[124] In dem rosenton Hans Sachs.
25. septemb. 1541.
1.
Es wont ein pfaff im welschen lande,
Facetus was sein nam genande,
der ein toten begraben wolt,
als er sein lob im sprechen solt,
was tugent der verstorben hete,
nach gewonheit der welschen stete.
Der tot hieß Lupus, war ein diebe,
ein mörder, vol hurischer liebe,
ein wucherer und buseron,
und der merrauber ein haubtman,
ein trunkenbolz, vol aller groben
laster, das er in nit kunt loben.
Als er trat zu der totenbar,
do sprach er zu des volkes schar:
»ich sol des toten lob verjehen:
so muß es durch gleichnus geschehen:
auf erden sint viererlei tier;
iedes hat ein sunder manier,
nach den sich all menschen vergleichen,
die jungen, alten, arm und reichen.
2.
Das erst tier ist nutz in seim leben,
tut nach dem tot kein nutz mer geben;[124]
das ander nutzt im leben nicht,
im tot vil guts von im geschicht;
das drit tier im leben und tote
nutzt alzeit den menschen und gote;
Das vierte tier, das ist nit gute
im leben, tot, wie man im tute.
merk das erst tier, das ist ein katz;
im leben weichet maus und ratz
vor ir aus haus, kuchen und stuben,
tot wirft man sie int schelmengruben.
Das ander tier, das ist ein sau,
die hilft zu keinem ackerbau,
geit auch kein milich und kein wolen
und balt sie wirt dem tot befolen,
so geit sie braten würst und speck,
in sulz und pfeffer guten schleck,
und schmalzt das kraut mit iren bachen,
darmit man schmiert die hungring rachen.
3.
Ein schaf ist das drit tier, im leben
tut milch, schmalz, kes und wollen geben,
nach dem tot geit es fleisch und fell,
sein derme zu den saiten hell
und sein gebein zu meßerschalen;
wer möcht des tieres nutz bezalen!
Ein wolf so ist das vierte tiere,
raubt, mört und stilet mit begiere,
sein leben lang ist er nur schad,
leut und viech hat sein kein genad;
stirbt er im sumer oder winter,
wirt fleisch und bein dem schelmenschinter.
Weil nun der tot auch Lupus heißt,
darbei sein nam klerlich ausweist,
das er nichts nutz war sein lebtage;
deshalb ich in nit loben mage.[125]
er ist ein wolf auch in dem tot,
nichts nutz bei menschen und bei got.«
wen man sol loben nach seim sterben,
muß im leben das lob erwerben.
Buchempfehlung
Die vordergründig glückliche Ehe von Albertine und Fridolin verbirgt die ungestillten erotischen Begierden der beiden Partner, die sich in nächtlichen Eskapaden entladen. Schnitzlers Ergriffenheit von der Triebnatur des Menschen begleitet ihn seit seiner frühen Bekanntschaft mit Sigmund Freud, dessen Lehre er in seinem Werk literarisch spiegelt. Die Traumnovelle wurde 1999 unter dem Titel »Eyes Wide Shut« von Stanley Kubrick verfilmt.
64 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro