Die Kunst der Griechen

Elegie.


An Goethe.


Kämpfend verwirrt sich die Welt, und neue Verhängnisse stürmen

Dir, kunsthegendes Land, Hellas geliebteres Kind,

Dunkel heran; es versinkt in erneuerten Flammen Korinthus,

Und der Proconsul häuft wieder in Schiffe den Raub,

Stolz den Ersatz androhend; gefeßelte Geniuswerke

Führt barbarischer Pomp wiederum auf in Triumph.

Du indessen enthüllst, der hellenischen Muse Geweihter,

Goethe, mit sinnendem Blick, mancherlei Wundergebild,

Wie es emporstieg einst in dem Geist prometheïscher Männer,

Ruhig beschwörend den Wahn, welcher nur gafft und verkennt.

Dir entringeln die Schlangen um Ilions Held und die Knaben

Ihre Gewinde: wir sehn, wie die bewaffnete Kunst

Zögernd der Götter Gerichte vollführt; die schonende Hand goß

Linde der Anmuth Oel über den duldenden Stein.[5]

So hebt Niobe dort die verstummenden Blicke zum Himmel,

Groß gewendet; ihr haucht um den geöffneten Mund

Heilige Charis, die zürnet und fleht: ach, wenn sie erstarrt noch

Sahe Latona so schön, mußte, zu spät, sie verzeihn!

Leih den Gestalten dein bildendes Wort; aus verbrüdertem Geiste

Freundlich zurückgestrahlt, spiegle sich Kunst in der Kunst.

Was der Genius hegt, der schirmende, wohnt in dem Frieden

Einer geweiheten Brust frei von der Erde Gewalt.

Da verwahrest du sicher was gern dir Ausonien zeigte,

Flüchtend vor der Gefahr wählt' es ein reines Asyl.

So bewahrte die Erd' einst diese Zeugen der Vorwelt

Sorgsam im Schooße, sie hielt Keime lebendig versteckt

Wiedergeborener Kunst und Begeisterung; endlich erstand sie

Aus der unteren Welt Tiefen dem Leben und Licht,

Froh zu der Mutter Umarmung, die längst verlorene Tochter.

Mancher Künstler verstand jenes Heroengeschlechts

Unvergängliche Sprache, die Götzen wurden zu Göttern,

Und den bestätigten ward freie Verehrung geweiht.

Glücklich, wenn noch in dem Staube was ruht, was Phidias kühn schuf,

Was Polykletos mit Maß! Ueber dem Haupte hinweg

Geht die Verheerung ihm: nicht stürzende Vesten erdrücken's,

Und es erblüht dereinst einer beruhigten Welt.

Hat der zürnende Berg mit alten Gluten des Abgrunds

Nicht Pompeji bedeckt und den herkulischen Strand?

Doch, vom feurigen Regen verschont und den flutenden Felsen,

Stieg unalternd ein Bild häusliches Webens empor.

Zwar auch dieß nur ein kleines, doch ist es ein werthes Gedächtniß:

Alles, bedeutungsvoll, lehrt, was die Zeiten geraubt.

Lehnt der befreundete Seher der Alten ja selbst an der Säule

Sturz wehmüthig, und tritt ernst auf zertrümmert Gebälk.[6]

Denn er gleichet dem Manne, der, kaum entronnen dem Schiffbruch,

Schätze verlor, und klimmt nackt die Gestade hinauf.

Nur am Finger ein Ring blieb sein, den gab die Geliebte,

Und so dünkt er sich reich, schauet ihr Zeichen nur an.

Ach, wie dämmernder Schimmer erloschener Herrlichkeit folgt uns!

Jenes volleren Tags Glorie träumen wir kaum.

Auf Eilanden umher, an vieldurchschnittenen Küsten

Blühend verbreitet und reich, wohnte das regsame Volk

Asien an und Aegyptus, und schuf Welttheile zu Hellas:

Denn den eignen Beruf übt' es, wohin es nur kam.

Wo der versengte Räuber sein Zelt in ein wechselndes Sandmeer

Pflanzt, wo jetzt das Kameel schmachtet nach ärmlichem Trunk,

Sprudelte Phöbos Quell, da schattete süß Aphrodite's

Garten, Kyrene, dein Haupt, fruchtbar und wagenberühmt.

Zeus Wettkämpfe, sie riefen herbei wie entlegene Länder!

Rosse sikulischer Au'n stampften Olympia's Bahn;

Und Alpheos, in Liebe zur Nymph' Arethusa sich tauchend,

Trug den heiligen Staub nach Syrakusä zurück.

Nicht die jubelnde Menge nur zeugt dem Ruhm der Athleten:

Seht, es bevölkern den Hain Schaaren der Sieger aus Erz!

Wer mit den Rädern das Ziel umdonnerte, wer in dem Faustkampf,

Mit Wurfscheiben gesiegt, ringend, im Sprung' und im Lauf,

Eile zu opfern, wo dorisch Gesäul ein würdiges Dach trägt,

Dessen Giebel des Siegs Botin sich golden entschwingt.

Drinnen thront er; ihn selbst, der Menschen Vater und Götter,

Schmücket des Oelbaums Blatt, wie es den Kämpfer belohnt.

Horen und Chariten schweben im Reihn um des Ewigen Scheitel,

Tief an des Schemels Rand wühlt Amazonengefecht.

Ruft den Glücklichen aus, dem Zeus den unsterblichen Kranz beut,

Unter der Flöten Getön stimme sie, Pindaros, an,[7]

Lieblicher Mund des Ruhmes, die leierbeherrschenden Hymnen!

»Wem zu sterben verhängt wurde,« so rauschet ihr Pfeil,

»Warum säß' er daheim, unrühmliches Alter zu nähren?

Alles Schönen beraubt? Auf, und das Schwere versucht!

Das war Pelops Wort, als einst er die Lanz' Oenomaos

Meidend, auf eben dem Plan Hippodamia gewann.«

Ach! mich täuschte dieß Bild, von vielen nur eins, hingaukelnd

Festliches Leben; es floh! seufzet die Oede zurück.

Aber entrißen dem irdischen Sitz, umhauche der Geist uns,

Ewig gilt sein Gesetz, licht wie die Sonn' und geheim.

Nicht vor die Tugend allein ward Schweiß gestellt von den Göttern,

Reinere Schönheit auch wohnet auf einsamer Höh.

Enge windet und steil sich der Pfad hinan zu der spröden,

Aber am üppigen Hang gleitet Entartung hinab.

So stieg Hellas Kunst, die gleich der lakonischen Jungfrau

Nackt die Glieder geübt, eh sie der Liebe gedacht.

Einfach ruhte des Doriers Säul', in ionischer Weichheit

Wand sich ihr Knauf, Korinth krönt ihn mit blättrigem Schmuck.

Wann sie das Ziel erreicht, beharrten sie; Lehren der Nachwelt

Spricht die gebietende Form, ob an der Urne sie sei,

Ob am mächtigen Bau; im Schutt zerrißener Trümmern

Stehet die Ordnung fest und der Verhältnisse Maß.

Als der gemahlten Tafel noch wenige Farben genügten,

Purpur noch indisches Blau blüht' an der kostbaren Wand,

Heiterte erst Polygnotos den alten Ernst der Gestalt auf;

Lächeln verhieß, wie des Tags Röthe, Bewegung und Reiz.

Zeuxis sammelte wählend die unverschleierte Schönheit,

Herrlich baut' er den Leib, aber die Seele noch schwieg.

Leiseren Umriß zog Parrhasios; fliehende Gränzen

Lockten das Auge sich nach um das gerundete Bild.[8]

Sinnvoll barg und verrieth, noch mehr als er zeigte, Timanthes,

Leid und das tiefste Gemüth rief Aristides hervor.

