Der Kaiser von Byzanz

[199] Der Kaiser von Bysanz saß einsmals sonder Sorgen

Bei seinen Räten bis schier an den lichten Morgen,

Vom Wein und Freuden voll, stund endlich auf und kam

Zu einem klugen Rat, den er besonders nahm,

Sprach: »Freund, du bist mir lieb, jetzt solt du was begehren;

Sag an, was sol es sein? ich wil dirs schnell gewähren;

Denn deine große Treu hats ja vorlängst gemacht,

Daß ich mit Gaben dich zu ehren bin bedacht.«

»Nein«, sprach der tapfer Mann, »ich lasse mich begnügen

An kaiserlicher Gnad', als die mir kan zufügen

Das, was mir nötig ist; ich habe schon so viel,

Als ich zu diesem mal nicht bitten kan noch wil.«

»Wol«, sprach der Kaiser dann, »dieweil dirs nicht ist eben,

Zu bitten, kan ich auch wol ohngebeten geben:

Ich wil, was heimlich ist, dir alles zeigen an,

Ja, was mein Ehgemahl kaum recht erfahren kan;

Was meine Seele weiß, das wil ich dir vertrauen.«

»Nein«, rief der kluge Rat, »ach, Herr, jetzt thut mir grauen,

Die Gnad' ist gar zu groß, drum wil ich den Bericht,

Den niemand wissen sol, auch selber wissen nicht.«

Der Kaiser wolt' hierauf der Reden Ursach hören.

»Ganz gerne«, sprach der Rat, »das wil ich schleunigst lehren,

Warum, o großer Herr, ich gänzlich nicht begehr',

Zu wissen, das mir einst kan schaffen viel Beschwer.

Es ist ja mancher Herr, der kaum sich selber zwinget,

Daß er nicht unters Volk sein' Heimlichkeiten bringet,

Und wann sichs dann begibt, daß das, was heimlich war,

Wird durch ihr eignes Maul den Leuten offenbar,

So muß der oft die Schuld, der ohne Schuld ist, tragen,

Fällt drob in Ungenad'.« Hie muß ich nochmals sagen:

Ein recht verständig Herz das hütet sich fürwahr

Vor Herren Heimlichkeit, so bleibt es ohn' Gefahr.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 199-200.
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