Zweite Szene


[923] Zu Steinen in Schwyz. Eine Linde vor des Stauffachers Hause an der Landstraße, nächst der Brücke.

Werner Stauffacher, Pfeiffer von Luzern kommen im Gespräch.


PFEIFFER.

Ja, ja, Herr Stauffacher, wie ich Euch sagte.

Schwört nicht zu Östreich, wenn Ihrs könnt vermeiden.

Haltet fest am Reich und wacker wie bisher,

Gott schirme Euch bei Eurer alten Freiheit!


Drückt ihm herzlich die Hand und will gehen.


STAUFFACHER.

Bleibt doch, bis meine Wirtin kommt – Ihr seid

Mein Gast zu Schwyz, ich in Luzern der Eure.

PFEIFFER.

Viel Dank! Muß heute Gersau noch erreichen.

– Was ihr auch Schweres mögt zu leiden haben[923]

Von eurer Vögte Geiz und Übermut,

Tragts in Geduld! Es kann sich ändern, schnell,

Ein andrer Kaiser kann ans Reich gelangen.

Seid ihr erst Österreichs, seid ihrs auf immer.


Er geht ab. Stauffacher setzt sich kummervoll auf eine Bank unter der Linde. So findet ihn Gertrud, seine Frau, die sich neben ihn stellt und ihn eine Zeitlang schweigend betrachtet.


GERTRUD.

So ernst, mein Freund? Ich kenne dich nicht mehr.

Schon viele Tage seh ichs schweigend an,

Wie finstrer Trübsinn deine Stirne furcht.

Auf deinem Herzen drückt ein still Gebresten,

Vertrau es mir, ich bin dein treues Weib,

Und meine Hälfte fodr ich deines Grams.


Stauffacher reicht ihr die Hand und schweigt.


Was kann dein Herz beklemmen, sag es mir.

Gesegnet ist dein Fleiß, dein Glücksstand blüht,

Voll sind die Scheunen, und der Rinder Scharen,

Der glatten Pferde wohlgenährte Zucht

Ist von den Bergen glücklich heimgebracht

Zur Winterung in den bequemen Ställen.

– Da steht dein Haus, reich, wie ein Edelsitz,

Von schönem Stammholz ist es neu gezimmert

Und nach dem Richtmaß ordentlich gefügt,

Von vielen Fenstern glänzt es wohnlich, hell,

Mit bunten Wappenschildern ists bemalt,

Und weisen Sprüchen, die der Wandersmann

Verweilend liest und ihren Sinn bewundert.

STAUFFACHER.

Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt,

Doch ach – es wankt der Grund, auf den wir bauten.

GERTRUD.

Mein Werner, sage, wie verstehst du das?

STAUFFACHER.

Vor dieser Linde saß ich jüngst wie heut,

Das schön Vollbrachte freudig überdenkend,

Da kam daher von Küßnacht, seiner Burg,

Der Vogt mit seinen Reisigen geritten.

Vor diesem Hause hielt er wundernd an,

Doch ich erhub mich schnell, und unterwürfig,[924]

Wie sichs gebührt, trat ich dem Herrn entgegen,

Der uns des Kaisers richterliche Macht

Vorstellt im Lande. Wessen ist dies Haus?

Fragt' er bösmeinend, denn er wußt es wohl.

Doch schnell besonnen ich entgegn ihm so:

Dies Haus, Herr Vogt, ist meines Herrn des Kaisers,

Und Eures und mein Lehen – da versetzt er:

»Ich bin Regent im Land an Kaisers Statt

Und will nicht, daß der Bauer Häuser baue

Auf seine eigne Hand, und also frei

Hinleb, als ob er Herr wär in dem Lande,

Ich werd mich unterstehn, Euch das zu wehren.«

Dies sagend ritt er trutziglich von dannen,

Ich aber blieb mit kummervoller Seele,

Das Wort bedenkend, das der Böse sprach.

GERTRUD.

Mein lieber Herr und Ehewirt! Magst du

Ein redlich Wort von deinem Weib vernehmen?

Des edeln Ibergs Tochter rühm ich mich,

Des vielerfahrnen Manns. Wir Schwestern saßen,

Die Wolle spinnend, in den langen Nächten,

Wenn bei dem Vater sich des Volkes Häupter

Versammelten, die Pergamente lasen

Der alten Kaiser, und des Landes Wohl

Bedachten in vernünftigem Gespräch.

Aufmerkend hört ich da manch kluges Wort,

Was der Verständge denkt, der Gute wünscht,

Und still im Herzen hab ich mirs bewahrt.

So höre denn und acht auf meine Rede,

Denn was dich preßte, sieh, das wußt ich längst.

– Dir grollt der Landvogt, möchte gern dir schaden,

Denn du bist ihm ein Hindernis, daß sich

Der Schwyzer nicht dem neuen Fürstenhaus

Will unterwerfen, sondern treu und fest

Beim Reich beharren, wie die würdigen

Altvordern es gehalten und getan. –

Ists nicht so, Werner? Sag es, wenn ich lüge![925]

STAUFFACHER.

So ists, das ist des Geßlers Groll auf mich.

GERTRUD.

