Lied

[30] Eine holde süße Kranke

Ist mein stätiger Gedanke.


Milde Sonne, laß dich schauen!

Haltet inne, rauhe Lüfte!

Gieße deine Balsamdüfte,

Frühling, auf Toscanas Auen.

Grüne Lauben will ich bauen,

Daß sie nicht im Sturme wanke,

Diese Blume, diese Kranke.


Ach, es wechselt auf den Wangen

Liljenbläß' und Glut der Rosen.

Wag' ich's, ihnen liebzukosen,

Unter Ahnden, unter Bangen?

Darf sich schmiegen mein Verlangen,

Innig, wie des Epheu's Ranke,

Um die lieblich blüh'nde Kranke?


Deine Stimme flüstert leise,

Dem Gesange sonst vertraut;

Aber Eines Wortes Laut

Haucht sie doch in Flöten-Weise.[31]

Dieses Wort, des Kraft ich preise

Vor der Götter Nektartranke,

Liebe heißt es, liebe Kranke.


Aus der Wimpern Schatten strahlen

Laß mir deine dunkeln Augen;

Laß von deinen Lippen saugen

Bange Wonn' und süße Qualen.

Einmal noch! zu tausendmalen!

Bis ich bebe, bis ich schwanke,

Und im Sehnen selbst erkranke.


Unbeklommen wird sich heben

Bald die liebevolle Brust,

Fühlt sie nur ein Theil der Lust,

Die sie kann in Fülle geben.

Alles Heil soll dich umschweben,

Der ich neues Dasein danke,

Nina, meine holde Kranke!

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 30-32.
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