An Minna

[101] Träum ich? Ist mein Auge trüber?

Nebelts mir ums Angesicht?

Meine Minna geht vorüber?

Meine Minna kennt mich nicht?

Die am Arme seichter Laffen

Blähend mit dem Fächer ficht,

Nimmer satt sich zu begaffen? –

Meine Minna ist es nicht.


Von dem Sonnenhute nicken

Stolze Federn, mein Geschenk,

Schleifen, die den Busen schmücken,

Rufen: Minna, sei gedenk![101]

Blumen, die ich selbst erzogen,

Zieren Brust und Locken noch

Ach die Brust, die mir gelogen! –

Und die Blumen blühen doch!


Geh! umhüpft von leeren Schmeichlern!

Geh! vergiß auf ewig mich.

Überliefert feilen Heuchlern,

Eitles Weib, veracht ich dich.

Geh! dir hat ein Herz geschlagen,

Dir ein Herz, das edel schlug,

Groß genug, den Schmerz zu tragen,

Daß es einer Hure schlug.


Schönheit hat dein Herz verdorben,

Dein Gesichtchen! schäme dich.

Morgen ist sein Glanz erstorben,

Seine Rose blättert sich.

Schwalben, die im Lenze minnen,

Fliehen, wenn der Nordwind weht,

Buhler scheucht dein Herbst von hinnen,

Einen Freund hast du verschmäht.


In den Trümmern deiner Schöne

Seh ich dich verlassen gehn,

Weinend in die Blumenszene

Deines Mais zurücke sehn.

Die mit heißem Liebesgeize

Deinem Kuß entgegenflohn,

Zischen dem erloschnen Reize,

Lachen deinem Winter Hohn.


Schönheit hat dein Herz verdorben,

Dein Gesichtchen! – schäme dich.

Morgen ist sein Glanz erstorben,

Seine Rose blättert sich –[102]

Ha! wie will ich dann dich höhnen!

Höhnen? Gott bewahre mich!

Weinen will ich bittre Tränen,

Weinen, Minna, über dich.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 101-103.
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