Achter Auftritt

[604] Leicester. Mortimer.


LEICESTER verwundert.

Was wandelte den Ritter an?

MORTIMER.

Ich weiß es nicht – Das unerwartete

Vertrauen, das die Königin mir schenkt –

LEICESTER ihn forschend ansehend.

Verdient Ihr, Ritter, daß man Euch vertraut?

MORTIMER ebenso.

Die Frage tu ich Euch, Mylord von Leicester.

LEICESTER.

Ihr hattet mir was ingeheim zu sagen.

MORTIMER.

Versichert mich erst, daß ichs wagen darf.

LEICESTER.

Wer gibt mir die Versicherung für Euch?

– Laßt Euch mein Mißtraun nicht beleidigen!

Ich seh Euch zweierlei Gesichter zeigen

An diesem Hofe – Eins darunter ist

Notwendig falsch, doch welches ist das wahre?

MORTIMER.

Es geht mir ebenso mit Euch, Graf Leicester.

LEICESTER.

Wer soll nun des Vertrauens Anfang machen?

MORTIMER.

Wer das Geringere zu wagen hat.

LEICESTER.

Nun! Der seid Ihr!

MORTIMER.

Ihr seid es! Euer Zeugnis,

Des vielbedeutenden, gewaltgen Lords,

Kann mich zu Boden schlagen, meins vermag

Nichts gegen Euren Rang und Eure Gunst.

LEICESTER.

Ihr irrt Euch, Sir. In allem andern bin ich

Hier mächtig, nur in diesem zarten Punkt,[604]

Den ich jetzt Eurer Treu preisgeben soll,

Bin ich der schwächste Mann an diesem Hof,

Und ein verächtlich Zeugnis kann mich stürzen.

MORTIMER.

Wenn sich der allvermögende Lord Leicester

So tief zu mir herunterläßt, ein solch

Bekenntnis mir zu tun, so darf ich wohl

Ein wenig höher denken von mir selbst,

Und ihm in Großmut ein Exempel geben.

LEICESTER.

Geht mir voran im Zutraun, ich will folgen.

MORTIMER den Brief schnell hervorziehend.

Dies sendet Euch die Königin von Schottland.

LEICESTER schrickt zusammen und greift hastig darnach.

Sprecht leise Sir – Was seh ich! Ach! Es ist

Ihr Bild!


Küßt es und betrachtet es mit stummem Entzücken.


MORTIMER der ihn während des Lesens scharf beobachtet.

Mylord, nun glaub ich Euch!

LEICESTER nachdem er den Brief schnell durchlaufen.

Sir Mortimer! Ihr wißt des Briefes Inhalt?

MORTIMER.

Nichts weiß ich.

LEICESTER.

Nun! Sie hat Euch ohne Zweifel

Vertraut –

MORTIMER.

Sie hat mir nichts vertraut. Ihr würdet

Dies Rätsel mir erklären, sagte sie.

Ein Rätsel ist es mir, daß Graf von Leicester,

Der Günstling der Elisabeth, Mariens

Erklärter Feind und ihrer Richter einer,

Der Mann sein soll, von dem die Königin

In ihrem Unglück Rettung hofft – Und dennoch

Muß dem so sein, denn Eure Augen sprechen

Zu deutlich aus, was Ihr für sie empfindet.

LEICESTER.

Entdeckt mir selbst erst, wie es kommt, daß Ihr

Den feurgen Anteil nehmt an ihrem Schicksal,

Und was Euch ihr Vertraun erwarb.

MORTIMER.

Mylord,

Das kann ich Euch mit wenigem erklären.

Ich habe meinen Glauben abgeschworen[605]

Zu Rom, und steh im Bündnis mit den Guisen.

Ein Brief des Erzbischofs zu Reims hat mich

Beglaubigt bei der Königin von Schottland.

LEICESTER.

Ich weiß von Eurer Glaubensänderung,

Sie ists, die mein Vertrauen zu Euch weckte.

Gebt mir die Hand. Verzeiht mir meinen Zweifel.

Ich kann der Vorsicht nicht zu viel gebrauchen,

Denn Walsingham und Burleigh hassen mich,

Ich weiß, daß sie mir laurend Netze stellen.

Ihr konntet ihr Geschöpf und Werkzeug sein,

Mich in das Garn zu ziehn –

MORTIMER.

