Klaggesang am Grabe eines Jünglings

[216] Erste Stimme


Jasmin und Lilien, Veilchen, junge Rosen,

Der liebsten Blumen Fülle will ich bringen,

Durch sie dem schönen Schatten liebzukosen;


Und kann noch Freude, Jüngling, zu dir dringen,

Daß neu am kühlen Ort dein Herz erwarme,

So muß es, Freudenreiche, mir gelingen.


Dein blasser Geist schon frei vom alten Harme,

Er wird zur Erde wiederkehren wollen,

Wenn ich ihm freundlich öffne diese Arme.


Zweite Stimme


Ich weiß nicht, was des Frühlings Kinder sollen;

Seit mir verwelkte aller Blüten Blume,

Kann ich nur Schmerzen dieser Urne zollen.


Fließt, Tränen! Seufzer, atmet ihm zum Ruhme!

Was Worte nimmer sagten, fühl' versunken,

Du stille Klag' im innern Heiligtume.


Es glimmen in der Asche ew'ge Funken;

Neu werd' in deinem neuen Glanz ich leuchten.

Wink' nur, und alle Bande sind entsunken!


Erste Stimme


Ach, wenn dich süße Bitten doch erweichten,

So würde heller uns der Frühling glänzen,

Und Gram nicht mehr der Freundin Wange feuchten.


Zweite Stimme


Ach wolltest du mich nur zum Tode kränzen,

So würd' ich keine Freude ferner trüben,

Das Mädchen schweben froh in leichten Tänzen.


[217] Erste Stimme


Geheimnisvoll und lockend, wie von drüben,

Erklang des Jünglings Stimm' in deine Seele,

Zur ewigen Musik sie vorzuüben.


Zweite Stimme


Verschwunden ist das Lied der süßen Kehle.

Die Laute muß es einsam tief beklagen,

Wie schnell ihn raubten des Geschicks Befehle.


Erste Stimme


Auch mir erschien geliebt in heitern Tagen

Des wunderbaren Sängers zarte Blüte;

Nun daß sie welkte, muß ich ewig klagen.


Zweite Stimme


Nein, angerührt von deiner frohen Güte,

Heilt jeder Schmerz, es keimet schönes Leben;

Drum lebt der Schatten noch dir im Gemüte.


Erste Stimme


Bald welkt zum Schatten jedes freud'ge Streben.

So fielen, Arme! uns die dunkeln Lose;

Das Schön' ist jedem Hauche hingegeben.


Die Freude stirbt, indem ich mit ihr kose;

Der Schmerzen Stachel wollt' ich gern nicht achten,

Sänk' nur nicht allzu schnell der Schönheit Rose.


Umsonst, daß wir nach ew'gem Frühling trachten!

Wir selbst entblättern, es verweht der Glauben,

Gibt denen dennoch Recht, die ihn verlachten!


Scheu ist die Liebe, will sich nicht erlauben,

Was reizend ihr erscheint, nur um zu fliehen,

Dem Augenblicke kühn und schnell zu rauben.


[218] Zweite Stimme


Die Welt gibt nur zurück, was ihr geliehen.

Aus eigner Tiefe muß sich Nahrung saugen

Die Seele, kann sich selber nicht entfliehen;


Und wandte einmal sie auf sich die Augen,

So will sie ewig sich in sich verzehren,

Und nie zu keiner flücht'gen Freude taugen.


Gesänge klagend wird den Schmerz sie mehren,

Bis alle Kräft' in ew'gen Schlummer sinken,

Dann muß sie auch die Freud' am Schmerz entbehren.


Verstummend darf sie keinem Freund mehr winken,

Und muß, von irdischer Musik geschieden,

Im Dunkel unsichtbare Tränen trinken.


Erste Stimme


Fahr' wohl, und lächle diesen Blumen Frieden!

Noch blühen sie, bald werden sie dir gleichen.

Warum hast du der Freude Ruf vermieden?


Zweite Stimme


Vergebens hofft' ich ein erwidernd Zeichen.

Bald wird Geräusch der Freude um mich summen,

Mir aber tief ins Herz die Klage schleichen,

Und weil die deine stumm, auch sie verstummen.

Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 216-219.
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