den Landmann Kuhfladen.


Es schneit für die Zukunft Straßendreck.

Auf Gräber schneit's weiße Rosen.

Doch es schneit Erbsensuppe mit Speck

In die Taschen der Arbeitslosen.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 335-336.
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