Gekränkte Liebe

[201] Still muß ich weinen: aber vergebens hofft

Von seinen Thränen freundlichen Trost das Herz;

Denn nicht der leise Kuß der Wehmuth

Haucht in die Brust mir die Rosendämmrung.


Nein, schwarz und nächtlich windet der bittre Schmerz

Kalt um des Busens kämpfende Gluth sich her,

Und unbewegt umgraut des Trübsinns

Brütende Wolke den zartern Schimmer,


Worin durch Schmerz die Seele sich glücklicher,

Durch bange Thränen schöner der Geist sich fühlt;

Ach, weinen muß ich, räth des Unmuths

Stimme mir gleich, daß ich zürnend lächle.


Sprich, was verbrach ich, daß du den scharfen Pfeil

Des kalten Spottes tief in die Brust mir senkst?

Ungleichen Kampf beginnst du, drohst mit

Waffen, die nimmer dich selbst verwunden!
[202]

Nein, muth'ge Flucht nur bleibt dem gekränkten Geist;

Mit kräft'gem Mannssinn tilgt er die starke Gluth

Und lacht des Schmerzes, wenn gewaltsam

Ringend die zürnende Flamm' emporstrebt.


Nie kann Verachtung dulden der freie Sinn,

Nie kann Verachtung dulden das Herz, das dich

Mit seiner Flügel kühnstem Aufschwung,

Dich, die dem Göttlichen naht, geliebt hat.


Dürft' ich zu dir aufschauen, zu dir, die kühn

Den Blick emporhebt, jeglicher Fessel zürnt

Und groß im heil'gen Kranz der Freiheit

Liebe dem gleichen Gemüth nur weihn kann?


Ja, ich bin stolz, nicht läugn' ich den eignen Werth,

Stolz auf das Recht, das stark in der Brust mir thront,

Und stolzer auf den Strahl der Schönheit,

Welchen ein Gott in das Herz mir senkte.


Der zarten Kette, welche den Geist verschönt,

Wenn sie ihn fesselt, schmieg' ich mich willig an:

Doch streckt der Willkür Spott vergebens

Ueber das heil'ge Gefühl den Scepter.


Sprich, ist's ein Frevel, daß ich unendlich dich

Und alles Schöne innig in dir geliebt,

Daß ich in ird'scher Nacht des Himmels

Freundlichem Strahle mich fromm vertraute?
[203]

Dann schreck' erzürnt der Donner des Ewigen

Die weiche Seele, welche mit Kindessinn

Im Blüthenduft und in des Frühlings

Zaubergewand, in dem goldnen Strahle,


Der hehr emporschwebt, und in des Mondes Licht,

Die leise Spur der ewigen Lieb' erkennt,

Und in des Waldes heil'gem Säuseln

Gläubig die nahende Gottheit ahnet.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 4, Leipzig 1819–1820, S. 201-204.
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