Er ist dir neidisch, weil du glücklich wohnst,

Ein freier Mann auf deinem eignen Erb,

– Denn er hat keins. Vom Kaiser selbst und Reich

Trägst du dies Haus zu Lehn, du darfst es zeigen,

So gut der Reichsfürst seine Länder zeigt,

Denn über dir erkennst du keinen Herrn

Als nur den Höchsten in der Christenheit –

Er ist ein jüngrer Sohn nur seines Hauses,

Nichts nennt er sein als seinen Rittermantel,

Drum sieht er jedes Biedermannes Glück

Mit scheelen Augen giftger Mißgunst an,

Dir hat er längst den Untergang geschworen –

Noch stehst du unversehrt – Willst du erwarten,

Bis er die böse Lust an dir gebüßt?

Der kluge Mann baut vor.

STAUFFACHER.

Was ist zu tun!

GERTRUD tritt näher.

So höre meinen Rat! Du weißt, wie hier

Zu Schwyz sich alle Redlichen beklagen

Ob dieses Landvogts Geiz und Wüterei.

So zweifle nicht, daß sie dort drüben auch

In Unterwalden und im Urner Land

Des Dranges müd sind und des harten Jochs –

Denn wie der Geßler hier, so schafft es frech

Der Landenberger drüben überm See –

Es kommt kein Fischerkahn zu uns herüber,

Der nicht ein neues Unheil und Gewalt

Beginnen von den Vögten uns verkündet.

Drum tät es gut, daß eurer etliche,

Die's redlich meinen, still zu Rate gingen,

Wie man des Drucks sich möcht erledigen,

So acht ich wohl, Gott würd euch nicht verlassen

Und der gerechten Sache gnädig sein –

Hast du in Uri keinen Gastfreund, sprich,

Dem du dein Herz magst redlich offenbaren?

STAUFFACHER.

Der wackern Männer kenn ich viele dort[926]

Und angesehen große Herrenleute,

Die mir geheim sind und gar wohl vertraut.


Er steht auf.


Frau, welchen Sturm gefährlicher Gedanken

Weckst du mir in der stillen Brust! Mein Innerstes

Kehrst du ans Licht des Tages mir entgegen,

Und was ich mir zu denken still verbot,

Du sprichsts mit leichter Zunge kecklich aus.

– Hast du auch wohl bedacht, was du mir rätst?

Die wilde Zwietracht und den Klang der Waffen

Rufst du in dieses friedgewohnte Tal –

Wir wagten es, ein schwaches Volk der Hirten,

In Kampf zu gehen mit dem Herrn der Welt?

Der gute Schein nur ists, worauf sie warten,

Um loszulassen auf dies arme Land

Die wilden Horden ihrer Kriegesmacht,

Darin zu schalten mit des Siegers Rechten

Und unterm Schein gerechter Züchtigung

Die alten Freiheitsbriefe zu vertilgen.

GERTRUD.

Ihr seid auch Männer, wisset eure Axt

Zu führen, und dem Mutigen hilft Gott!

STAUFFACHER.

O Weib! Ein furchtbar wütend Schrecknis ist

Der Krieg, die Herde schlägt er und den Hirten.

GERTRUD.

Ertragen muß man, was der Himmel sendet,

Unbilliges erträgt kein edles Herz.

STAUFFACHER.

Dies Haus erfreut dich, das wir neu erbauten.

Der Krieg, der ungeheure, brennt es nieder.

GERTRUD.

Wüßt ich mein Herz an zeitlich Gut gefesselt,

Den Brand wärf ich hinein mit eigner Hand.

STAUFFACHER.

Du glaubst an Menschlichkeit! Es schont der Krieg

Auch nicht das zarte Kindlein in der Wiege.

GERTRUD.

Die Unschuld hat im Himmel einen Freund!

– Sieh vorwärts, Werner, und nicht hinter dich!

STAUFFACHER.

Wir Männer können tapfer fechtend sterben,

Welch Schicksal aber wird das eure sein?

GERTRUD.

Die letzte Wahl steht auch dem Schwächsten offen,[927]

Ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei.

STAUFFACHER stürzt in ihre Arme.

Wer solch ein Herz an seinen Busen drückt,

Der kann für Herd und Hof mit Freuden fechten,

Und keines Königs Heermacht fürchtet er –

Nach Uri fahr ich stehnden Fußes gleich,

Dort lebt ein Gastfreund mir, Herr Walter Fürst,

Der über diese Zeiten denkt wie ich.

Auch find ich dort den edeln Bannerherrn

Von Attinghaus – obgleich von hohem Stamm

Liebt er das Volk und ehrt die alten Sitten.

Mit ihnen beiden pfleg ich Rats, wie man

Der Landesfeinde mutig sich erwehrt –

Leb wohl – und weil ich fern bin, führe du

Mit klugem Sinn das Regiment des Hauses –

Dem Pilger, der zum Gotteshause wallt,

Dem frommen Mönch, der für sein Kloster sammelt,

Gib reichlich und entlaß ihn wohl gepflegt.

Stauffachers Haus verbirgt sich nicht. Zu äußerst

Am offnen Herweg stehts, ein wirtlich Dach

Für alle Wandrer, die des Weges fahren.


Indem sie nach dem Hintergrunde abgehen, tritt Wilhelm Tell mit Baumgarten vorn auf die Szene.


TELL zu Baumgarten.

Ihr habt jetzt meiner weiter nicht vonnöten,

Zu jenem Hause gehet ein, dort wohnt

Der Stauffacher, ein Vater der Bedrängten.

– Doch sieh, da ist er selber – Folgt mir, kommt!


Gehen auf ihn zu, die Szene verwandelt sich.[928]


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 923-929.
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