St. Petri Fasnacht

[83] St. Petrus saß am Himmelsthor,

Vernahm nicht viel vom Engelschor,

Der drinnen gar so schön erscholl;

War von Gedanken übervoll,

Und merkt nicht, wer mit stillem Gang

Geschritten kam den Weg entlang.

Der Herr blieb im Vorübergehn

Betrachtend bei dem Pförtner stehn.

Nun, Petre, spricht er, so versenkt?

Hast etwas, das dein Herze kränkt?

Machst ein Gesicht gar, fast ergrimmt,

So sag nur, was dich bitter stimmt!

St. Petrus fuhr erschreckt empor,

Zu schaun den Herrn am Himmelsthor,

Und seufzend recht aus tiefer Brust

Begann er: Herr, dir ist bewußt,

Wie ich von guter Erdengab'

So wenig nur genossen hab,

Zu wirken für das ewig Heil,

Mühsal und Arbeit war mein Theil.

Nun dacht' ich, wie jetzt auf der Erd

Das Feuer brennt auf jedem Herd,

Und meine Freundschaft diesen Tag[84]

Zur Fasnacht froh sich rüsten mag,

Vergessen aller Arbeitsnoth

Mit Mummenschanz und Gastgebot,

Derweil ich hier so sitz allein.

Das ging mir durch die Sinnen mein,

Und schien mir Alles doppelt werth,

Was ich versäumt hab und entbehrt. –

Der Herr mit Milde drauf beginnt:

Ei Petre, bist du so gesinnt,

So käm's auf den Versuch nur an,

Ob das dich noch erquicken kann.

Urlaub drei Tag' ist dir gewährt,

Dabei sich grad' genug erfährt,

Ob Eins für Fasnacht, Gasterei

Und Lustbarkeit der Mann noch sei.

Zu deiner Freundschaft magst du gehn,

Dein Amt wird hier derweil versehn.

Doch sei bei guter Zeit zurück! –

St. Petrus dankt dem Herrn voll Glück,

Und hebt sich zu der Stadt geschwind,

Wo ihm der Vettern viel noch sind.


Die schau'n ihn mit Verwundrung an,

Scheint ihnen kaum derselbe Mann,

Den sie so lang für todt beklagt.

Doch Petrus sie belehrt und sagt,

Wie gut er in der andern Welt

Als Pförtner sicher angestellt,

Zeigt ihnen zum Beweis auch gleich

Den Schlüssel dar vom Himmelreich,

Den er in gutem Vorbedacht[85]

Zu sich gesteckt und mitgebracht.

Nun war die Freud' erst übergroß,

Die ganze Freundschaft macht sich los,

Und gönnt zu feiern sich nicht Rast

So fürnehm und so seltenen Gast.

Und was er sonsten wohl entbehrt,

Ward ihm im Uebermaß bescheert. –


Die dritte Nacht verging der Welt,

Den vierten Tag die Sonn' erhellt.

St. Peters Urlaub überschritt

Den fünften und den sechsten mit.

Der Herr, gelassen, harrt der Ding',

Am siebten Tag doch selber ging,

Zu sehen nach der Himmelsthür.

Kein Petrus trat ihm noch herfür.

Doch drauß ist eine Schaar bereit

Von neuen Sel'gen, die zur Zeit

Das Himmelreich verschlossen fand,

Dieweil der Pförtner über Land.

Allein, wie so die Sel'gen sind,

So machten sie es gar gelind,

Und saßen ohne viel Rumor

Gar friedlich plaudernd vor dem Thor.


Der Herr that weiter seinen Gang,

Da sah er an der Mau'r entlang

Gar leisen Schrittes Petrum gehn,

Als würd' er lieber nicht gesehn.

Wich drum der Herr auch von dem Ort,

Bis er ihm böte selbst das Wort.[86]

Nicht lang, der Pförtner trat auch dar

Gesenkten Haupts und ängstlich gar,

Recht eines Sünders Ebenbild.

Der Herr empfängt ihn doch gar mild:

Nun, Petre, solcher Fasnacht muß

Bescheert sein reichlicher Genuß,

Da du den Urlaub doppelt nahmst!

Nur gut, daß du noch wiederkamst!

