Am Grenzwall

[36] ... barritum civere vel maximum. Qui clamor ipso fervore certaminum a tenui susurro exoriens paullatimque adulescens ritu extollitur fluctuum cautibus illisorum ...

Ammian. Marcellin. XVI, 12.


Ein Römer stand in finstrer Nacht

Am deutschen Grenzwall Posten,

Fern vom Kastell war seine Wacht,

Das Antlitz gegen Osten ...

Da regt sich feindlich was am Fluß,

Da schleicht und hallt was leise ...

Kein Päan von Horazius,

Ganz wildfremd war die Weise:

»Ha' ... hamm' ... hammer dich emol, emol, emol

An dei'm verrissene' Kamisol,

Du schlechter Kerl!«


An eine Jungfrau Chattenstamms

Hatt' er sein Herz vertandelt

Und war ihr oft im Lederwams[36]

Als Kaufmann zugewandelt.

Jetzt kam die Rache ... eins, zwei, drei!

Jetzt war der Damm erklettert ...

Jetzt kam's wie wilder Katzen Schrei

Und Keulenschlag geschmettert:

»Ha' ... hamm' ... hammer dich emol, emol, emol

An dei'm verrissene' Kamisol,

Du schlechter Kerl!«


Er zog sein Schwert, er blies sein Horn,

Focht als geschulter Krieger,

Fruchtlos war Mut und Römerzorn,

Die Wilden blieben Sieger.

Sie banden ihn und trugen ihn

Wie einen Sack von dannen;

Als die Kohort' am Platz erschien,

Scholl's fern schon durch die Tannen:

»Ha'... hamm'... hammer dich emol, emol, emol

An dei'm verrissene' Kamisol,

Du schlechter Kerl!«


Versammelt war im heiligen Hain

Der Chatten Landsgemeinde,

Ihr Odinsjulfest einzuweihn

Mit Opferblut vom Feinde.

Der fühlt' sich schon als Bratenschmor

In der Barbaren Zähnen,

Da sprang sein blonder Schatz hervor

Und rief mit heißen Tränen:

»Ha'... hamm'... hammer dich emol, emol, emol

An dei'm verrissene' Kamisol,

Du schlechter Kerl!«


Und alles Volk sprach tiefgerührt

Ob solcher Wiederfindung:

»Man geb' ihn frei und losgeschnürt

Der Freundin zur Verbindung!

Nimmt sie ihn hier vom Fleck als Frau,

Sei alle Schuld verziehen.

Und heut noch wird im ganzen Gau[37]

Als Festbardit geschrien:

Ha'... hamm'... hammer dich emol, emol, emol

An dei'm verrissene' Kamisol,

Du schlechter Kerl!«

Quelle:
Joseph Viktor von Scheffel: Kritische Ausgabe in 4 Bänden, Band 1, Leipzig/ Wien 1917, S. 36-38.
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