Siebzehntes Kapitel

[169] Als die lauteren Brüder nach und nach wieder in Bagdad zusammenkamen – hatte sich Vieles verändert.

Die Christen schrieben schon das Jahr 895.

Abu Maschar, der sehr einsam auf dem Mittelturm der alten Sternwarte lebte, sagte wohl noch immer: »In dieser Welt verändert sich nichts, alles wird nach tausend Jahren genau so gut und genau so schlecht sein – wie heute.«

Aber trotzdem – Vieles hatte sich in Bagdad doch verändert.

Besonders der alte Geizhals Said ibn Selm war ein ganz Andrer geworden.

Er war nämlich ein – Bettler geworden.

Und da konnt er nicht mehr geizig sein – nein – nein.

Der arme Said!

Nun war er wirklich arm.

Das kam so:

Wie die lauteren Brüder in die Welt zogen, befand sich die Chalifenburg in heftigster Aufregung – den Hofleuten wackelte der Kopf – und sie wußten nicht, was sie vor Angst machen sollten.

Der Zorn des verrückten Chalifen mußte unter allen Umständen auf eine Sache abgelenkt werden, die mit den Hofleuten nichts zu tun hatte.

Die plötzliche Flucht der Brüder berührte daher bei Hofe sehr peinlich – und – und man sann auf Rache.

Hätte man dem Abu Maschar an den Kragen gekonnt – man hätts gleich getan.

Doch den großen Propheten liebte und schützte das Volk – die arabischen Hauptleute und ihre Untergebenen waren nicht zu bewegen, in die Sternwarte zu dringen.

Um den Koran kümmerte man sich sehr wenig, eine Moschee hätte keinen Heiligen vor den Soldaten geschützt – doch die Sternwarte flößte viel mehr Achtung ein – dem[169] großen Abu Maschar wich das Volk scheu aus – die Soldaten erst recht – die hatten sogar eine höchst abergläubische Furcht vor den Sterndeutern.

Der alte Suleiman war keine Persönlichkeit, die nach was aussah.

Und Osman hatte viel zuviel Freunde in der Burg – er verschaffte den Hofleuten so manchen Vorteil und pflegte stets sehr freigebig zu sein.

Daher blieb nur der alte Geizkragen Said ibn Selm, an dem man sein Mütchen kühlen konnte.

Das geschah natürlich – Said hatte Alles auszubaden.

Fünf Hauptleute mit hundert bis an die Zähne bewaffneten Soldaten drangen in Saids Haus, verwüsteten alles und raubten, was sie konnten.

Nur die Tarub behandelte man glimpflich.

Man erlaubte ihr, alle Küchengeräte mitzunehmen – und auch ihre Ersparnisse durfte sie mitnehmen.

Suleiman hatte vorher sein Schäfchen ins Trockne gebracht – er hatte dem Said sämtliche Schmucksachen gestohlen.

Die Soldaten steckten schließlich alles, was sie nicht mitnehmen konnten, in Brand und hätten auch den Said verbrannt, wenn der nicht so schrecklich geschrieen hätte.

Man ließ Said laufen – allerdings – splitternackt.

Mitleidige alte Leute schenkten dem alten Geizhalse ein paar alte Lumpen, mit denen er sich notdürftig bekleiden konnte.

So gings einem der reichsten Männer von ganz Bagdad.

Die fünf Hauptleute mit ihren hundert Soldaten füllten ihre Taschen mit blankem Golde – bis zum Rande.

Und der Chalif freute sich sehr, als er das hörte – die Hofleute gleichfalls – denn die wußten, die Soldaten würden schon dankbar sein, wenns nötig sein sollte.

Die Abla und die Sailóndula wurden von Osman aufgenommen; der freute sich auch.

Die Tarub mietete sich eine Küche in der langen Straße.[170]

Die Küche lag in einem kleinen Gartenhause, das von dem Besitzer nicht benutzt wurde; hinter großen Bananen lags.

Als Safur nach Bagdad zurückkehrte, ward ihm die Tarub feierlich von Osman geschenkt.

Safur wollte ja die Tarub schon immer so gern geschenkt haben.

Jetzt hatte er sie – und er war ihr Herr – und sie war seine Sklavin.

Die Sache hatte natürlich manchen Haken.

Der Dichter konnte sich nicht gleich in seine neue Lage finden.

Es hatte sich in Bagdad doch recht viel verändert.

Es war so, als wenn überall was zerrissen wäre – überall so was Zerrissenes!

Die Fäden, mit denen die Menschen aneinander gebunden sind, sind viel dünner, als man gemeinhin denkt – zerreißen so leicht und sind so schwer wieder zusammenzuknüpfen.

Es ist daher auch garnicht verwunderlich, daß – als sich bei Osman der Kodama, der Safur und der Hamadany wieder mal nach fast zwei Jahren »guten Tag« sagen – die Einigkeit dieser vier lauteren Brüder eine bemerkenswerte Störung schon in der ersten Stunde des neuen Zusammenseins erleidet.