Wie kleine Schritte

Geht ein so großer Lord an diesem Hof!

Graf! ich beklag Euch.

LEICESTER.

Freudig werf ich mich

An die vertraute Freundesbrust, wo ich

Des langen Zwangs mich endlich kann entladen.

Ihr seid verwundert, Sir, daß ich so schnell

Das Herz geändert gegen die Maria.

Zwar in der Tat haßt ich sie nie – der Zwang

Der Zeiten machte mich zu ihrem Gegner.

Sie war mir zugedacht seit langen Jahren,

Ihr wißts, eh sie die Hand dem Darnley gab,

Als noch der Glanz der Hoheit sie umlachte.

Kalt stieß ich damals dieses Glück von mir,

Jetzt im Gefängnis, an des Todes Pforten

Such ich sie auf, und mit Gefahr des Lebens.

MORTIMER.

Das heißt großmütig handeln!

LEICESTER.

– Die Gestalt

Der Dinge, Sir, hat sich indes verändert.

Mein Ehrgeiz war es, der mich gegen Jugend

Und Schönheit fühllos machte. Damals hielt ich

Mariens Hand für mich zu klein, ich hoffte

Auf den Besitz der Königin von England.

MORTIMER.

Es ist bekannt, daß sie Euch allen Männern

Vorzog –[606]

LEICESTER.

So schien es, edler Sir – Und nun, nach zehn

Verlornen Jahren unverdroßnen Werbens,

Verhaßten Zwangs – O Sir, mein Herz geht auf!

Ich muß des langen Unmuts mich entladen –

Man preist mich glücklich – wüßte man, was es

Für Ketten sind, um die man mich beneidet –

Nachdem ich zehen bittre Jahre lang

Dem Götzen ihrer Eitelkeit geopfert,

Mich jedem Wechsel ihrer Sultanslaunen

Mit Sklavendemut unterwarf, das Spielzeug

Des kleinen grillenhaften Eigensinns,

Geliebkost jetzt von ihrer Zärtlichkeit,

Und jetzt mit sprödem Stolz zurückgestoßen,

Von ihrer Gunst und Strenge gleich gepeinigt,

Wie ein Gefangener vom Argusblick

Der Eifersucht gehütet, ins Verhör

Genommen wie ein Knabe, wie ein Diener

Gescholten – O die Sprache hat kein Wort

Für diese Hölle!

MORTIMER.

Ich beklag Euch, Graf.

LEICESTER.

Täuscht mich am Ziel der Preis! Ein andrer kommt,

Die Frucht des teuren Werbens mir zu rauben.

An einen jungen blühenden Gemahl

Verlier ich meine langbeseßnen Rechte,

Heruntersteigen soll ich von der Bühne,

Wo ich so lange als der Erste glänzte.

Nicht ihre Hand allein, auch ihre Gunst

Droht mir der neue Ankömmling zu rauben.

Sie ist ein Weib, und er ist liebenswert.

MORTIMER.

Er ist Kathrinens Sohn. In guter Schule

Hat er des Schmeichelns Künste ausgelernt.

LEICESTER.

So stürzen meine Hoffnungen – ich suche

In diesem Schiff bruch meines Glücks ein Brett

Zu fassen – und mein Auge wendet sich

Der ersten schönen Hoffnung wieder zu.

Mariens Bild, in ihrer Reize Glanz,[607]

Stand neu vor mir, Schönheit und Jugend traten

In ihre vollen Rechte wieder ein,

Nicht kalter Ehrgeiz mehr, das Herz verglich,

Und ich empfand, welch Kleinod ich verloren.

Mit Schrecken seh ich sie in tiefes Elend

Herabgestürzt, gestürzt durch mein Verschulden.

Da wird in mir die Hoffnung wach, ob ich

Sie jetzt noch retten könnte und besitzen.

Durch eine treue Hand gelingt es mir,

Ihr mein verändert Herz zu offenbaren,

Und dieser Brief, den Ihr mir überbracht,

Versichert mir, daß sie verzeiht, sich mir

Zum Preise schenken will, wenn ich sie rette.

MORTIMER.

Ihr tatet aber nichts zu ihrer Rettung!

Ihr ließt geschehn, daß sie verurteilt wurde,

Gabt Eure Stimme selbst zu ihrem Tod!

