Philosophie der Diebe

[90] Jede Kunstbetrachtung aus der Kunst heraus nimmt als ganz selbstverständlich Besitz von bereits Vorhandenem, Festgelegtem. Künstlertheorien sind Methoden, eine Erbschaft anzutreten. Der Diebstahl als Genussmittel.

Verwirklichung in der Kunst ist ja nie wahre Schöpfung, sondern nur das In-Übereinstimmung-Bringen des Ausdrucks mit der Absicht. Und das gilt jenen Kindsköpfen schon als das Höchste im Leben Erreichbare. Dabei anzumerken die rein zeitliche Einseitigkeit, die Kunst auf »Ausdruck« festzulegen. Ausdruck ist ja nur die invertierte Einfühlung. Der »Ausdruck« der Kunst (Expression) ist nichts Geistiges, sondern[90] immer noch an die Besitzvorstellungen gekettet. Eine Besitzentleerung. Zum Besitz für andere. Diese Kunst kommt nicht los vom Umkreis des Besitzes. Sie steht nicht ausserhalb. Sie wertet nicht. Sie ist ungeistig. Sie bestätigt immer nur die Welt. Sie ändert sie nicht.

Quelle:
Ludwig Rubiner: Der Mensch in der Mitte, Potsdam 21920, S. 90-91.
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