Safur spricht von Ägypten – vom Lande der Pyramiden – vom Lande der Sphinx.

Und er spricht auch von dem, was die ägyptischen Heiden von der Weltseele lehren.

Er teilt dem Osman die Namen von mehreren ägyptischen Gelehrten mit, die größere philosophische Werke geschrieben haben.

Osman ist darüber sehr erfreut und schreibt sich die Namen sorgfältig auf; er will sich sofort mit den Ägyptern in Verbindung setzen.

Osman kann garnicht genug Bücher herausgeben.[171]

Safur aber spricht weiter von der Weltseele – von der Viereinigkeit und von der Dreieinigkeit – von Raum und Zeit – von Geist und Stoff – von Plato – und von Pythagoras – von der Zahlenmystik – und vom Überirdischen.

Hamadany und Kodama hören eifrig zu.

Indessen – sie können bald nicht mehr dem Dichter folgen – von der Weltseele verstehen sie sowieso nichts.

Es ist daher ganz erklärlich, daß sie bald dem begeisterten Safur erklären, er würde unklar.

Der Dichter, der von Dingen sprach, die er selbst nicht mal ordentlich begriffen hatte, ist natürlich höchst empört, daß man ihm Unklarheit vorwirft – er ist wütend.

Er merkt jedoch noch rechtzeitig, daß der Vorwurf seiner Freunde nicht ganz ungerechtfertigt genannt werden könne – und legt demnach sehr geschickt folgendermaßen los:

»Freilich! Klar soll ich sein! Natürlich! Die Dinge, von denen ich rede, sind ja auch so einfach und klar, daß es gar keine Mühe macht – klar – klar über diese Dinge zu reden! Freilich! Natürlich! Ein Hammelbraten ist immer was Klares für Euch – die Weltseele und der viereinige Gott muß deshalb auch klar für Euch werden.

Bei Allah, merkt Ihr denn nicht – wißt Ihr denn nicht, daß die Leute, die immer nur das Nächstliegende – das Erreichbare – im Auge haben, ohne große Umstände ›klar‹ sein können? – daß diese einfachen Leute, diese bäurischen Tölpel, sich immer ›klar‹ werden müssen? Und wißt Ihr nicht, daß andrerseits diejenigen, die in die tiefsten Tiefen der Welträtsel dringen möchten, sehr selten ›klar‹ sein können? In jedem feineren Kopfe, der stets zu denken gewohnt ist, ist die ganz abgeschlossene Klarheit nicht so was Alltägliches. Die Tarub allerdings wird immer ganz klar sprechen, weil sie nur das Nächstliegende – Erreichbare – haben will. Safur, der dem Unerreichbaren nachjagt, kann leider nicht immer so klar sein. Aber – bei Allah – seid Ihr nicht mehr als Tarub?[172] Warum nennt Ihr Euch denn nicht Tarub? Warum nicht? Dummköpfe sind sich immer klar. Das Rhinoceros, das im Nile zu baden pflegt, hat ohne Zweifel den klarsten Kopf – weils das dümmste Tier der Welt ist. Das Rhinoceros denkt über die Weltseele nicht nach – Tarub wird das auch nicht tun. – Warum werft Ihr mir denn mit solcher Erbitterung fortwährend immer wieder und wieder von Neuem Unklarheit vor – warum? warum? Soll ich auch ›Tarub‹ werden wie Ihr? Ich wills nicht!«

Oh – Safur ist furchtbar böse, seine Stirn zeigt fast tiefere Falten als das Fell des ältesten Nilpferdes.

Und dabei zittert der ganze Dichter – wie eine Pappel, durch die der Wind fährt.

Osman lächelt und sagt milde:

»Lieber Safur, sei nur nicht so grob! Es widerspricht Dir ja Niemand. Du mußt nicht immer gleich so aufbrausen!«

Zu den Andern aber sagt der dicke Schreiber: »In dem Safur steckt was! Was er sagt, klingt gewöhnlich ganz toll – aber etwas Wahres pflegt doch dahinter zu sein.«

Durch diese Äußerung fühlt sich der Dichter sehr geschmeichelt und wird ruhiger.

Wie das der dicke Kodama merkt, fordert er die drei Brüder auf mitzukommen – in den nächsten Weinkeller.

Hamadany und Safur folgen dem Dicken.

Osman bleibt jedoch nachdenklich zurück – auf seinem kühlen, mit Fliesen gepflasterten Hof – neben dem plätschernden Springbrunnen.

Unter den Arkaden an den vier Seiten des Hofes liegen die besten Bücher, die je mit arabischen Worten geschrieben wurden, fein säuberlich in ihren Rollen – in ihren Schubfächern – übereinander – so wie in Ägypten die Mumien der toten Könige übereinander liegen ...

Inzwischen will Kodama im Weinkeller hören, welche Liebesabenteuer der Safur in Ägypten erlebte.

