[249] In der alment des Stollen.
1.
Es beschreibet Adelphonsus,
wie in Armenia
ein man was großer erkentnus,
der hieß Lucania;
als nun derselbig sterben wolt,
fordert er seinen son, mit wolgefallen
Denselben er gar fleißig fragt,
wie vil er freunde het?
»wol hundert freunt!« der sun balt sagt.
der alt antworten tet:
und wan er die beweren solt,
so fend er kaum ein rechten bei in allen.[249]
Der sun fragt, wie man freunt bewert?
er sprach on spot: »ge hin und stich ein kalben,
tu sie in ein sack unvermert
und bestreich den sack mit blut allenthalben
und ge zu eim deiner freunt hin,
sprich, du habst ein mört tan,
bitt, das er helf vergraben in.
der ist ein freunt, welcher sich dein nimt an!«
2.
Nach dem stache der sun ein kalb
und den sack blutig macht,
trugs zu sein freunden allenthalb
bei eitel finstrer nacht;
aber ir keiner nam in an,
sunder teten in in der not ausjagen.
Dem vatter er sein unfal klagt,
wie er kein funden het,
der seinthalb etwas het gewagt,
in not im beistand tet.
der vatter saget: »ich hab schan
ein halben freund erworben bei mein tagen;
Ge, nim das kalb, versuch in auch,
ob er dir hilf beweist von meinentwegen.«
der sun ging hin nach seinem brauch,
zeigt dem sein not, so im wer angelegen,
und wie er ein man het ermört;
er solt im helfen nun.
balt der halb freunt sein klag erhört,
sprach er: »trag in herein, mein lieber sun!«
3.
Der freunt schicket weib und kind aus,
nam ein hauen herab
und zu hinterst in seinem haus
macht er ein tiefes grab,
sprach: »leg her den erschlagnen man.«
der sun sprach: »nun hab ich dein treu erfaren,[250]
Hab funden bewert und gerecht
meins vatters freunt allein.«
er ging, sagt es seim vatter recht,
der sprach: »o sune mein,
keinen freunt soltu nemen an,
er tu sich dan in deiner not nicht sparen.«
Ein gut bewerten alten freunt,
spricht Salomo, soltu gar nicht verlaßen,
man weiß nicht, wie der neu ist zeunt,
ob er in not wert lieben oder haßen.
ein alt sprichwort sagt: in der not,
so gen guter freunt noch
wol vier und achtzig auf ein lot.
wer das nicht glaubt, der wag es selber doch.
Buchempfehlung
Zwei satirische Erzählungen über menschliche Schwächen.
76 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro