Kapitel XVIII.

[186] Fort! unsre Reise geht durch Thal und Schlucht,

Wo um die zage Mutter her das Rehkalb

In muntern Sätzen hüpft; die breite Eiche

Mit dunklem Ast den sonngen Rasen täfelt;

Auf und hinweg! – denn lieblich sind die Pfade

Zu schreiten, wenn die Sonn' am Himmel thront,

Doch nicht sicher und so schön, wenn Luna

Den düstren Wald mit mattem Schein beleuchtet.


Der Ettrick-Wald.


Als Cedric der Sachse seinen Sohn bewußtlos in den Schranken zu Ashby zu Boden sinken sah, war sein Erstes, daß er ihn der Obhut und Fürsorge seines Dienstpersonals anbefahl, dabei aber erstickte ihm das Wort in der Brust. Angesichts einer solchen Versammlung war es ihm durchaus unmöglich, den von ihm verstoßenen und enterbten Sohn anzuerkennen. Er gebot jedoch Oswald, sorgfältig auf ihn zu achten und Ivanhoe mit ein paar Knechten nach Ashby zu schaffen, sobald sich die Menge verlaufen hätte.

Irgend jemand war aber dem Oswald bei diesem Liebeswerk schon zuvorgekommen und als niemand mehr auf dem Platze war, war auch der Ritter nirgends mehr zu sehn.

Vergebens schaute sich Cedrics Mundschenk nach seinem jungen Herrn um; wohl bemerkte er die blutige Stelle, wo er niedergesunken war, doch ihn selbst sah er nicht mehr; es schien, als ob er durch Zauberei entrückt worden sei. Es wäre für Oswald, als einen Sachsen, natürlich genug gewesen, einer solchen Hypothese zu folgen, wenn ihm nicht plötzlich ein Mann aufgefallen[187] wäre, an dem er die Züge Gurths zu erkennen glaubte, wenn dieser auch als Knappe gekleidet war.

Aengstlich besorgt um seines Herren Schicksal und geradzu in Verzweiflung wegen seines Verschwindens, suchte auch dieser umgemodelte Schweinehirt nach Ivanhoe, ohne daran zu denken, daß er seiner eignen Sicherheit wegen sich um keinen Preis verrathen dürfe. Oswald dagegen hielt es für seine Schuldigkeit, sich Gurths, als eines flüchtigen Leibeignen, zu versichern, über dessen Loos sein Herr entscheiden solle.

Als der Mundschenk seine Nachforschungen über Ivanhoes Schicksal erneuerte, konnte er von den Umstehenden nur erfahren, daß der Ritter von einigen wohlgekleideten Dienern aufgehoben und in eine Sänfte gelegt worden sei, die einer Dame unter den Zuschauern zugehört habe, worauf man ihn aus dem dichten Gewühl geschafft hätte. Oswald beschloß, dies seinem Herrn zu melden und um weitere Instruktionen zu bitten, indem er zugleich den davongelaufenen Gurth mit sich zu gehen zwang.

Der Sachse war in heftiger Angst und tödtlicher Besorgniß um das Schicksal seines Sohnes gewesen; denn trotz seines stoischen Patriotismus, der ihn verstieß, hatte die Natur dennoch ihr Recht behauptet. Aber nicht sobald hatte er vernommen, daß Ivanhoe sich in liebreichen und wahrscheinlich befreundeten Händen befand, als sein Vatergefühl wiederum dem beleidigten Stolze wich. »Mag er doch seines Weges ziehn,« sagte er, »mögen die ihm die Wunden curiren, für die er sie empfangen hat. Wâlawâ! Er ist geschickter für die Gaukelei der Normannen, als für die Ehre und den Ruhm seiner anglischen Vorfahren, die mit der Gläve und Hellebarde, dem guten alten Gewaffen unseres Landes, beides aufrecht hielten.«

»Wenn es genügt, um die Ehre seiner Vorfahren aufrecht zu erhalten,« versetzte Rowena, die gegenwärtig war, »weise im Rath und tapfer mit dem Arme zu sein, unter den Kühnen am kühnsten, unter den Milden am mildesten, so ist mir keine Stimme bekannt, außer der seines eignen Vaters, die –«

»Gesvîgath, hlaefdige Rowena!« unterbrach Cedric nachdrucksvoll – »schweigt, Rowena, über diesen einen Gegenstand verschließ ich Euch mein Ohr. Bereitet Euch nur für das Bankett[188] des Prinzen vor, wir sind dazu mit ungewohntem Aufwand von Ehrerbietung und Artigkeit geladen worden, wie die Normannen sie gegen uns selten zu üben pflegten seit dem Unglückstage von Hastings. Ich will hin, wärs auch nur, um den Uebermüthigen zu zeigen, wie wenig Eindruck das Schicksal eines Sohnes, der ihre Tapfersten bezwang, auf einen echten Sachsen macht.«

»Ich will nicht hin,« sagte Rowena fest; »ich bitt Euch, vorsichtig zu sein, daß Euch das nicht als Hartherzigkeit ausgelegt werde, was Ihr für Muth und Festigkeit ausgeben möchtet.«

»So bleibe denn zu Hause, undankbares Dämchen,« erwiderte Cedric gekränkt, »Du, Du bist hartherzig, da Du das Heil eines unterdrückten Volksstamms einer müßigen und ungesetzlichen Neigung opfern kannst. Ich geh und hole den edlen Athelstane; mit ihm will ich dem Bankette Johanns von Anjou beiwohnen.«

Er begab sich richtig zu dem Bankett, über dessen Verlauf wir bereits berichtet haben.

Unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus dem Schloß setzten sich die sächsischen Edlinge mit ihren Gefolgsleuten zu Roß, und während der allgemeinen Unruhe und Bewegung warf Cedric zum ersten Male seine Augen auf den entlaufenen Gurth. Der edle Sachse war, wie wir bereits wissen, nicht eben in der sanftesten Stimmung von dem Gastmahl zurückgekehrt und brauchte nur einen Vorwand, um seinen Aerger an irgend jemand auszulassen. »Die Fesseln!« schrie er, »die Fesseln! Oswald! Hundebert! – Hunde und Schurken! – Warum laßt ihr den Schuft ungefesselt?«

Ohne eine Gegenvorstellung zu wagen, fesselten Gurths eigne Kameraden ihn mit einer Halfter, die ihnen grade in die Hände fiel. Dieser unterwarf sich der Operation ohne Widerspruch; nur daß er mit einem vorwurfsvollen Blick auf seinen Herrn sagte: »Das kommt davon, daß ich Euer Fleisch und Blut lieber hatte als mein eignes!«

»Zu Roß und fort!« sagte Cedric.

»Es ist wirklich hohe Zeit,« setzte der edle Athelstane hinzu; »denn wenn wir nicht drauf los reiten, so sind des würdigen Abt Waltheoffs Anstalten zum Nachtessen umsonst gemacht worden.«

Die Reisenden beeilten sich indessen dergestalt, daß sie das Kloster St. Witholds noch erreichten, ehe das befürchtete Unheil[189] eintreten konnte. Der Abt war selbst von alter sächsischer Herkunft und empfing die edlen Stammgenossen mit der verschwenderischen Gastfreundschaft dieses wackeren Volkes; auch verließen ihn die Gäste nach heimischer Gewohnheit nicht eher, als bis sie am andern Morgen »die Fasten mit ihm weidlich gebrochen«, d.h. tüchtig gefrühstückt hatten.

Als der Zug den Klosterhof verließ, ereignete sich ein Vorfall, der die Sachsen, die bekanntlich sehr an alten Volksvorstellungen hingen, die zum Theil noch jetzt den untern Klassen der Engländer geläufig sind, nicht wenig beunruhigte.

Freilich rührte im gegenwärtigen Falle die Befürchtung eines bevorstehenden Unglücks von keinem wichtigeren Propheten als einem großen schwarzen Hunde her, der aufrecht sitzend furchtbar heulte und winselte, als die ersten Reiter durchs Thor zogen, und der dann mit wildem Gebell hin und her und zuletzt ihnen nachsprang, als wolle er sich dem Trupp anschließen.

»Mir gefällt diese Musik ganz und gar nicht, Vater Cedric,« sagte Athelstane, der Cedric mit diesem Respektstitel anzureden pflegte.

»Mir auch nicht, Onkel,« sagte Wamba; »ich fürchte sehr, wir werden für das Aufspielen bezahlen müssen.«

»Nach meiner Meinung,« sagte Athelstane, der sich mit Wohlgefallen an des Abtes gutes Bier erinnerte, »thun wir besser umzukehren und bis zum Nachmittag beim Abte zu verweilen; es ist nicht gut reisen, wenn einem ein Mönch, ein Hase oder ein heulender Hund über den Weg läuft.«

»Nicht doch!« sagte Cedric ungeduldig, »der Tag ist ohnehin schon zu kurz zu unsrer Reise. Den Hund kenne ich aber; es ist Gurths, des entlaufenen Schuftes, Köter, der sich eben so umhertreibt wie der Taugenichts, sein Herr.«

Mit diesen Worten erhob er sich ein wenig im Steigbügel und warf, unwillig über die Unterbrechung des Zuges, seinen Wurfspieß nach dem armen Packan; denn unser Packan mit den[190] lahmen Füßen war es wirklich, der sich nach langem Suchen übermäßig freute, seinen Herrn endlich gefunden zu haben. Der Wurfspieß verwundete das treue Thier am Schulterblatt und hätte es beinahe gänzlich durchbohrt und an die Erde gespießt. Es entfloh heulend aus dem Angesicht des erzürnten Edlings. Gurth schnürte der Schmerz das Herz zusammen. Er fühlte die seinem treuen Anhänger zugedachte Strafe noch tiefer als die harte Behandlung, die er selbst erfahren hatte. Umsonst aber versuchte er seine gefesselte Hand zu den Augen zu bringen und sagte daher zu Wamba, der in seiner Nähe ritt: »Thu mir die Liebe, Freund, und wische mir mit dem Zipfel Deines Mantels die Augen aus – der Staub ist mir ins Auge gekommen, und diese Fesseln erlauben mir nicht, mir selbst zu helfen.«

Wamba leistete ihm diesen Dienst gern, und nun ritten sie neben einander hin, während Gurth in dumpfem Schweigen verharrte. Endlich konnte er seine Gefühle nicht länger bezwingen.

»Freund Wamba,« sagte er, »von allen denen, welche Cedric dienen, hast Du allein Geschick genug, Dich mit Deiner Narrheit bei ihm beliebt zu machen. Geh also und sag ihm, daß Gurth weder aus Liebe noch aus Furcht länger in seinem Dienste bleiben mag. Mag er mir den Kopf herunterhauen, mag er mich schinden oder mit Ketten beladen lassen, er soll mich fortan nicht mehr zu Lieb und Gehorsam bringen. Geh und sag ihm, daß Gurth, der Sohn des Beowulf, seinem Dienste entsagt.«

»J, ja doch! Bin ich gleich ein Narr, so bin ich doch nicht Dein Narr! Cedric führt noch einen zweiten Wurfspieß, und den möcht ich nicht gern zwischen den Rippen spüren; Du weißt, er zielt gut.«

»Mir ist es einerlei, wenn er mich selbst zum Ziel nähme,« versetzte Gurth. »Gestern hat er Wilfred, meinen jungen Herrn, in seinem Blute liegen lassen, und heute hat er vor meinen Augen das einzige Wesen tödten wollen, das mir noch Liebe bewies. Beim heiligen Edmund, beim heiligen Dunstan, beim heiligen Withold, ja, bei Edward dem Bekenner und bei allen andern sächsischen Heiligen im Kalender, das vergebe ich ihm nicht!« Wir müssen zu dieser Expectoration bemerken, daß Cedric selbst nie bei einem Heiligen schwur, der nicht sächsischer Abkunft war, und daß[191] sein ganzer Hausstand ebenfalls seine Betheuerungen innerhalb der nationalen Grenze hielt.

