An Heliodora

[151] Aus tiefem Herzen wollte Liebe dringen,

Im Grün der Jugend flammte hoch der Mut

Durch lichte Kraft die Sterne zu erringen.

Doch brannte bald der Geist in eigner Glut,

Verachtend wandt' er sich von allen Dingen,

Zum Raub gegeben seiner Sehnsucht Wut.

Da klang der dunkeln Tugend Lichtgebot:

Befrei' dich Freier selbst, durch heil'gen Tod.


Kraft dieses Strahls ward ich mir neu gegeben.

Des Todes Liebe heilt des Lebens Wunde,

Aus der Vernichtung blitzt das höchste Leben.

Die große Bildung wuchs auf sicherm Grunde;

Was herrlich war und sein wird, faßt' im Streben

Kunstlieb' und Heldenstolz im festen Bunde.

Der Wissenschaften Geist in Einem Bilde

Erschien dem Zauberrufe schön und milde.


Da wird ein Feuer aus den alten Funken.

Die Brüder, die mich schonend oft ertragen,

Wenn in der Freundschaft Urbild ich versunken,

So grenzenlos begehrt' ohn' es zu sagen,

Sie sind mit mir von gleicher Liebe trunken;

Wir alle hoffen, es soll göttlich tagen.

Zum Scherz belebt den Kreis der Frauen Güte,

Auch mich erfreut des Witzes zarte Blüte.


Du warst mir Morgensonne, Heliodora!

Aus deinem Lichte sog ich neue Glut;

Du bist mir Lebensquelle, Heliodora!

Durch deren Kraft der alte Schmerz nun ruht;

Blüh' auf, du Wunderblume, Heliodora!

Zur ew'gen Poesie hauch' ew'gen Mut.

Ich will nicht länger mit dem Schicksal rechten,

Zu schönem Kranz nur schöne Zweige flechten.


Doch wollen mit Vernunft wir vorwärts schreiten;

Verstand erkenne, was die Lust begonnen.

Durch Klugheit seh' ich selbst die besten gleiten,

Verworrne List ist gar zu bald zerronnen;

Sie irren von sich selbst in ferne Weiten[152]

Und haben nichts als ihre Müh' gewonnen.

Zeigt Weisheit sich in törichtem Gewande,

So kommt der Dumme leichtlich von Verstande.


Die schwangre Zukunft rauscht mit mächt'gem Flügel,

Ich öffne meiner Lebensbahn die Schranken,

Schau in des klaren Geistes tiefsten Spiegel;

Da kämpf' ich, Werke bildend sonder Wanken,

Entreiße jeder Wissenschaft das Siegel,

Verkünd'ge Freunden heilige Gedanken,

Und stifte allen Künsten einen Tempel,

Ich selbst von ihrem Bund ein neu Exempel.


Will das Geschick mich aber früh zerschlagen,

So sinken wir in Einer Todesflut;

Der bunten Erde kann ich leicht entsagen,

Denn für die Kunst nur lodert meine Glut.

Laß uns nach ihr auch auf der Sonne fragen!

Ein Schwert vereine hier noch unser Blut.

Dem Geist genügt zu hinterlaßnem Ruhme

Der Liebe Kranz im ird'schen Heiligtume.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 151-153.
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