Die ertrenkt junkfrau

[221] Im spiegelton Erenbotens.


20. december 1546.


1.

Ernestus war ein fürst im Beierlande,

der het ein jungen sun manbar,

war Albertus genande,

der gewan ein junkfrauen lieb,

verliebt sich ganz darinnen,

Die eins scherers tochter von Augspurg ware,

züchtig und mit englischer schön

gelidmasieret gare,

so zart, das man ir roten wein

durch ir kelen sach rinnen;

Die het er bei im etlich zeit

in heißer lieb inbrünstigkeit

zu Straubing in der state,

nun war die red an seines vaters hofe,

er het sie gnumen zu der e;

als sich kürzlich verlofe,

ritt der jung herzog Albrecht aus

Straubing eins abents spate.


2.

Da ließ herzog Ernst gefenklich aufzucken

seines sones liebe bulschaft;

gebunden von der brucken

ließ er sie werfen in Donau,[221]

ellendiklich ertrenken.

Die ritterschaft und adel tet zuschauen,

sie all erbarmet das schön mensch;

es weinten man und frauen.

darnach man iren leib begrub.

leids iederman wart denken.

Als der jung fürst kam, wart das inn,

wart er beraubet seiner sinn

und kleglich weinen tete,

schwur einen eid, reckt auf sein rechte hande,

das er gar nicht verschonen wolt

vatter und vatterlande,

bis er seiner herzlieben tot

grimig gerochen hete.


3.

Ser groß uneinigkeit darnach entstunde

zwischen dem vatter und dem son;

kein man sie richten kunde.

der alte fürst gewan unrecht;

als man macht den vertrage,

Must auf das grab diser ertrenkten frauen

der alte fürst zu einer buß

ein kapell laßen bauen

und darin stiften auch, ein meß

zu halten alle tage.

Als man vierzehen hundert jar

und drei und zweinzig zelen war,

ist die geschicht geschehen.

hie sicht man war sein, wie Salomon schriebe,

das die lieb stark sei wie der tot.

wie noch soliche liebe

machet manches betrübtes herz,

wie man teglich tut sehen.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 221-222.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon