Zweiter Auftritt.

[147] Die Vorigen, Pythia.


PYTHIA.

Ja, dieser Anblick ist mir festlich wert;

Ich sehe, mein geliebter Zögling fand

Nicht bloß des Vaters Namen, auch sein Herz,

Und bin getröstet, daß er von mir geht.

O König: eine düstre Wolke hatte

Sich um uns her gelagert, doch sie hat

In Blitzen ausgewittert, die nicht trafen,

Und heiter ist der Himmel, wie zuvor.

XUTHUS.

Spurlos vergehn die neblichten Gebilde

Von ird'schem Ursprung an des Äthers ew'gem Blau,

Doch unverwüstbar ist nicht das Gemüt;

Wenn fremder Leidenschaft geschwoll'ner Strom

In des Wohlwollens fruchtbare Gefilde

Feindselig einbricht, so zerreißt er sie

Mit tiefen Furchen, die sich nimmer ebnen.

Wie kann ich es Kreusen je vergessen,

Was sie getrachtet wider diesen Knaben,

Als er nur mein und nicht der ihre schien?[147]

Jetzt, da sich's ganz verschieden offenbart,

Steh' ich ihr gegenüber, wie sie mir vorhin,

Stiefvater ihres zugebrachten Kindes;

Und muß sie Gleiches nicht von mir besorgen?

PYTHIA.

Dein Edelmut verbürgt ihr, daß du nicht

Den Liebling, den wie eine Himmelsgabe

Du von Beginn dir angeeignet hast,

Der Mutter Schuld entgelten lassen wirst.

Und wenn du deren noch gedenken magst,

So denk' auch, daß ein flücht'ger Wahnsinn sie

Ergriffen hatte, daß sie in dem Ausspruch,

Der ihr den längst vermißten Sohn zurück

Durch deine Hände schonend reichte, nur

Getäuschte Hoffnung und Verzweiflung sah.

Ihr Glück lag ihr zu nah', es wahrzunehmen.

So schwärmte sie in ferner Übel Furcht.

Auch was Trophonius geweissagt, hat

Sie irr' geleitet: denn ihr Argwohn deutete

Das Unheil auf den dir verlieh'nen Knaben,

Was über sich sie selbst herbei nun zog.

Du, ruhiger und weiser, wirst nicht Recht

Zum zweitenmal dem finstern Seher geben,

Indem du dich von deiner Gattin wendest,

Und Zwietracht nährst, und so dein Haus zerrüttest.

XUTHUS.

Wahr ist's, wenn ich in mir herauf sie rufe,

Die Bilder, welche mich in jener Höhle

Lichtlosen Blitzen gleich umgaukelt haben,

Erkenn' ich wohl, was sie mir angekündigt,

Und seh' es schon erfüllt. Ein Jüngling zielte

Nach eines Weibes Brust, doch schoß er nicht;

Des Argwohns Nattern, die ein liebend Paar[148]

Umwanden, konnten wieder sich entwirren,

Wie diese ganze Schattenwelt zerfloß.

Nicht jenseits ihrer Deutung noch zu toben,

Verwarnt uns das: mit diesen leeren Schrecken

Wär' abgebüßt der Neid der Unterwelt,

Und des Besitzes Ruhe könnte nun

Beginnen, aber unbefriedigt läßt

Mich das Orakel von sich, mir verlieh

Es nicht, was meine Frage bittend meinte.

Denn mit dem angenommnen Sohne noch

Bleib' ich ja erb- und kinderlos, und Hellens

Geschlecht versiegt in mir, und Jovis Blut.

PYTHIA.

Einmal Verheiß'nes wieder zu verkünden,

Verschmähte wohl der zuverläß'ge Gott,

Doch ist es dein, wenn du es nicht vereitelst.

Er hieß fortan dich dankbar ehren, wer

Des Sohnes holde Gabe dir verlieh'n.

Das zogst du auf den Seher selbst; es galt

Wie nun sich's offenbart der Mutter, die

Zwar furchtsam schweigend, dir ihn zugebracht.

Vorbeugend sprach's Apollos Huld, damit

Nicht seiner frühen Liebe spät enthüllte Frucht

Dein und Kreusens Bündnis stören möchte,

Auf welchem schöne Hoffnung ruht.

XUTHUS.

Ein leichtes Spielwerk, seh' ich, sind wir Sterblichen

Dem Doppelsinn der Göttersprüche nur.

Sie auszulegen ziemt wohl der Prophetin,

Doch, Pythia, du schmeichelst mir zu viel.

Denn wird Erechtheus' Tochter, die Genossin

Des Delphiers, nun anerkannt von ihm,

Noch nach dem irdischen Gemahle fragen,[149]

Das altgewohnte Lager nicht verschmäh'n?

Es blüht ein Sprößling ja der Erechthiden,

Dem Thron des heiligen Athen ein Erbe;

Und unwillkommne Nebenbuhler nur

Könnt' unsre Ehe diesem Erstling schaffen.

PYTHIA.

Wie fern ist solch ein Übermut von ihr!

Sie fühlt ein innig Unrecht gegen dich,

Im langen Schweigen der Vergangenheit,

Und in den wilden Taten dieses Tages.

Du stehst als Sieger rein und ruhmvoll da,

Wenn du des Zornes Regung nur bezähmst.

Ein edler Mann nutzt nicht die Übermacht,

Noch tiefer ein beschämtes Weib zu beugen.

XUTHUS.

Wo weilt sie aber? Sie vermeidet mich.

PYTHIA.

Sie zögert bangend, bis sie erst vernommen,

Was meine Red' auf dein Gemüt vermocht,

Und, irr' ich nicht, ist sie uns nahe Zeugin.


Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Ausgewählte Werke. Berlin 1922, S. 147-150.
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