Ging's gar so fröhlich her dabei?

St. Petrus athmet wieder frei,

Da er so gütig hört den Herrn,

Erzählt ihm drauf von Allem gern,

Wie er beim Mummenschanz gelacht,

Und wie es ging bei Tag und Nacht.

Der Herr ihm hört gar lange zu,

Beginnt darauf in stiller Ruh:

Für all das Gute, deß ihr pflagt,

War doch ein Dank auch mir gesagt?

Und zwischen Freud und Lustbarkeit

Wann nahmt ihr euch zum Beten Zeit?

St. Petrus stand bedenklich sehr,

Zu lügen trug er nicht Begehr,

Drum sprach er kleinlaut: Herr, du weißt

Was man die rechte Fasnacht heißt!

Zum Beten, wenn das Fest vorbei,

Ist Aschermittwoch wieder frei.

Zudem, es war ein reiches Jahr,

Der Wein gerathen wunderbar,

Die Scheuern jeder Ernte voll.

Der Segen bis zum Giebel schwoll,

Die Leut' und Vettern wußten kaum[87]

Für all das liebe Gut sich Raum!

Der Herr darauf: Da dir's behagt,

Sei dir, mein Petre, nicht versagt

Ein Urlaub für das nächste Jahr.

Und da zu knapp er heuer war,

Setz ich drei Wochen gleich dir aus.

Wiewohl, wenn du dich hebst von Haus

Das nächstemal, giebst du zuvor

Den Schlüssel mir vom Himmelsthor! –


Und als herum des Jahres Kreis,

St. Peter gürtet sich zur Reis'

Und braucht den Herrn zu mahnen nicht.

Drei Wochen ist er los der Pflicht

Und hofft sich aller Freuden Maaß

Vom Urlaub auf der Vetternstraß.

Der Herr indeß zum Garten schritt,

Die Bäum und Reben selber schnitt,

Und hörte, wie von fern erklang

Der Seinen seliger Gesang.

Und als der erste Tag dahin,

Er trat zur hohen Mauerzinn',

Und sah, wie Petrus, eilend sehr

Gelaufen kam den Weg daher.

Und als der Pförtner vor ihm stand,

Der Herr begann: Bist früh zur Hand!

Drei Wochen durftest bleiben drauß,

Der erste Tag ist eben aus!


Ach, Herr! spricht Petrus, dieses Jahr

Nimmt man der Fasnacht wenig wahr,[88]

Und will, von wegen böser Zeit

Man hören nichts von Lustbarkeit.

Die Ernte konnt nicht schlechter sein,

Ein mißlich sau'r Getränk der Wein,

Und Raps und Gerste, Obst und Korn,

Verhagelt Alles hint und vorn;

Die Vettern sehn nicht ein noch aus.

Dem einen liegt die Frau im Haus,

Dem andern krank der Kinder drei,

Und hört man nichts als Wehgeschrei.

Dem starb das Vieh, dem brannt die Scheur,

Das Geld ist knapp, das Brod ist theur.

Drum, weil nach Fasnacht Keins begehrt,

Bin ich in Eil zurückgekehrt.


Der Herr darauf: Da hörtest du

Wohl manchem Angstgebete zu?

Ihr Glück weiß nichts von Dankgebot,

Ihr Beten ist nur Schrei der Noth. –

Da wirft sich Petrus auf die Knie

Und ruft: Ja, Herr, jetzt beten sie!

Und baten mich, des Jammers voll,

Daß ich's bei dir vermitteln soll,

Von ihnen abzuthun das Leid,

Das Alle preßt zu dieser Zeit!

Der Herr dagegen: Laß das ruhn,

Und geh nun, deine Pflicht zu thun!

Wem ich den rechten Platz verliehn,

Den soll's nicht da und dort hin ziehn.

Was sich die Welt zur Lust begehrt,

Ward manchem reichlich wohl bescheert,[89]

Viel reicher ist, wer frohgemuth

Im Herzen trägt sein Hab und Gut.

Wenn jedem Eigen droht Gefahr,

Kann er doch spenden immerdar.


Quelle:
Otto Roquette: Gedichte, Stuttgart 31880, S. 83-90.
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