Die gnädige Frau

[230] Wir haben eine gnäd'ge Frau,

Die ist so weich von Herzen,

Die Augen stehn ihr gleich voll Tau,

Wenn andre munter scherzen.

Und hätte sie mehr Nadelgeld,

Sie heilte alle Schmerzen

Im Dorf und in der ganzen Welt.


Sie kann, zu knicken einen Floh,

Über das Herz nicht bringen,

Sie läßt ihn lieber frei und froh

Hinaus zum Fenster springen.

Doch wenn er sich ein Bein verstaucht,

Wie wird sie es erschwingen

Zu zahlen den Bader, den er braucht?


Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 230.
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