Ein Wunder muß geschehn – Der Wahrheit Licht

Muß mich, den Neffen ihres Hüters, rühren,

Im Vatikan zu Rom muß ihr der Himmel

Den unverhofften Retter zubereiten,

Sonst fand sie nicht einmal den Weg zu Euch!

LEICESTER.

Ach, Sir, es hat mir Qualen gnug gekostet!

Um selbe Zeit ward sie von Talbots Schloß

Nach Fotheringhay weggeführt, der strengen

Gewahrsam Eures Oheims anvertraut.

Gehemmt ward jeder Weg zu ihr, ich mußte

Fortfahren vor der Welt, sie zu verfolgen.

Doch denket nicht, daß ich sie leidend hätte

Zum Tode gehen lassen! Nein, ich hoffte,

Und hoffe noch, das Äußerste zu hindern,

Bis sich ein Mittel zeigt, sie zu befrein.

MORTIMER.

Das ist gefunden – Leicester, Euer edles

Vertraun verdient Erwiderung. Ich will sie

Befreien, darum bin ich hier, die Anstalt

Ist schon getroffen, Euer mächtger Beistand

Versichert uns den glücklichen Erfolg.[608]

LEICESTER.

Was sagt Ihr? Ihr erschreckt mich. Wie? Ihr wolltet –

MORTIMER.

Gewaltsam auftun will ich ihren Kerker,

Ich hab Gefährten, alles ist bereit –

LEICESTER.

Ihr habt Mitwisser und Vertraute! Weh mir!

In welches Wagnis reißt Ihr mich hinein!

Und diese wissen auch um mein Geheimnis?

MORTIMER.

Sorgt nicht. Der Plan ward ohne Euch entworfen,

Ohn Euch wär er vollstreckt, bestünde sie

Nicht drauf, Euch ihre Rettung zu verdanken.

LEICESTER.

So könnt Ihr mich für ganz gewiß versichern,

Daß in dem Bund mein Name nicht genannt ist?

MORTIMER.

Verlaßt Euch drauf! Wie? So bedenklich, Graf,

Bei einer Botschaft, die Euch Hülfe bringt!

Ihr wollt die Stuart retten und besitzen,

Ihr findet Freunde, plötzlich, unerwartet,

Vom Himmel fallen Euch die nächsten Mittel –

Doch zeigt Ihr mehr Verlegenheit als Freude?

LEICESTER.

Es ist nichts mit Gewalt. Das Wagestück

Ist zu gefährlich.

MORTIMER.

Auch das Säumen ists!

LEICESTER.

Ich sag Euch, Ritter, es ist nicht zu wagen.

MORTIMER bitter.

Nein, nicht für Euch, der sie besitzen will!

Wir wollen sie bloß retten, und sind nicht so

Bedenklich –

LEICESTER.

Junger Mann, Ihr seid zu rasch

In so gefährlich dornenvoller Sache.

MORTIMER.

Ihr – sehr bedacht in solchem Fall der Ehre.

LEICESTER.

Ich seh die Netze, die uns rings umgeben.

MORTIMER.

Ich fühle Mut, sie alle zu durchreißen.

LEICESTER.

Tollkühnheit, Raserei ist dieser Mut.

MORTIMER.

Nicht Tapferkeit ist diese Klugheit, Lord.

LEICESTER.

Euch lüstets wohl, wie Babington zu enden?

MORTIMER.

Euch nicht, des Norfolks Großmut nachzuahmen.

LEICESTER.

Norfolk hat seine Braut nicht heimgeführt.

MORTIMER.

Er hat bewiesen, daß ers würdig war.

LEICESTER.

Wenn wir verderben, reißen wir sie nach.[609]

MORTIMER.

Wenn wir uns schonen, wird sie nicht gerettet.

LEICESTER.

Ihr überlegt nicht, hört nicht, werdet alles

Mit heftig blindem Ungestüm zerstören,

Was auf so guten Weg geleitet war.

MORTIMER.

Wohl auf den guten Weg, den Ihr gebahnt?

Was habt Ihr denn getan, um sie zu retten?

– Und wie? Wenn ich nun Bube gnug gewesen,

Sie zu ermorden, wie die Königin

Mir anbefahl, wie sie zu dieser Stunde

Von mir erwartet – Nennt mir doch die Anstalt,

Die Ihr gemacht, ihr Leben zu erhalten.

