Vierzehntes Kapitel

[115] Es war ein heiterer herrlicher Morgen; ein großer, von hohen schattigen Bäumen umgebener Platz im Park, den man aus dem Kabinett der Gräfin übersehen konnte, und der von der andern Seite die Aussicht ins freie Feld ließ, war zur festlichen Bewirtung der Landleute eingerichtet. Unter den Bäumen rings um den Platz standen Tische von verschiedener Größe; jeder Familie war einer angewiesen, dessen Größe der Anzahl der Personen angemessen war. Es durfte keiner aus Mangel an Raum zurückgelassen werden. Jede Hausmutter sah sich im Kreise der Ihrigen, und sorgte nach ihrer gewohnten Weise für ihre Bequemlichkeit. Stühle standen umher, geräumige Lehnsessel für die Alten. Glänzend weiße Tücher waren über die Tische gedeckt. Frauen und Töchter stellten geschäftig das nötige Gerät umher, kein Lakai, keine Livree war zu erblicken. Gelassen sorgte jede für die Ihrigen, brachte sorgsam das ererbte, lang geehrte Glas, das gewohnte Messer des Hausvaters, damit er keine häusliche Bequemlichkeit vermisse. Mit Braten, Wein und Kuchen waren die Tische reichlich besetzt, mit Blumen anmutig verziert. Die Mitte des Platzes, ein frischer dichter Rasen, war zum Tanz für die jungen Leute bestimmt; da konnten die Alten ruhig an ihren Tischen sitzend dem Tanze zusehen.

Früh war Eleonore hinausgegangen, um selbst noch einmal nachzusehen, ob alles nach ihren Befehlen eingerichtet sei, und ob nichts mangle? Nach und nach kamen alle zusammen in festlichem Anzuge. Junge Mädchen mit Bändern und Blumen geschmückt, versammelten[115] sich, Therese an ihrer Spitze, um Julianen einen blühenden Myrtenkranz zu überreichen. Jetzt kamen auch einige Abgeordnete aus Eduards und des Grafen nah liegenden Gütern. Jeder Tisch war für einige Gäste mitberechnet, sie fanden also leicht einen Platz. Sie suchten sich sogleich ihre Verwandte oder Bekannte heraus, und wer keine zu finden hatte, wurde von allen eingeladen, er wählte selbst seinen Wirt; die freundliche Hausfrau, das netteste, sittsamste Töchterchen zählten die meisten Gäste, und entschieden die Wahl auf den ersten Blick. Der Graf hatte einige Söhne aus dem Dorfe unter seinem Regimente, diesen hatte er heimlich Urlaub gesandt, nach ihrer Heimat zurückzukehren und sich mit ihren Mädchen zu verbinden, die schon längst auf diese Erlaubnis geharrt hatten. Jetzt kamen sie muntern Soldaten unvermutet zwischen den Bäumen hervor, und begrüßten die freudig erschreckten Eltern und die errötenden Bräute, die sich unter den versammelten Mädchen befanden, und welche heute ihre Aussteuer von Eleonorens Händen erwarteten. Herzlich froher lauter Willkommen schallte von allen Seiten; Umarmungen, Glückwünsche und Händeschütteln gingen im kunstlosen Reihentanz durcheinander, bei dem der freiere militärische Anstand und die hellen Farben der Uniformen lustig abstachen gegen das einfältige friedliche Betragen der Einwohner.

Der Graf und Florentin kamen dazu; er bezeigte Eleonoren seine Zufriedenheit, und lächelte vergnügt bei dem schönen Anblick. – »Sehen Sie, Florentin«, sagte Eleonore, »wie das alles lacht und lebt.« – »Mir ist«, sagte Florentin, »als sähe ich eine Szene von Teniers lebendig werden! Es wäre noch der Mühe wert zu leben, wenn es immer so auf der Welt aussehen könnte!« – »Mutter«, rief Therese, »wo bleibt denn Juliane? Ich werde ungeduldig.« – »Es ist wahr«, sagte Eleonore, »sie müßte schon hier sein, und wo bleibt Eduard?« – »Sie waren schon diesen Morgen mit ihm aus, Florentin«, sagte der Graf, »ich sah Sie beide zurückkommen, was hatten Sie schon so früh vor?« – »Die Gesellschaft trennte sich gestern sehr früh, wir blieben noch zusammen, ein Buch, das wir vor einigen Tagen zu lesen angefangen hatten, zog uns so fort, daß wir nicht eher aufhören konnten, bis es geendigt war; es war nun nicht mehr Zeit sich niederzulegen, wir gingen hinaus, und erwarteten den Morgen.« – »Seit einigen Tagen«, fing der Graf wieder an, »habe ich ein nachdenklicheres, trüberes Wesen an Eduard bemerkt, als ihm gewöhnlich ist. Hat er Ihnen etwa die Ursache vertraut, Florentin? Oder haben Sie sonst Gelegenheit gehabt zu bemerken, was ihn drückt? Sie müssen uns kein Geheimnis[116] daraus machen, es ist vielleicht nicht unmöglich seinem Verdruß abzuhelfen, oder irgendeinen geheimen Wunsch zu erfüllen. Warum verbirgt er sich uns?« – »Mir ist nichts bekannt, Herr Graf, als was Sie selbst bemerkt haben, nämlich daß er nicht so heiter als gewöhnlich ist.« – »Haben Sie sonst keine Vermutung?« – »Die steigende Ungeduld, vielleicht die Erwartung!« – »Unmöglich! Sein Glück ist so nah, so sicher.« – »Vielleicht ist es etwas... mir hat er... wirklich... ich weiß nicht... Wenn Sie mir erlauben, so will ich jetzt die Gräfin Juliane aufsuchen.« – Er ging zurück auf das Schloß. Die Fragen des Grafen hatten ihn verwirrt. Entdeckt hatte Eduard sich ihm nicht, aber er war fest überzeugt, eine geheime Eifersucht, die er gerne unterdrücken möchte, marterte ihn, er war bis zur Peinlichkeit reizbar geworden; Juliane heiterte ihn freilich oft wieder auf, aber nur auf kurze Zeit, dann war irgendeine Kleinigkeit wieder imstande, ihn zu beunruhigen. Wie ein Gespenst trat es Florentin vor die Seele, er sei die Ursache dieser Zerstörung. Auch das, was in jener Nacht in der Mühle vorgegangen war, konnte er sich auf keine andere Weise sonst erklären.

Auf dem Korridor nach Julianens Zimmer sah er eine Tür geöffnet, die er bis jetzt immer verschlossen gefunden hatte; er trat hinein, es war das neu eingerichtete Schlafzimmer für Julianen, in dem die Kammerfrauen eben noch einiges ordneten. Ein Basrelief mit Figuren in Lebensgröße über dem Kamine zog sogleich seine Augen auf sich. Es war eine Psyche, welche die Lampe in der Hand, den schlummernden Gott der Liebe mit staunendem Entzücken beschaute. Es war in edlem Stil gearbeitet, und von vollendeter Ausführung, Florentin betrachtete es mit innigem Vergnügen, und glaubte die Hand des Meisters darin zu erkennen; er freute sich es so unverhofft erblickt zu haben. Das ganze Zimmer war übrigens mit glänzender Pracht eingerichtet. Als er es eben verlassen wollte, und noch einen Blick umher warf, fiel ihm das große Prachtbette auf, das dem vortrefflichen Kunstwerk gegenüberstand. Am Oberteil des Lagers sowohl, als zwischen den stolzen Federbüschen, die auf den reich mit goldnen Quasten verzierten schweren seidnen Vorhängen prangten, breiteten sich mit großer Würde die Wappen, gleichsam der schwebenden, beinahe entkörperten Psyche erdrückend entgegen. – Wir wagen es nicht zu bestimmen, was dem Florentin für Bemerkungen eingefallen sein mögen, aber er lachte laut auf.

Juliane und Eduard begegneten ihm, als er zur Türe heraustrat. – »Ich war im Begriff Sie beide aufzusuchen, Sie werden im Park[117] erwartet.« – »Von wem? Sind meine Eltern dort?« – »Sie wünschen im Park zu frühstücken, eh' die Gesellschaft zu groß wird, auch werden Sie eines erfreulichen Anblicks genießen.« – Sie eilten hinunter.

Eine jubelnde Symphonie von vielen Instrumenten, die zwischen den Bäumen versteckt waren, empfing sie. Juliane trug ein weißes Kleid von der feinsten Gaze, das in leichten Falten bis zu den Füßen herabfiel, unter der Brust war es von einer Reihe Smaragden zusammengehalten, ihre Haare in eigner Pracht, ohne allen Schmuck aufgesteckt; feine goldne Kettchen zierten Hals und Arme, auf dem schönen Busen wiegte sich ein Stein von Diamanten. So schwebte sie aus dem Schatten der Bäume hervor, herrlich geschmückt, doch leicht und kunstlos. Augen und Herzen flogen ihr entgegen. Eine selige Heiterkeit verklärte ihr Gesicht beim Anblick der frohen Menge. Ihre Eltern an der andern Seite des Platzes erblickend, wollte sie sogleich zu ihnen herüberfliegen; ihre eiligen Schritte aber wurden von Kindern gehemmt, welche sie mit Blumenketten umgaben und festhielten; zugleich näherte sich ihr mit Gesang der Trupp junger Mädchen. Sie hob Theresen zu sich hinauf, küßte sie, und ließ sich den blühenden Kranz von ihr auf die Locken drücken. Mit nassen Augen lächelte sie beim Gesang der Mädchen, die einen Korb mit den schönsten Blumen zu ihren Füßen niedersetzten. Kaum hatte sie sich in den Armen ihrer Eltern von der freudigen Rührung erholt, als die beiden Knaben, Julianens Brüder, einen kleinen Wagen ganz von Rosen durchflochten herbeizogen, die Kinder zwangen sie scherzend hinauf, sie setzte sich unter eine Art von Rosenthron. Therese stand ihr auf dem Schoß, der Blumenkorb zu ihren Füßen, so ward sie im Thriumph und Freudengeschrei fortgezogen; das Ganze sah so reizend und zauberisch aus, daß man einen Feenaufzug zu sehen glaubte.

So ging es fort nach einem stillen entfernten Teil des Parks, wo das Frühstück bereitet war. Zwischen den Büschen standen blühende Orangenbäume, die einen balsamischen Duft verbreiteten. Wo man hinsah, erblickte man Julianens und Eduards Namen aus Blumengehängen. Die Bäume waren durch ebensolche Blumengehänge verbunden, und das Ganze bildete einen vollen bedeutenden Blütenkranz. Von verschiedenen Seiten in kleiner Entfernung ließen sich Oboen und Waldhörner bald wechselnd, bald zusammenstimmend hören, und wenn sie schwiegen, erschallte ganz von ferne die fröhliche Musik bei den Landleuten herüber. Jedes Geräusch war entfernt, alle saßen schweigend und horchend, jedes schien beschäftigt, die Freuden mit allen Sinnen in sich aufzunehmen. Florentin verglich im stillen den[118] Eindruck dieses kleinen Tempels mit dem des prangenden Schlafgemachs, das er gesehen, und es ist leicht zu erraten, welches er sich von beiden am liebsten zum Allerheiligsten im Heiligtum der Liebe ausersehen hätte.

Von tausend süßen Gefühlen durchströmt, das Herz pochend von liebevoller Ahndung, lehnte Juliane das glühende Gesicht an den Busen ihrer Mutter, Eduards Lippen ruhten auf ihrer Hand, die er mit den seinigen umschlossen hielt. – »Meine Juliane, mein angebetetes Mädchen!« sprach er im Entzücken der Liebe, »werde ich dich jemals so glücklich machen können, als du in den Armen der Mutter bist?« – »Sie bleibt in den Armen ihrer Mutter«, sagte Eleonore, sie sanft an sich drückend, »auch wenn sie die Ihrige sein wird! Sie rauben sie uns nicht, lieber Eduard!« – »Mögt Ihr beiden das höchste Glück jedes das seine im andern finden«, sagte der Graf, indem er sie umarmte, »Ihr seid mein kostbarstes Kleinod. Gott verleihe euch seinen reichsten Segen in dem meinigen!« – Die Rede des Grafen schien erst bestimmt zu sein, noch mehreres zu enthalten, er brach aber mitten darin ab, und sah nach seiner Uhr mit einiger Bedenklichkeit. »Ich hätte sehr gewünscht«, fing er wieder an, »noch einige Zeit in diesem vertraulichen Kreise zu verweilen, aber ich sehe soeben, daß wir keine Zeit mehr zu versäumen haben: Juliane, du mußt an deine Toilette denken, wir müssen uns ja noch alle umkleiden.« – »Bleibt die Gräfin Juliane nicht so, wie sie da ist?« fragte Florentin; »das werden wir bedauern müssen; sie ist so schön in diesem Anzuge, daß keine Veränderung vorteilhaft für sie sein kann.« – »Es ist wahr«, sagte der Graf, »aber hier darf nicht die Rede von der Schönheit der Kleidung sein, sondern von der Schicklichkeit. In dieser kann sie nicht öffentlich getraut werden, heute müssen wir notwendig in Gala sein. Wenn uns nur die Fremden nicht überraschen, wir haben zu lange verweilt.« – »Nun laßt uns zurückgehen«, sagte Eleonore, »wir finden wahrscheinlich schon einige versammelt. Auch unser wunderlicher Obristwachtmeister wird wohl schon aufgestanden sein; es wird mich belustigen zu sehen, was er zu unserm Volksfeste sagen wird; ich wette, er findet etwas gegen die Humanität darin zu tadeln.« – Man trennte sich. Jeder ging auf sein eignes Zimmer. Eleonore fand, daß sie noch eine Stunde übrig hatte, sie verschloß sich in ihr Kabinett und schrieb folgenden Brief an Clementinen, die in der allgemeinen Freude von allen schmerzlich vermißt ward.
[119]


Eleonore an Clementina

Mitten aus dem festlichen Getümmel, und in unruhiger Besorgnis, jeden Augenblick abgerufen zu werden, schleiche ich mich in meine Kammer, um Dir einige Worte zuzurufen: Ich will meinem Herzen diese Freude nicht versagen, ich will zu Dir reden, will mir einbilden, Du säßest neben mir, und ich sähe es dem lieben Gesicht an, wie Dein Herz die Freuden des meinigen teilt.

Aber auch schelten muß ich mit Dir, Du Unvernünftige! Wie? Juliane wird zum Altare geführt, und Du bist nicht bei ihr? Wie magst Du es nur verantworten? Du weißt wohl, wie ich Dein Tun und Deinen Wandel verehre; dennoch glaube ich nicht, daß Du die Art und Weise von uns Weltkindern so sichtbar verachten darfst: Es ist wohl ebenso verdienstlich von mir, daß ich mich aus dem Getümmel losreiße, um an Dich zu schreiben, als daß Du das Haus der Fröhlichkeit nicht besuchen willst, um den armen kleinen Geschöpfen Deiner Pflege unter Deinen Augen Hülfe und Nahrung reichen zu lassen. Denkst du nicht daran, wie notwendig Du auch hier bist? Wer unter uns soll wohl Julianen das Beispiel der Sammlung und Frömmigkeit geben, das sie von ihrer Tante erhalten würde! Es werden viele gedankenlos um sie stehen, und sie wird umsonst die Augen suchen, an deren frommer Andacht sie sonst gewohnt war, die ihrigen zum Himmel zu erheben! Wird nun nicht die wichtigste Angelegenheit ihres Lebens fast leichtsinnig vollendet werden?

Die böse Nachricht, daß wir Dich nicht erwarten dürfen, betrübte uns alle, und wie sehr Juliane anfangs darüber trauerte, kannst Du wohl denken; bald wußte sie sich aber zu beruhigen, da wir ihr von Deiner eigentlichen Besorgnis nichts mitteilten, und sie so gewohnt ist, alles gut und recht zu finden, was von der Tante kömmt. Jetzt atmet ihre Brust wieder in ihrer natürlichen leichten Unbefangenheit. Du nennst es gewiß nicht blinde mütterliche Eitelkeit, wenn ich mich im Herzen freue, die Holdseligkeit des lieben Mädchens zu sehen, diese stolze zarte Schönheit, die aus ihrem Innern strahlend sie umgibt. Ja Du Teure! Du würdest, wenn Du sie so vor Dir sähest, leuchtend und glühend im vollen Ausdruck ihres Glücks, Du würdest nicht länger unzufrieden sein, daß ihr Vater eilt, sie mit dem Geliebten zu vereinigen, daß sie trotz aller Deiner Gründe so früh vermählt wird. – Juliane ist beinah noch ein Kind, sagst Du, vieles liegt unentwickelt und tief verborgen in ihr, das nicht geahndet wird, am wenigsten von ihr selbst, sie fängt kaum an, sich selbst zu erkennen, sie wird aus[120] einem Kinde zur Gattin, und wird gewiß einst auf die übersprungene Stufe ihres Lebens mit Wehmut zurücksehen. – Das ist sehr wahr, Liebe; nicht weniger aber ist es wahr, daß Juliane vielleicht ihre Bestimmung ganz verfehlen möchte, wenn sie den ersten vernehmlich ausgesprochenen Wunsch ihres Herzens unterdrücken müßte. Du weißt, wie sehr Juliane mir in vielen Stücken ähnlich ist, da mein Gemüt von jeher in schwesterlicher Liebe vor Dir aufgeschlossen lag, so wie auch das ihrige von der zartesten Kindheit an. Du wirst es nicht vergessen haben, daß auch die Mutter, wie jetzt die Tochter, sich nur spät und langsam erkannte; wie nur ihre frühe glückliche Bestimmung verhinderte, daß nicht das lang verborgne Feuer heftiger Leidenschaftlichkeit verderblich um sich gegriffen. Was anders bewahrte sie vor jeder Gefahr, die ihr aus ihrem Innern drohte, als die Zufriedenheit mit ihrem Lose, die sie an den Pforten der Selbsterkenntnis empfing; als die ruhige Liebe in ihrem Herzen; als der Gatte, die Schwester, die Kinder! Ihr kostbaren Reichtümer! Meinem Glück verdanke ich meine Tugend!

Auch das ist wahr, daß Eduard uns von Jugend auf mehr Beweise eines liebenden Gemüts und der feinen Ausbildung, als eines selbständigen Sinns gegeben; aber eben dies sein liebendes Gemüt, dächte ich, müßte uns Bürge sein. Wie hängt er doch mit inniger Liebe an der Geliebten seiner Jugend! Wie ist er ihr durch alle Wandelbarkeit seines Lebens so wahrhaft treugeblieben! Seine Liebe war gleichsam der dauernde Grund, auf welchem die bunten Farben des Lebens wie lose Fäden hin und her gewebt waren. Es fehlt ihm vielleicht nichts weiter, als die bestimmende Vereinigung mit der Geliebten, um ihn ganz festzuhalten. Ich habe Sinn für häusliche Freuden an ihm wahrgenommen; ich kann an niemand verzweifeln, dem dieser Sinn nicht fehlt. Laß uns nur nicht weiter mit unserer Vorsorge dringen wollen! Unsre Hoffnung ist, sie dauernd glücklich zu sehen. Doch wer enthüllt uns die Zukunft? Dürfen wir uns erlauben. Böses zu verüben, um ein künftiges Gut zu sichern? Das wäre ja sogar gegen Deinen eignen Grundsatz.

Du weißt doch, daß Eduard seinen Plan, gleich nach der Vermählung mit Julianen auf Reisen zu gehen, aufgegeben hat, zu unsrer großen Freude. Die Kleine konnte sich nicht entschließen, uns zu verlassen, er hat sich auf ihr unablässiges Bitten entschlossen, noch einige Jahre bei uns zu leben, eh' er seine weiteren Pläne ausführt. Sie bleibt also immer noch in unserer Mitte, er raubt sie unserm Kreise noch nicht, er selbst ist ein teures Mitglied desselben geworden. Wir[121] wollen nun alles aufbieten, um ihn seinen neuen Entschluß nicht bereuen zu lassen. Fest soll sich an Fest ketten, und eine Lust die andere verdrängen. Wärst Du nur hier, die bange Sorge würde bald von Dir weichen! Dein Bruder ist in der besten Laune von der Welt;

Du weißt, wie liebenswürdig er in seiner Heiterkeit sein kann; und überhaupt sind wir so fröhlich und ausgelassen wie die Kinder, haben alle Sorgen weit abgeworfen.

Nun ernstlich an meine Toilette, Juliane ist sicher schon fertig; der Lärm wird immer lauter, ich darf doch nicht zuletzt erscheinen. Bald siehst Du uns bei Dir, ich habe Dir viel zu erzählen von den lieblichen Festen, die hier begangen werden, vorzüglich von einem hier im Park, meinem Fenster gegenüber. Dies wird Dir gefallen, es ist ganz in Deinem Sinn; das kömmt daher, weil ich nichts anordne, ohne in meinem Sinn den Deinigen zu Rate zu ziehen.

Eleonore.

Quelle:
Dorothea Schlegel: Florentin. Berlin 1987, S. 115-122.
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