Das Lieblichste

[343] Sanft entschlummert sich's an moos'gen Klippen

Bei der dunklen Quelle Sprudelklang.

Lieblich labt's, wann Glut das Mark durchdrang,

Traubensaft in Tropfen einzunippen.


Himmlisch dem, der je aus Aganippen

Schöpfte, tönt geweihter Dichtung Sang.

Göttlich ist der Liebe Wonnempfang

Auf des Mädchens unentweihten Lippen.


Aber Eines ist mir noch bewußt,

Das der Himmel seinen liebsten Söhnen

Einzig gab: die Wonne milder Thränen;


Wann der Geist, von Ahndung und von Lust

Rings umdämmert, auf der Wehmuth Wellen

Wünscht in Melodieen hinzuquellen.

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 343-344.
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