Die drei lauteren Brüder sitzen auf weichen Ziegenfellen mit einem Parsenpriester zusammen um einen dicken[173] Weinschlauch rum – der christliche Wirt schenkt fleißig immer wieder die Becher voll.

Safur hört nicht auf den dicken Kodama, sondern redet noch immer von der Bedeutung des Unerreichbaren, Hamadany stimmt ihm jetzt eifrig bei und behauptet, daß er auch nur das Unerreichbare erreichen möchte.

Kodaman wird natürlich die Geschichte langweilig.

Der Parsenpriester schweigt wien Alter.

Der dicke Geograph ruft endlich sehr laut mit seiner vollen wohltönenden Stimme:

»Safur, nun erzähl uns: Welches Weib liebtest Du in Ägypten? Welches Weib?«

»Die Sphinx«, erwidert der Dichter.

»Sehr gut, mein Sohn«, sagt da lachend der Dicke.

Und der Dichter erzählt von der Sphinx, erzählt, daß er nur ein unerreichbares Weib lieben könnte – ein überirdisches – einen Wüstengeist – eine wilde Dschinne – seine Sphinx-Dschinne.

Kodama freut sich wie ein kleiner Truthahn – solche Art von Liebe ist ihm noch garnicht vorgekommen.

»Sphinx-Dschinne!« ruft er immer wieder – trinkt dabei – und lacht, als wenn er sich totlachen möchte.

Hamadany glaubt den Dichter zu verstehen.

Kodama erklärt zwar den Safur für verrückt – man verträgt sich aber trotzdem.

Die Zecherei wird sehr lustig.

Der Parsenpriester geht ernst fort.

Der Hamadany lallt noch was von Byzanz und schläft dann selig ein.

Der Dicke und der Dichter schwanken, wie sie nicht mehr trinken mögen, in sehr redseliger Stimmung nach Hause durch die lange Straße.

Safur redet fortwährend von der Dschinne, die nicht lebt und die er trotzdem liebt – immer dasselbe.

Kodama lacht ohn Unterlaß, daß die lange Straße dröhnt und zittert.[174]

Ein Cinaede, der früher zu den Tofailys gehörte, hat das Gespräch gehört – und versperrt nun plötzlich den beiden lauteren Brüdern den Weg.

Die Brüder stutzen und denken, der Cinaede will Geld haben. Doch der hält eine wohlgesetzte Rede.

»Ihr gelehrten Männer«, sagt er in bestem Arabisch, »Ihr glaubt immer so schrecklich klug zu sein. Aber in manchen Dingen seid Ihr unerfahrener als ein unschuldiges Mädchen. Das Nächstliegende seht Ihr nicht. Immer nach dem Fernen – nach dem Unerreichbaren strebt Ihr. Dschinnen wollt Ihr lieben, und Ihr wißt nicht einmal, weshalb Ihr die Dschinnen lieben wollt. Ihr habt noch viel zu wenig Weiber kennen gelernt, daher wollt Ihr solche Weiber haben, die keine Weiber sind. Ihr habt Euch, wenn Ihr verliebt waret, viel zu oft nur die Weiber vorgestellt – statt Ihnen ordentlich nachzustellen. Ihr glaubtet zu oft, auf die Weiber verzichten zu können – und seid drum zu Narren geworden. Mit der Kraft seiner Schenkel – nicht mit der Kraft seines Gehirns soll der Mann lieben. Das Gehirn ist zum Lieben viel zu schade. Das ist der Grund, weshalb Ihr das Unerreichbare wollt – weshalb Ihr nach Weibern lüstern seid, dies niemals gab und niemals geben wird. Liebt die Weiber, die auf Erden leben, sonst werdet Ihr verrückt. Seid nicht so geizig wie Said ibn Selm. Gute Nacht!«

Und der Cinaede bog in die nächste Seitengasse – schwankend.

In der nächsten Seitengasse gingen im Schatten der Mauer andre Cinaeden mit ihren Dirnen in den dunkelsten Stadtteil, in dem man mehr seine Börse als sein Herz in Acht nehmen mußte.

Kodama lachte nicht mehr, meinte nur väterlich mahnend zu Safur:

»Sieh, lieber Freund, der Cinaede hatte garnicht so ganz unrecht. Verstandest Du ihn? Er war einst nicht ungebildet!«[175]

»Ich verstand ihn«, versetzte Safur.

Schwankend gingen die Beiden weiter.

Sie schwiegen.

Durch die lange Straße kamen Tofailys näher – die trugen auf einer Bahre einen toten Ochsen – auf der Brust eines jeden Tofaily leuchtete eine kleine grüne Lampe.

Die Tofailys wurden immer üppiger, sie verspotteten die Religion, die Welt und alles andre.

Sie feierten in dieser Nacht ihr Ochsenfest.

Feierlich trugen sie durch die lange Straße – einen toten Ochsen.

Quelle:
Paul Scheerbart: Dichterische Hauptwerke. Stuttgart 1962, S. 169-176.
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