Allzubescheidene Hand des Protogenes! immer noch weilend

Am Vollendeten selbst; leichteren Schwung und Vertraun

Lehrt' ihn der Mahler von Kos, dem vor den bewunderten Meistern

Anmuth, jedes Bemühns Blüthe, sich eigen ergab.

Ach, wo blieb, Apelles, dein blitzender Gott Alexandros?

Und der Gesellin Bild, welches sie selbst dir erwarb?

Die du behende den Wellen enthobst mit träufelndem Haar noch,

Welch auftobendes Meer schlang uns die Göttin hinab?

Viel zu zart war die Kunst, die im Zaubernetze den Schein hascht,

Unerdrückt zu bestehn Lasten vernichtender Zeit.

Riß ja doch, aus härterem Stoff erschaffen zum Denkmal,

Ihrer Schwester Gebild' auch die Vergänglichkeit hin.

Ob sie schon ernst und gewaltig aus Phidias Haupte hervorsprang,

Pallas Athene, die Brust Gorgogeharnischt, behelmt

Mit jungfräulicher Sphinx: doch mußte des sterblichen Vaters

Tochter ihm nach in die Gruft, welche nicht Himmlischen ziemt.

Damals forderte Dienst vom Köstlichen, jugendlich stolz noch

Wählend, des Bildners Kunst; kleidete, sicher des Siegs

Ueber den prahlenden Stoff, die Riesengestalt in's Geschmeide

Goldes und Elfenbeins: unter der Stirn Majestät

Blitzt' ein edles Gestein die gebietenden Blicke der Göttin.

Aber die irdische Pracht rächte zerstörend sich bald.

Zwar auch vieles vergieng, aus dem Kern der parischen Klüfte,

Oder aus Einem Strom Erzes, bescheidner geformt.

Nicht mehr lernt die Natur vom lebenden Maß Polykletos,

Das er ihr selbst entwandt, Glieder harmonisch zu baun.

Weil von Alkamenes Hand dir obgesiegt Kytherea,

Zürnst du länger nicht mehr, Nemesis Agorakrits.[9]

Schwärmt sie noch wo, die Bacchante, die Skopas, nicht Bacchus, begeistert?

Sendet noch Eros, der Gott, der den Praxiteles hieß,

Wie er ihn fühlt', ihn bilden, mit Phryne Meister des Meisters,

Lächelnder Schönheit Pfeil in der Beschauenden Brust?

Wo weilt Myrons Kuh der Heerd' und dem treibenden Hirten?

Und wo bäumt sich als Roß schnaubend, Lysippos, dein Erz?

Wer entschlürft noch lesbischen Thau der getriebnen Phiale,

Mentors redendem Werk, zierlich umlaubt von Akanth?

Frage das Schicksal nicht, warum es so herbe gewaltet:

Trotziger Willkür Spiel übt' es, auch wann es geschont.

Gleich sibyllischen Blättern verweht, oft halb nur vernommen,

Tönt herüber zu uns grajischer Hauch, Poesie.

Sänger gab's vor Homeros, wie Tapfre vor Held Agamemnon,

Doch die Vergeßnen drängt herrlich der Eine zurück.

Viel' auch kamen nach ihm, doch überlebt sie der Alte.

Jener gesellige Chor, welcher die Lyra bespannt,

Als sich die Freiheit regt' und der schwellende Muth in den Bürgern,

Hält Wettspiele nicht mehr, glühend in Lieb' und in Streit.

Krieger und Sänger zugleich, und auch als Sänger noch Krieger,

Stürmt' Archilochos hin: aber sein Jambengeschoß

Brach ihm die Zeit; Mimnermos verklagt die enteilende: schmelzend

Ward in des Weicheren Mund Jugendgenuß Elegie.

Alkman rühmt' umsonst sich Gastfreund Sparta's, umsonst auch

Trug Stesichoros Lied großer Heroen Gewicht.

Ibykos ras'te vor allen in wirbelnden Flammen der Kypris;

Süßer Anakreon, dich traf mit betäubendem Beil

Eros, daß du gehoben, wie hoch vom leukadischen Felsen,

Nieder in's wogende Meer taumeltest, liebeberauscht.

