Drittes Buch

Der Morgen kam, die leichtbeschwingten Stunden

Eröffneten Aurora's gold'nes Thor,

Und rings entschwand der Dämm'rung düstrer Flor.

Psycharion, des Schlummers Arm entwunden,

Sah hocherröthend rings umher,

Den Gatten zu erspähn; doch ach, der Platz war leer,

Wo er geruht. So ist er doch entschwunden?

So seufzte sie betrübt, und ihres Gatten Wort

Fiel drückend ihr auf's Herz. Doch tausend frohe Spiele

Verscheuchten bald die düsteren Gefühle,

Und jagten schnell den Gram aus ihrem Busen fort.


Von Harfen und Flöten begleitet,

Reizt bald ein lieblicher Chor

Ihr fröhlich lauschendes Ohr.

Im bunten Nachen gleitet

Sie bald auf silberner Fluth,

Wo Myrten und Rosenhecken

Sie duftend vor der Gluth

Der brennenden Sonne verstecken,[251]

Wo sanst, balsamisch und kühl

Sich scherzende Zephyretten

Auf ihrem Busen betten,

Und rings im frohen Gewühl

Sich Nymphen und Najaden

Im klaren Gewässer baden.

Bald tanzt ein fröhlicher Chor

Von Faunen und muntern Mänaden

Aus nahen Gesträuchen hervor.

Sie wirbeln und drehen und winden

Sich scherzend im schwebenden Reihn,

Bis sie allmählig im Hain

Und in die Grotten entschwinden.


So floh Psycharion der Tag.

Als es nun kühler ward, und ringt die Schatten

Der Haine sich verlängert hatten,

Ging sie, im Traum versenkt, dem Lauf der Quelle nach.

Erst blühten Wiesen rings, doch bald verlor der Bach

In düstern Wäldern sich, die nie der Sonne Schimmer

Mit heitrer Luft erhellt. Die Schöne tritt hinein.

Bald hemmt umranketes Gestein

Den wüsten Pfad, bald irrt durch öde Trümmer

Der müde Fuß. Und sieh! es gähnet eine Kluft

Sie plötzlich an, umgraut von dunklen Thränenweiden.

Sie kehrt sich ab, den wilden Ort zu meiden;

Doch ein geheimer Zauber ruft

Sie unbezwinglich hin. Vergebens wehen

Sanft warnend Stimmen aus der Luft

Ihr zu: laß ab, hinein zu gehen!

Mit eigner Hand störst du dein süßes Glück!

Doch ach, umsonst! Ein feindliches Geschick

Zwingt die Unglückliche; sie kann nicht widerstehen.
[252]

Sie tritt hinein. Von düsterm Zwielicht war

Die Grott' erfüllt. Es schwebten wunderbar

Ringsum unkenntliche Gestalten,

Die bald in Nebelhauch verwallten,

Bald wieder aus dem trüben Duft

Zu neu gebildeten Phantomen sich entfalten.

Ein blasses Licht durchschimmerte die Luft,

Das rastlos hier und dorthin irrte,

Und wechselnd jeden Gegenstand

In ein unkenntliches Gemisch dem Blick verwirrte.

Im dunkeln Hintergrunde stand,

Umkettet rings von bunten Schlangen,

Ein weißgeformtes Marmorbild

Mit ungewissem Blick und eingefallnen Wangen.

Die Haare starrten fürchterlich

Mit Nattern untermischt. In seinen Händen strahlte

Ein glänzender Kristall, worin dem Blicke sich

In steter Wechselung ein wildes Chaos malte,

Wo Wahrheit dem Betrug, Betrug der Wahrheit glich

Bald zeigte sich in holder Schöne

Ein anmuthstrahlendes Gesicht

Mit einer Glorie von sanftem Rosenlicht,

Doch bald entfloh die milde Scene;

Der holde Zauberglanz entschwand,

Und schrecklich, hundertköpfig wand

Ein Ungeheuer sich durch düstre, leere Räume.

