Am 1sten November 1813

[25] Rosse wiehern, Waffen blinken,

Deutschlands Rächer sind genaht,

Und die bunten Fahnen winken

Zu des Ruhmes goldnem Pfad.

Soll ich stets dem Kummer dienen,

Sehnsuchtsvoll und hoffnungslos?

Sieh, das Ziel ist schön und groß;

Nimmer blüht die That des Kühnen

In der Ruhe trägem Schooß.


Laß mich ziehn, wohin das Mahnen

Meines Busens mir gebeut;

Friedenspalmen sind die Fahnen,

Und zum Schlummer ruft der Streit.

Meine Freunde sind gefallen

Durch der Feinde blut'ges Schwert,

Und mein Herz blieb unerhört,

Und das Leben hat von allen

Wünschen keinen mir gewährt.
[26]

Rauher Herbst, du wehst so schaurig

Um der Blüthen ödes Grab,

Deine Wolken hängen traurig

Auf die dunkle Welt herab!

Send', o Krieg, aus ehrnem Schlunde

Deine Flammen durchs Gefild,

Wirble, Trommel, hell und wild,

Daß das kranke Herz gesunde

Durch des Lebens rasches Bild.


Doch nicht sey's ein dumpfes Zürnen,

Das zur fremden Bahn mich drängt;

Friede sey mit den Gestirnen,

Die mein feindlich Loos gelenkt.

Freyer Wille ziemt dem Streiter,

Den das Vaterland gewann,

Und es schließt der deutsche Mann

Ruhig, unbetäubt und heiter

Sich dem schönen Bündniß an.


Laß uns scheiden! Sprich, was frommen

Herz und Leben, stets entzweyt?

Ach, der Herbst ist längst gekommen,

Und noch währt des Lenzes Leid.

Laß uns still und freundlich scheiden,

Bis uns schönre Sonnen glühn;

Alles hab' ich dir verziehn,

Denn du hast für ird'sche Leiden

Ew'ge Schätze mir verliehn.
[27]

Friedlich will ich mich dir nahen,

Deinen Segen zu erflehn,

Will dein letztes Wort empfahen,

Deinen Blick noch einmal sehn.

O nur einen Kuß, nur einen,

Für des Herzens wilden Streit,

Für der Zukunft langes Leid,

Und nicht länger will ich weinen

Um geträumte Seligkeit!


Laß mich ziehn! Wie darfst du klagen,

Wenn ich selbst mit starkem Sinn

Muthig bin, dir zu entsagen,

Werth dich zu besitzen bin?

Jedes Band will ich vernichten,

Das mich fesselnd noch umgiebt.

Früher, als ich dich geliebt,

Hat das Vaterland die Pflichten

Treuer Lieb' an mir geübt.


Lebe wohl! Ich scheide nimmer;

Jedes mildgewährte Pfand,

Jeder heil'gen Stunde Schimmer

Folgt mir nach in's ferne Land.

Lebe wohl, du Zarte, Reine!

Ewig lebt dein holdes Bild

Mir im Busen, still und mild;

Aber du, vergiß das meine,

Wenn mit Schmerz es dich erfüllt.
[28]

O sey glücklich und entsage,

Großes Herz, dem stillen Gram!

Was das Leben gab, ertrage

Und verschmerze, was es nahm.

Ohne Sorge laß mich scheiden;

Freudig sey das Herz und licht,

Denn mich ruft die heil'ge Pflicht!

Willig trag' ich meine Leiden:

Doch die deinen trüg' ich nicht.


Fest will ich im Streite stehen,

Kühn des Feindes droh'nder Macht

Und dem Tod entgegensehen,

Denn für dich auch gilt die Schlacht.

Doch wenn laut das Kampfgefilde

Von des Mordes Jauchzen tönt,

Und der Schmerz verzweifelnd stöhnt,

O dann sey durch dich, du Milde,

Herz und Leben ausgesöhnt.


Sieh, der Leu hat sich erhoben,

Und der feige Tiger zagt!

Keiner soll den Schwachen loben,

Der nicht Blut und Leben wagt.

Liebe flicht uns Siegeskränze,

Wenn das große Werk vollbracht,

Und wem keine Liebe lacht,

Den erfreun des Ruhmes Lenze

In des Lebens langer Nacht.
[29]

Wenn ich falle – o dann trübe

Keine Thräne dein Gesicht!

Reich belohnt ist meine Liebe,

Und mein Schatten zürnt dir nicht.

Sie, die Heilige, die Hehre,

Die den Himmel längst errang,

Beut dem Freunde gern den Dank,

Der für Vaterland und Ehre

Und für Recht und Liebe sank.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 3, Leipzig 1819–1820, S. 25-30.
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