Drittes Grab

[33] Zu Ottensen, von Linden

Beschattet, auf dem Plan,

Ist noch ein Grab zu finden,

Dem soll, wer trauert, nahn.


Dort in der Linden Schauer

Soll lesen er am Stein

Die Inschrift, daß die Trauer

Ihm mag gelindert sein.


Mit seiner Gattin lieget

Und ihrem Sohne dort

Ein Sänger, der besieget

Den Tod hat durch ein Wort.
[33]

Es ist der fromme Sänger,

Der sang des Heilands Sieg,

Zu dem er, ein Empfänger

Der Palm', im Tod entstieg.


Es ist derselbe Sänger,

Der auch die Hermannsschlacht

Sang, eh' vom neuen Dränger

Geknickt ward Deutschlands Macht.


Ich hoffe, daß in Frieden

Er ruht' indes in Gott,

Nicht sah bei uns hienieden

Des Feinds Gewalt und Spott.


Und so auch ruht' im Grabe

Sein unverstört' Gebein,

Als ob geschirmt es habe

Ein Engel vorm Entweihn.


Es sind der Jahre zehen

Voll Druck und Tyrannei,

Voll ungestümer Wehen,

Gegangen dran vorbei.


Sie haben nicht die Linden

Gebrochen, die noch wehn,

Und nicht gemacht erblinden

Die Schrift, die noch zu sehn.


Wohl hat, als dumpfer Brodem

Der Knechtschaft uns umgab,

Ein leiser Freiheitsodem

Geweht von diesem Grab.


Wohl ist, als hier den Flügel

Die Freiheit wieder schwang,

O Klopstock, deinem Hügel

Enttönt ein Freudenklang.
[34]

Und wenn ein sinn'ger Waller

Umher die Gräber jetzt

Beschaut, tret' er nach aller

Beschau'n an dies zuletzt.


Wenn dort ein trübes Stöhnen

Den Busen hat geschwellt,

So ist als zum Versöhnen

Dies Grab hieher gestellt.


Die Thränen der Vertrieb'nen,

Des Feldherrn dumpfe Gruft,

Verschwinden vorm beschrieb'nen

Stein unterm Lindenduft;


Wo wie in goldnen Streifen

Das Wort des Sängers steht:

Saat von Gott gesät,

Dem Tag der Garben zu reifen.

Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 33-35.
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