So kamen und entflohn, mit sich im ew'gen Streit,

Die eitlen Phantasien, wie in der Dunkelheit

Der Nacht das Volk der luft'gen Träume

Die Sterblichen durch steten Wechsel neckt,

Bald durch ein holdes Bild der Sehnsucht Gluth entzündet,

Bald mit Phantomen sie und Feuerdrachen schreckt,

Bis Beydes schnell in eitle Luft entschwindet.
[253]

Die düstre Zweifelsucht, von Furien gezeugt,

Sie war's, die diese Kluft zum Wohnsitz sich erkohren;

Sie, deren giftgem Hauch der Scherz und Frohsinn weicht,

Sie, welche Freuden, die das Glück uns kaum geboren,

Mit ihren grausen Schwingen scheucht.

Sie fürchteten die fernsten Nationen

Und huldigten der Göttin Macht;

Aus niedern Hütten ward und von erhab'nen Thronen

Manch traurig Opfer ihr gebracht.

Nicht Freuden schuf sie, nichts als Schmerzen,

Denn jedem, der ihr nahte, ließ

Sie in den Spiegel schaun, und mit verwelktem Herzen

Kehrt' er zurück. Selbst dieses Paradies,

Wo Amors mächt'ger Wink regierte,

Blieb nicht von ihr verschont, denn von dem Unglücksort,

Wohin einmal des Schicksals Macht sie führte,

Trieb sie kein Gott, selbst Zeus nicht fort.

Zwar hatte Cypris Sohn mit tausend Amorinen

Die Kluft umringt. Der Gott, dem süße Träume dienen,

Und Himeros und Pothos wachten dort.

Doch ach! wie konnten sie der Starken widerstehen,

Die den Gebieter selbst der Götterwelt besiegt?

Auch Psychen zwang ihr Wink, in den Krystall zu sehen,

Und sanft in Träume eingewiegt,

Erblickte sie sich ohne Schleyer

Auf ihrem Bett; doch ach! an ihrer Seite liegt

Ein fürchterliches Ungeheuer,

So grausend, als es je der Menschen Furcht erfand.

Des Löwen glich sein Haupt; mit Zähnen war der Rachen

Dreyfach verzäunt, und hinten wand

In schnellen Kreisen sich der Schweif des größten Drachen.

Schon naht sein Schlund der holden Schläferin;[254]

Die Zunge lechzt, ihr Blut zu trinken;

Laut schreyet Psyche auf. Die starren Kniee sinken,

Und halb entseelt stürzt sie zu Boden hin.


Wie aufgeschreckt aus düstern Phantasien,

Fuhr endlich Psyche auf. Das gräßliche Gesicht

Schwebt noch vor ihrem Blick. Wohin soll ich entfliehen?

Ihr Götter, o verlaßt die arme Psyche nicht!

Ruft sie verzweiflungsvoll. Doch nach und nach verfliegen

Des Traumes Bilder ihr, und vor der Grotte fand

Sie sich auf weichem Rasen liegen.

O welch ein Kummer übermannt

Die Arme jetzt! Von welchen gold'nen Höhen

War sie herabgestürzt! Ein wilder Streit entstand

In ihrer wunden Brust. Bald wehen

Mitleid'ge Genien ihr Hoffnungsbilder zu;

Doch ach, wie leerer Schaum vergehen

Sie bald. Unglückliche! so ruft sie, mußtest du

Deßhalb der Lieben Kreis, die jugendlichen Freuden,

Der Kindheit argwohnslose Ruh,

Der Aeltern süße Küsse meiden,

Um ohne Grab, von keinem Freund,

Von keinen blühenden Gespielinnen beweint,

So früh des Orkus Pfad zu gehen!

Doch warum folgtest du dem heuchlerischen Flehen,

Dem falschen Schein, der ach! so oft betrügt?

Unglückliche, du liebtest die Gefühle,

Womit ein loser Gott dein schwaches Herz besiegt.

Du freutest dich der süßen Liebesspiele,

Des holden Traums, der ach! so schnell verfliegt,

Und findest jetzt, beym traurigen Erwachen,

Den Tod in eines Unholds Rachen.
[255]

Doch nein, sie sind nicht wahr, die eitlen Luftgebilde;

Sie sind Betrug, von Furien erdacht.

Er, der in jener süßen Nacht

So zärtlich dich umfing, er, der so milde

So holde Worte sprach, er sollt' ein Unhold seyn?

So schlau kann sich die Tücke nicht verstecken;

Solch eine Gluth kein Ungeheuer wecken.

Frag' ich mein Herz, so spricht es zärtlich, Nein!


So dachte Psyche. Doch nicht lange

Blieb dieser süße Wahn. Gleich einer bösen Schlange,

Die, wenn wir schaudernd fliehn, sich schlau in's Gras verbirgt,

Und, wenn wir uns dem Untergange

Entflohn schon glauben, rasch hervorspringt und uns würgt,

So nahte, wenn sich kaum der wonnigliche Glaube

Von des Geliebten Treu' in ihren Busen schlich,

Des Traums Erinnerung der Seele fürchterlich,

Und gab das arme Herz dem düstern Gram zum Raube.

Nein! ruft sie rasch, und Muth durchzucket ihren Geist,

Ich kann ihn länger nicht ertragen,

Den Kampf von Lieb' und Haß, der meine Brust zerreißt.

Mit kühnen Händen will ich's wagen,

Die wilden Zweifel zu verjagen,

Und sterben oder glücklich seyn.


Entschlossen eilte sie, als schon des Mondes Schein

Am Horizont sich zeigte, durch den Hain

Zum Hochzeitlager und versteckte

Beym Bett ein Lämpchen, matt genährt;

Und kühn, mit einem Dolch bewehrt,

Bestieg sie jetzt die sanften Kissen.
[256]

Und der Geliebte kam. Mit zephyrleichten Füßen

Schlich er durch's Dämmerlicht der Nacht.

Er fragt mit leisem Ton, ob seine Psyche wacht,

Und eh sie reden kann, ist er schon liebetrunken

An ihren Busen hingesunken.


O süße Macht der Liebenswürdigkeit,

Der Huldgöttinnen schönste Gabe,

Durch welche Ninon noch, so nah dem späten Grabe,

Beglückter Liebe sich gefreut,

Mit welcher Macht gebietest du den Herzen!

Auch Psyche, bey dem süßen Scherzen

Der wonniglichen Zärtlichkeit,

Vergaß der Zweifel bange Schmerzen,

Und fast schon hatte sie's bereut,

Daß sie dem Argwohn Raum gegeben.

Doch als der Rausch der Wonne schwand,

Und ihr des Athems leises Beben

Des Gatten Schlaf verhieß, da fand

Des Zweifels düstrer Geist, den sie noch kaum verbannt,

In ihrem Busen neues Leben.

Halb zagend, halb entschlossen, wand

Sie sich aus des Geliebten Armen.

Ihr Schutzgeist ruft umsonst: Halt ein! o hab' Erbarmen

Mit deinem eignen Glück! Vergebens; ihre Hand

Hält schon die Lamp' empor, und von des Lichtes Strahlen

Wird rings die dunkle Grott' erfüllt.


Du Meister in der Kunst zu malen,

Du, dessen Blicken sich die Grazien enthüllt,

O Wieland, male jetzt des Liebesgottes Bild!

Ein Tröpfchen nur aus jener Feenquelle

Der zauberischen Phantasie,[257]

Die mild dir die Natur zum Eigenthum verlieh,

Nur Einen Ton der süßen Harmonie,

Mit der dein Vers, gleich einer sanften Welle,

Die leise murmelnd durch das blüh'nde Ufer schlüpft,

Im grazienhaften Tanz dem Ohr vorüberhüpft,

Nur einen kleinen Theil von diesen Göttergaben

Verleihe mir zu Amors Bild.


Mein Blick wird hell; die Musen haben

Des Herzens heißen Wunsch erfüllt;

Der Vorhang reißt, der mir die Götterwelt verhüllt.

Ich sah ihn ruhn, nicht jenen losen Knaben,

Der seinen Muth so gern an fremden Leiden stillt,

Nein, einen Jüngling, hold und mild,

Antinous an Kraft und Ganymeden

An blüh'nden Reizen gleich, so daß in mancher Nacht

Die keusche Luna selbst, die Königin der Spröden,

Statt zu Endymion, zu ihm sich hingedacht,

Und oft die Küsse nun bereute,

Die sie dem ew'gen Schläfer weihte.

Wie reizend lag er da! Ein süßes Lächeln floß

Um seinen kleinen Mund. Der Wangen Reiz erhöhte

Aurorens milde Purpurröthe.

Ein weiches Goldgekräusel goß

In sanften Wellen sich auf seine Brust hernieder,

Und aus den zarten Schultern sproß

Ein sammt'nes farbiges Gefieder.

Rings schmiegte sich um seine holden Glieder

Ein unnennbarer Reiz, aus sanfter Schüchternheit

Und kühner Lust gewebt, woraus die Charitinnen

Der Liebesgöttin Gürtel spinnen.

Wie süß er schläft, wie sanft in sich hineingeschmiegt,[258]

Als wär' er zauberisch vom Lied der Nachtigallen

In leisen Schlummer eingewiegt!

Wie klopft sein Herz! wie seine Pulse wallen,

Beschwingt vom schönsten Traum, der seine Stirn umfliegt!

Sieh her, Psycharion, ist das das Ungeheuer,

Das deine Phantasie so schrecklich dir gemalt?

Du schweigst erstaunt? In deinen Blicken strahlt

Der heißen Liebe zitternd Feuer.

Dein Aug' ist reuevoll zur Erde hingewandt.

Du bebst; es zittert in der Hand

Die Lampe dir mit Rosenöl getränket.

O stör' ihn nicht, den süßen Traum der Lust,

Der seinen Geist umschwebt! Umsonst; ein Tropfen senket

Sich brennend auf die zarte Brust,

Und er erwacht. –


Wie einem Menschen ist, den mit den schönsten Träumen

Ein Gott beschenkt, wo hold der Liebe Blick ihm lacht,

Wo rasch die Freuden fliehn und rascher wieder keimen,

Und nie das Uebermaaß die Lust ihn hassen macht,

Wie diesem ist, wenn er erwacht,

Und jetzt nun in die dürre Wüste

Der Wirklichkeit versetzt sich sieht,

So ward Psycharion. Der Genius entflieht,

Der sonst ihr äußres Glück durch innre Ruh versüßte,

Und wenn sie auch die That mit ihrem Leben büßte,

Nichts hält den Fliehenden zurück.

Mit trübem, kummerschweren Blick,

Nicht voll von Zorn, nein, voll von Zähren,

Sieht Cypris Sohn sie an. So muß ich dir entfliehn?

Ach, sollte denn das Glück nur wenig Stunden währen,

Das mir in deinem Arm Aeonen würdig schien?[259]

O meine süße Braut! Betrogene Geliebte!

So lebe wohl! Das Schicksal ruft – ich muß –

So lebe wohl! Nimm diesen letzten Kuß,

Und hasse nie den, der dich nie betrübte.


So ruft er weinend aus, naht sich mit leisem Flug,

Küßt sie auf Stirn und Mund, und sieh, mit leisem Wehen

Naht' eine Wolke sich und trug

Den Gott empor zu lichten, gold'nen Höhen.


Als kaum der Liebesgott entschwand,

Verbargen jammervoll die Nymphen und Najaden

In düstre Klüfte sich. Hoch braust an den Gestaden

Der Bäche Fluth empor und überschwemmt das Land.

Schnell flieht der Vögel Chor die duftigen Gesträuche.

Es welkt der Wiesen frisches Grün,

Und Hain und Flur und Thal verblühn,

Und mit der Erde Schmuck entfliehn

Die Brüder Amors schnell in Cytheräens Reiche.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 3, Leipzig 1819–1820, S. 247-260.
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