LEICESTER erstaunt.

Gab Euch die Königin diesen Blutbefehl?

MORTIMER.

Sie irrte sich in mir, wie sich Maria

In Euch.

LEICESTER.

Und Ihr habt zugesagt? Habt Ihr?

MORTIMER.

Damit sie andre Hände nicht erkaufe,

Bot ich die meinen an.

LEICESTER.

Ihr tatet wohl.

Dies kann uns Raum verschaffen. Sie verläßt sich

Auf Euren blutgen Dienst, das Todesurteil

Bleibt unvollstreckt, und wir gewinnen Zeit –

MORTIMER ungeduldig.

Nein, wir verlieren Zeit!

LEICESTER.

Sie zählt auf Euch,

So minder wird sie Anstand nehmen, sich

Den Schein der Gnade vor der Welt zu geben.

Vielleicht, daß ich durch List sie überrede,

Das Angesicht der Gegnerin zu sehn,

Und dieser Schritt muß ihr die Hände binden.

Burleigh hat recht. Das Urteil kann nicht mehr

Vollzogen werden, wenn sie sie gesehn.

– Ja ich versuch es, alles biet ich auf –

MORTIMER.

Und was erreicht Ihr dadurch? Wenn sie sich

In mir getäuscht sieht, wenn Maria fortfährt

Zu leben – Ist nicht alles wie zuvor?

Frei wird sie niemals! Auch das Mildeste,

Was kommen kann, ist ewiges Gefängnis.[610]

Mit einer kühnen Tat müßt Ihr doch enden,

Warum wollt Ihr nicht gleich damit beginnen?

In Euren Händen ist die Macht, Ihr bringt

Ein Heer zusammen, wenn Ihr nur den Adel

Auf Euren vielen Schlössern waffnen wollt!

Maria hat noch viel verborgne Freunde,

Der Howard und der Percy edle Häuser,

Ob ihre Häupter gleich gestürzt, sind noch

An Helden reich, sie harren nur darauf,

Daß ein gewaltger Lord das Beispiel gebe!

Weg mit Verstellung! Handelt öffentlich!

Verteidigt als ein Ritter die Geliebte,

Kämpft einen edeln Kampf um sie. Ihr seid

Herr der Person der Königin von England,

Sobald Ihr wollt. Lockt sie auf Eure Schlösser,

Sie ist Euch oft dahin gefolgt. Dort zeigt ihr

Den Mann! Sprecht als Gebieter! Haltet sie

Verwahrt, bis sie die Stuart freigegeben!

LEICESTER.

Ich staune, ich entsetze mich – Wohin

Reißt Euch der Schwindel? – Kennt Ihr diesen Boden?

Wißt Ihr, wie's steht an diesem Hof, wie eng

Dies Frauenreich die Geister hat gebunden?

Sucht nach dem Heldengeist, der ehmals wohl

In diesem Land sich regte – Unterworfen

Ist alles, unterm Schlüssel eines Weibes,

Und jedes Mutes Federn abgespannt.

Folgt meiner Leitung. Wagt nichts unbedachtsam.

– Ich höre kommen, geht.

MORTIMER.

Maria hofft!

Kehr ich mit leerem Trost zu ihr zurück?

LEICESTER.

Bringt ihr die Schwüre meiner ewgen Liebe!

MORTIMER.

Bringt ihr die selbst! Zum Werkzeug ihrer Rettung

Bot ich mich an, nicht Euch zum Liebesboten!


Er geht ab.[611]


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 604-612.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Maria Stuart
Maria Stuart (Poches Allemand)
Maria Stuart: Empfohlen für das 9./10. Schuljahr. Schülerheft
Maria Stuart: Handreichungen für den Unterricht. Unterrichtsvorschläge und Kopiervorlagen
Maria Stuart: Trauerspiel in fünf Aufzügen (Suhrkamp BasisBibliothek)
Maria Stuart von Friedrich von Schiller. Textanalyse und Interpretation: Alle erforderlichen Infos für Abitur, Matura, Klausur und Referat plus Abituraufgaben mit Lösungen

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Unsühnbar

Unsühnbar

Der 1890 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Maria Wolfsberg, deren Vater sie nötigt, einen anderen Mann als den, den sie liebt, zu heiraten. Liebe, Schuld und Wahrheit in Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

140 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon