Dritte Szene

[90] Vorige. Der Mann. Die Frau.

Der Mann und die Frau kommen.


DER MANN. Gestern, gestern: schwere Steine, Schüsse, Militärkolonnen, Mauern stürzen. Heute zischt die Luft um mich, ich rühre keinen Menschen an, ich ströme für euch dahin, wie das Wasser unterm Kiel. Ich bin für euch da, meine Brüder, ich will für euch arbeiten, ich wasche euch das Verdeck, ich koche euer Essen, ich trag euch in die Hängematte, wenn ihr krank seid. Oh, wie klein ist das alles, was ich für euch tue, meine Blutstropfen sind für euch da.

NAUKE. Ein einziges Gläschen Magentropfen wär mir lieber als die großmütigst vergossenen Blutstropfen. Wer für uns da ist, der genießt seine Freiheit und hilft uns bei unserm Spaß. Ich bin dafür, daß heute deine schöne Frau bei mir in der Kajüte bleibt. Hallo, Bruder, hapert's da? Deine Frau bei mir!

DIE FRAU. Ich gehöre euch! Ich flicke euere Fetzen, ich kämme euch die Läuse aus den Haaren, ich singe euch eure müßigen Minuten vor. Was ist das alles? Seid ihr denn schon selig? Wir sind noch weit von den Menschen![90] Um uns muß die ganze Welt brennen, die Vergangenheit muß wie Munitionsstädte zum Himmel explodieren, wir müssen über die Erde rasen und die Menschen befreien – und unser Leben ist so kurz!

NAUKE. Freiheit: davon müssen wir was haben. Das Leben ist kurz; seit ich aus meiner Mutter gekrochen bin, weiß ich, daß es mit Essen und Trinken vorbeigeht; ein paarmal einem Weib um den Hals gefallen, und eines Tages fliegst du vom Schiff ins Wasser mit einem Schlag auf den Hinterkopf und bist tot. Die anderen Menschen sollen's ebenso gut haben wie wir, aber wir müssen das fette Beispiel geben. Die Flaschen herauf, sag ich, die Flaschen, und die Eßnäpfe nicht vergessen! Einen Schinken hab ich unter der neuen Ladung entdeckt, einen Schinken, saftig wie Weiberbrust. Wer nicht für das große Freiheitsessen und trinken ist, der ist ein Verräter!

OFFIZIER zu Anna. Mach mit mir, was du willst. Ich bin die Planke für deinen Fuß. Für alle Menschen werd ich dasein, ewig in dir!

NAUKE. Ihr da unten, Flaschen herauf, den Schinken herauf!


Quelle:
Ludwig Rubiner: Der Dichter greift in die Politik. Leipzig 1976, S. 90-91.
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