Symbolische Handlungen

[94] Symbolische Handlungen sind nichts wert. Eine Handlung, die Versprechungen macht, ist keine. Sollen wir etwa den Riesenreif des Ungetanen, das Vakuum des Nichtausgeführten aus unseren Einzelwünschen ergänzen? Theorie des Fresko. Der Schwindel der Geste. Es bleibt das Vakuum. Das Nichtgetane, die blosse schöne Geste des Tuns, enthält nicht etwa irgendeine geheime, in ihm ruhende Energie zu Taten! Keine Immanenz. Allein in der vollen, beschränkten, getanen Handlung ruht die Energie-Immanenz zu Neuem.

Die symbolische Handlung, die Geste, bleibt die Intensität des Tuns schuldig. In der Geste liegt nicht die Intensität des Sprengenden, sondern die Zufriedenheit des Schauenden. Der Schauende schliesst ab und ist zufrieden. Das weltberühmte Wort jenes Franzosen, der im Café von einem Bombensplitter getroffen wurde, »q'importe, si le geste est beau«, dieser Leitsatz der Symbol-Politik ist infantile Verschleuderung des Wichtigsten an Kunstausstellungsgefühle. Der Atavist meint zu besitzen, was zu schauen ist; was von Allen zu schauen ist, meint er, sei Aller Besitz. Er glaubt, der Besitz Aller sei Aller Glück. Und denkt, der Ruhepunkt des Glücks ändere die Welt. Denn nicht anders als wir alle will auch er ändern. Aber wie niggerhaft fetischistisch, wie ahnungslos, wie atelierfreundlich ist die symbolische Ansicht: nur das Schaubare, nur das Bild, nur das fürs Aug' fertig Gerahmte sei Realisierung. Das Sinnenhafte, das Bildliche, das Vergleichsmässige, das »Wie« einer Handlung, das Augenmessbare, – dies ist alles nur fürs Publikum da. Wäre das ungeheure Mass an Mut des Einzelnen, das zur Schau in Publikumsarbeit verschwendet war, in Intensität[94] umgesetzt worden, so wär etwas geschehen. Aber wenn die ganze Welt etwas sieht, so ruht sie um die Handlung selbst. Sie ruht, nur ruhend, beruhigt über ihre Unruhe, auf einer gigantischen Tragödien-Kuriosität.

Der Franzose, der eine Bombe ins Pariser Café warf, hat dadurch nicht alle Kapitalistencafés zum Schliessen veranlasst. Die Ermordung eines Erzherzogs beseitigte nicht die Kriegsgefahr zwischen Österreich und Serbien. D'Annunzio, der Triest im Aero überflog, eroberte die Stadt nicht für Italien. (Deswegen bleibt d'Annunzio doch der mächtigste – und ausgenutzteste–Anreger der heutigen Literatur. Und man denke: wenn dieses Mundstück seine Oden nicht für sondern gegen den Krieg gekehrt hätte – wie unsterblich stände Europa da!) Symbolische Handlungen schaffen nie etwas in der Absicht der Handlungen. Nur Staunen über das blutige Augenspiel. Es bleibt beim Schaustück.

Tolstoi, ohne Armfuchteln, so unsymbolisch, dass er aus Nachgiebigkeit noch kurz vorm Tode seinem Weiberhause entlief, Tolstoi hat mehr getan.

Quelle:
Ludwig Rubiner: Der Mensch in der Mitte, Potsdam 21920, S. 94-95.
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