Daphnis wünschet einmal frei zu sein

[185] O wie so selig muß doch sein

Ein Vöglein in den Lüften,

Die Nachtigal beim Bächelein,

Der Fuchs im finstern Klüften,[185]

Die Schlang' im Busch, ein Fisch im Meer,

Der Teucher in den Seen,

Der edler Hirsch, so hin und her

Mag in den Wäldern gehen!

Die Thier' in ihrer Einsamkeit

Die dörfen sich nicht klagen,

Noch, wie ich muß, zu jeder Zeit

Sich mit Gedanken plagen;

Sie suchen ihre Freud' und Lust

In Wassern und in Weiden,

Und ihrer keinen ist bewust,

Was seufzen sei und leiden.

Die Freiheit ist ihr höchstes Gut,

Ihr einig All, ihr Leben;

Ich aber, wie ein Schlave thut,

Muß stets in Sorgen schweben;

Ich bin verstricket Tag und Nacht

Mit schweren Liebesbanden,

Ja, werde durch der Schönsten Macht

Fast ganz und gar zu Schanden.

Ach, möcht' ich nur so glücklich sein

Wie die, so mit den Flügeln

Sich schwingen in die Luft hinein

Und wohnen auf den Hügeln:

Die wißen recht, was Freiheit ist,

Was scherzen heißt und lieben;

Ich aber muß, durch fremde List,

Ohn' Ende mich betrüben.

So wünsch' ich, wie die Nachtigal

In Einsamkeit zu singen

Und wie ein Hirsch durch Berg und Thal

In Freiheit herzuspringen,

Ja wie die Schlang' in finstrer Höhl'

Auch einst mich frei zu machen.

So kan mein hochbetrübte Seel'

Im Wunsch auch herzlich lachen.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 185-186.
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