Sechster Auftritt

[666] Die Vorigen. Maria. Sie ist weiß und festlich gekleidet, am Halse trägt sie an einer Kette von kleinen Kugeln ein Agnus Dei, ein Rosenkranz hängt am Gürtel herab, sie hat ein Kruzifix in der Hand, und ein Diadem in den Haaren, ihr großer schwarzer Schleier ist zurückgeschlagen. Bei ihrem Eintritt weichen die Anwesenden zu beiden Seiten zurück, und drücken den heftigsten Schmerz aus. Melvil ist mit einer unwillkürlichen Bewegung auf die Knie gesunken.


MARIA mit ruhiger Hoheit im ganzen Kreise herumsehend.

Was klagt ihr? Warum weint ihr? Freuen solltet

Ihr euch mit mir, daß meiner Leiden Ziel

Nun endlich naht, daß meine Bande fallen,

Mein Kerker aufgeht, und die frohe Seele sich

Auf Engelsflügeln schwingt zur ewgen Freiheit.

Da, als ich in die Macht der stolzen Feindin

Gegeben war, Unwürdiges erduldend,

Was einer freien großen Königin[666]

Nicht ziemt, da war es Zeit, um mich zu weinen!

– Wohltätig, heilend, nahet mir der Tod,

Der ernste Freund! Mit seinen schwarzen Flügeln

Bedeckt er meine Schmach – den Menschen adelt,

Den tiefstgesunkenen, das letzte Schicksal.

Die Krone fühl ich wieder auf dem Haupt,

Den würdgen Stolz in meiner edeln Seele!


Indem sie einige Schritte weiter vortritt.


Wie? Melvil hier? – Nicht also, edler Sir!

Steht auf! Ihr seid zu Eurer Königin

Triumph, zu ihrem Tode nicht gekommen.

Mir wird ein Glück zuteil, wie ich es nimmer

Gehoffet, daß mein Nachruhm doch nicht ganz

In meiner Feinde Händen ist, daß doch

Ein Freund mir, ein Bekenner meines Glaubens

Als Zeuge dasteht in der Todesstunde.

– Sagt, edler Ritter! Wie erging es Euch,

In diesem feindlichen, unholden Lande,

Seitdem man Euch von meiner Seite riß?

Die Sorg um Euch hat oft mein Herz bekümmert.

MELVIL.

Mich drückte sonst kein Mangel, als der Schmerz

Um dich, und meine Ohnmacht, dir zu dienen!

MARIA.

Wie stehts um Didier, meinen alten Kämmrer?

Doch der Getreue schläft wohl lange schon

Den ewgen Schlaf, denn er war hoch an Jahren.

MELVIL.

Gott hat ihm diese Gnade nicht erzeigt,

Er lebt, um deine Jugend zu begraben.

MARIA.

Daß mir vor meinem Tode noch das Glück

Geworden wäre, ein geliebtes Haupt

Der teuern Blutsverwandten zu umfassen!

Doch ich soll sterben unter Fremdlingen,

Nur eure Tränen soll ich fließen sehn!

– Melvil, die letzten Wünsche für die Meinen

Leg ich in Eure treue Brust – Ich segne

Den allerchristlichsten König, meinen Schwager,

Und Frankreichs ganzes königliches Haus –[667]

Ich segne meinen Öhm, den Kardinal,

Und Heinrich Guise, meinen edlen Vetter.

Ich segne auch den Papst, den heiligen

Statthalter Christi, der mich wieder segnet,

Und den katholschen König, der sich edelmütig

Zu meinem Retter, meinem Rächer anbot –

Sie alle stehn in meinem Testament,

Sie werden die Geschenke meiner Liebe,

Wie arm sie sind, darum gering nicht achten.


Sich zu ihren Dienern wendend.


Euch hab ich meinem königlichen Bruder

Von Frankreich anempfohlen, er wird sorgen

Für euch, ein neues Vaterland euch geben.

Und ist euch meine letzte Bitte wert,

Bleibt nicht in England, daß der Brite nicht

Sein stolzes Herz an eurem Unglück weide,

Nicht die im Staube seh, die mir gedient.

Bei diesem Bildnis des Gekreuzigten

Gelobet mir, dies unglückselge Land

Alsbald, wenn ich dahinbin, zu verlassen!

MELVIL berührt das Kruzifix.

Ich schwöre dirs, im Namen dieser aller.

MARIA.

Was ich, die Arme, die Beraubte, noch besaß,

Worüber mir vergönnt ist frei zu schalten,

Das hab ich unter euch verteilt, man wird,

Ich hoff es, meinen letzten Willen ehren.

Auch was ich auf dem Todeswege trage,

Gehöret euch – Vergönnet mir noch einmal

Der Erde Glanz auf meinem Weg zum Himmel!


Zu den Fräulein.


Dir, meine Alix, Gertrud, Rosamund,

Bestimm ich meine Perlen, meine Kleider,

Denn eure Jugend freut sich noch des Putzes.

Du, Margareta, hast das nächste Recht

An meine Großmut, denn ich lasse dich

Zurück als die Unglücklichste von allen.

Daß ich des Gatten Schuld an dir nicht räche,[668]

Wird mein Vermächtnis offenbaren – Dich,

O meine treue Hanna, reizet nicht

Der Wert des Goldes, nicht der Steine Pracht,

Dir ist das höchste Kleinod mein Gedächtnis.

Nimm dieses Tuch! Ich habs mit eigner Hand

Für dich gestickt in meines Kummers Stunden,

Und meine heißen Tränen eingewoben.

Mit diesem Tuch wirst du die Augen mir verbinden,

Wenn es soweit ist – diesen letzten Dienst

Wünsch ich von meiner Hanna zu empfangen.

KENNEDY.

O Melvil! Ich ertrag es nicht!

MARIA.

Kommt alle!

Kommt und empfangt mein letztes Lebwohl.


Sie reicht ihre Hände hin, eins nach dem andern fällt ihr zu Fußen und küßt die dargebotne Hand unter heftigem Weinen.


Leb wohl, Margreta – Alix, lebe wohl –

Dank, Burgoyn, für Eure treuen Dienste –

Dein Mund brennt heiß, Gertrude – Ich bin viel

Gehasset worden, doch auch viel geliebt!

Ein edler Mann beglücke meine Gertrud,

Denn Liebe fodert dieses glühnde Herz –

Berta! Du hast das beßre Teil erwählt,

Die keusche Braut des Himmels willst du werden!

O eile, dein Gelübde zu vollziehn!

Betrüglich sind die Güter dieser Erden,

Das lern an deiner Königin! – Nichts weiter!

Lebt wohl! Lebt wohl! Lebt ewig wohl!


Sie wendet sich schnell von ihnen, alle, bis auf Melvil, entfernen sich.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 666-669.
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