[O Bild von meinem Knaben]

[291] O Bild von meinem Knaben,

Du bist nicht ganz getroffen,

Und doch so sprechend ähnlich,

Will das sich widersprechen?

Ich weiß es auszugleichen,

Und löse so das Räthsel.
[291]

Als ich in meiner Burg hielt,

Das heißt in meinem Hause,

Den Freund von Hildburghausen,

Und ihm der Geist es eingab,

Zum Unglück um zum Glücke,

Zum leid'gen Trost im Leide,

Mit Farbenglanz ein Scheinbild

Des Lebens zu erschaffen,

Und mir ins Haus zu stiften

Zu ewigem Gedächtniß,

Von meinen beiden Kindern,

Die früh erblassen sollten;

Da malt er erst das Mädchen,

Das nun zuerst gestorben,

Darauf nach vierzehn Tagen

Den Knaben, der dem Mädchen

In vierzehn Tagen nachstarb.

Wie wenig sah er damals

Zum Sterben aus, zum Welken,

Der Lebensblüthenreiche;

Der Blüthenlebensvolle!

Da saß er gegenüber

Dem Maler in der Kammer,

Der vor der Staffelei saß,

Von der Natur gemalet,

Ein Bild der Liebesanmuth.

Mit Lächeln, das zum Voraus

Beschämend, das der Zauber

Der Kunst ihm wollt' entwenden;[292]

Dem Künstleraug' entgegen

Mit kühner Unschuld haltend

Den Abgrund seiner Augen,

Die unbewußten Trotzes

Zum Kampf den Pinsel fordern,

Ein dunkles Licht zu malen.


Ich ließ in diesem Kampfe

Den Bildner und das Urbild

Und schrieb an meinem Stehpult

Im Zimmer an der Kammer.

Doch konnt' ich viel nicht schreiben,

Denn immer mußt' ich lauschen

Dem nebenan inzwischen

In Gang gekommen, strömend

Im Zug erhaltnen Sitzungs-

Gespräche meiner Nachbarn.


Der Künstler hat den Grundsatz,

Und auch dazu die Gabe,

Im Sprechen so viel möglich

Die Sitzenden zu setzen,

Daß ihre Mienen sprechen,

Und so dann auch die Bilder.

Und diesem Umstand dank' ich's

(Somit lös' ich das Räthsel),

Daß ich das Bild des Knaben

Nun sprechend ähnlich finde,

Wenn auch nicht ganz getroffen.[293]

Der Maler traf die Züge,

Die Mienen, die belebten,

Die hielt er fest, die Worte,

Die sie belebten aber,

Ließ er dabei verfliegen;

Womit konnt' er sie halten?

Ich aber hab' im Ohre,

Dem lauschenden, behalten

Den süßen Schwarm von Bienen,

Der dieser Rosenknospe

Des Mundes honigduftend

Entquoll, vom Athem trunken.

Und seh' ich nun das Bild an,

So hängen sich die Trauben

Von Bienen an die Rose,

Und summen ins Gemüth mir

Schwermüthge Schwärmereien,

Ansprechend mit dem Nachklang

Der nun versiegten Quelle

Des kindlichen Geschwätzes,

Ansprechend die Erinnrung

Im tiefsten Grund der Seele,

Um ew'ge Lieb' und Trauer

Und Freud' am schönen Bildniß.

So wird das Bild nun freilich,

Als wie zu mir, zu keinem

Beschauer sprechen können,

Der es nur sieht, nicht hört auch.

Quelle:
Friedrich Rückert: Kindertodtenlieder aus seinem Nachlasse, Frankfurt a.M. 1872, S. 291-294.
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