Aber das holde Verlangen, das allen thaut' in dem Busen,

Athmet nicht mehr: der Duft floh mit dem Lenze dahin.[10]

Ewig ist sie verstummt, Alkäos äolische Muse,

Folgte sie gleich zur Schlacht, trotzte Tyrannen mit ihm.

Sappho führte den Reihn, geschmückt mit pierischen Rosen,

Lesbos Wonne, zu der oft mit dem Taubengespann

Paphia kam, und kos'te mit ihr, vom himmlischen Antlitz

Lächelnd: doch Hades Neid birgt den melodischen Geist.

Heil dem Retter Apollo! der attischen Bühne Vollender

Seh' ich epheubekränzt; rüstig auf hohem Kothurn

Schreitet der Kühne voran, der, grauser Verhängnisse Spindel

Rollend, aus alter Nacht rief der Erinnyen Schaar.

Daß er der ländlichen Satyrn noch spottete! wie sie Prometheus

Feuerbringend gewarnt: »Rühre nicht, Bock, denn es brennt.«

Dir auch opfern wir froh, gesegneter Greis von Kolonos!

Raubte die Zeit dir gleich viel von den Gütern hinweg,

Führen dich doch zwei Töchter, Antigone stets und Elektra,

Bis du im heiligen Hain sterblichen Augen entgehst.

Treibt Aristophanes gaukelnd ein Heer muthwilliger Larven

Ueber den Schauplatz hin: dennoch entbehren wir dort

Jenen Erfinder des Spiels, die dorische Stimm' Epicharmos.

Nur in Sprüchen noch lehrt, einzeln, der sittige Scherz,

Dem vertrauend Menandros, der Spätling athenischer Anmuth,

Glykera's üppiger Freund, leiser die Scene betrat.

Wem Dionysos mit trunkener Wuth die Seele durchblitzte,

Den gab Pythios frei jedes Gesetzes, und so

Taumelten festlich entzückt im Flötengetön Dithyramben.

Auf, Melanippides, denn! oder, Timotheos, du!

Singe den Orgien vor, Philoxenos! Schweiget die ganze

Purpurbekleidete Schaar? brausen die Becher nicht mehr?

Römischen Nachhall nur vernehm' ich vom zarten Gekose,

Das Philetas ergoß, wann, wie des Bachs Labyrinth[11]

Irrend und wiederkehrend, der weiche Pentameter fortzog;

Und Kallimachos auch buhlt in des Umbriers Lied.

Der süßzaubernd die Dichter bestrickt in Lieb' und die Weisen,

Du, Hermesianax! schweigen doch alle von dir.

Aber wir klopfen umsonst an der Vorwelt eherne Pforte:

Keiner, den Hermes Stab rührete, kehret zurück.

Nur Traumbilder entflattern von da und Schattengestalten;

Scheucht auch die nicht fort! laßt sie uns Genien sein!

Vorwärts strebe der Sinn! Erschafft selbständiges Muthes

Ueber den Trümmern neu schönere Welten der Kunst!

Fließet die Sprach' uns nicht, von selbst Melodie, von der Lippe,

Wiegt kein südlicher Lenz, über dem Muttergefild

Wehend, uns leicht durch's Leben: so gab uns strenger Erzognen

Doch den unendlichen Trieb spielender Freude der Gott.

Dir vertraut' er, o Goethe, der Künstlerweihe Geheimniß,

Daß du im Heiligthum hütest das Dichtergesetz.

Lehre denn dichtend, und führe den Weg zum alten Parnassus!

Wie? du schwindest dem Blick höher empor zum Olymp?

Wie einst Eos den Liebling, so nimmt im geflügelten Wagen

Liebend die Muse dich auf, doch sie entreißet dich nicht.

Schwebend über den Werken der Sterblichen, streuet sie Rosen

Aus dem Gewölk, des Tags holde Verkündigerin.

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke, Band 2, Leipzig 1846, S. 5-12.
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