»Nach meinem Dafürhalten,« sagte der Spaßmacher, der oft den Friedensstifter spielen mußte, »woll te unser Herr Deinen Packan nicht verletzen, sondern nur fortscheuchen. Denn er hob sich, wenn Du's bemerkt hast, im Steigbügel, als wolle er übers Ziel hinauswerfen; das wäre auch geschehen, aber Packan sprang in demselben Augenblick in die Höhe und kriegte die Schramme weg, die ich übrigens mit einem Pfennigwerth Theer heilen will.«

»Wenn ich das dächte, – wenn ich das nur denken könnte,« – sagte Gurth. »Aber nein, nein! – Ich sah ja, wie gut er mit dem Spieß zielte; – ich hörte ihn ja durch die Luft sausen, so giftig, so boshaft, und wie er noch zitterte, als er schon in der Erde stak, als gereue es ihn, das Ziel verfehlt zu haben. Nein, beim Eber des heiligen Anton, ich gehe fort von ihm.«

Der gekränkte Schweinehirt verfiel wiederum in sein düsteres Schweigen, das zu brechen ihn auch der Narr nicht mehr vermochte.

Inzwischen unterhielten sich Cedric und Athelstane, die Führer des Trupps, von dem Zustande des Landes, den Mißverhältnissen in der königlichen Familie, den Fehden und Zwisten im normännischen Adel, und von der Möglichkeit, daß die unterdrückten Sachsen sich doch noch einmal von der normännischen Herrschaft frei machen könnten. Dieser Gegenstand flößte Cedric Feuer und Flammen ein. Die Wiederherstellung der sächsischen Unabhängigkeit war das Idol seines Herzens, dem er mit Freuden sein häusliches Glück und das Wohl seines eignen Sohnes geopfert hatte. Um jedoch diese große Umwälzung durchzuführen, hätten die Eingebornen selbst erst einig sein und sich unter ein allgemein anerkanntes Oberhaupt stellen müssen. Die Nothwendigkeit, ein solches aus dem alten Königsgeschlecht zu wählen, lag auf der Hand, und es war dies sogar von den Vertrauten Cedrics, die um alle seine Pläne und Hoffnungen wußten, zur ausdrücklichen Bedingung gemacht worden. Diese Eigenschaft wenigstens hatte Athelstane; und wenngleich ihm wenig Talente oder geistige Vorzüge eigen waren, die ihn hätten zum Anführer empfehlen können, so hatte er doch ein einnehmendes Aeußere, war kein Feigling und an kriegerische Uebungen gewöhnt, und war zudem fügsam gegen den[192] Rath weiserer Männer. Vor allem aber war er bekannt als freigebig, gastfrei und außerordentlich gutmüthig. Welchen Anspruch indessen Athelstane auch auf die Führerschaft des Sachsenvolkes haben mochte, es gab doch manche unter den Sachsen, die geneigt waren, in dieser Hinsicht der »hlaefdige« Rowena den Vorzug zu geben; denn sie leitete ihre Abstammung direct von Alfred ab; auch war ihr Vater Häuptling gewesen und wegen seiner Weisheit, edlen Gesinnung und Tapferkeit berühmt, so daß sein Name bei seinen Landsleuten noch immer im höchsten Ansehn stand.

Es würde Cedric nicht schwer geworden sein, sich selbst an die Spitze einer dritten Partei zu stellen, die wenigstens eben so furchtbar wie die andern gewesen wäre. Um den Mangel der königlichen Abkunft zu ersetzen, besaß er Muth, Thätigkeit, Kraft und vor allem jene unerschütterliche Anhänglichkeit an die allgemeine Sache, die ihm bereits den Zunamen des Sachsen erworben hatte; auch stand seine Herkunft der keines andern nach, Athelstane und Rowena allein ausgenommen. Diese Eigenschaften waren zudem auch nicht von einem Schatten von Eigennutz befleckt. Allein anstatt durch die Bildung einer dritten Partei die Nationalkraft noch mehr zu zersplittern, war es im Gegentheil Cedrics Lieblingsplan, die schon bestehende Theilung durch eine Vermählung zwischen Athelstane und Rowena vollends zu beseitigen. Diesem Lieblingsplane aber stellte sich ein Hinderniß entgegen in der Liebe seines Mündels zu seinem eignen Sohne Wilfred, und dies Hinderniß war die eigentliche Ursache zur Verbannung des Sohnes aus dem väterlichen Hause.

Cedric hatte diese harte Maßregel in der Hoffnung ergriffen, daß Rowena während Wilfreds Abwesenheit ihn aufgeben würde, doch hatte er sich in dieser Hoffnung getäuscht. Er selbst, oder vielmehr die Art, wie er sein Mündel erzog, war daran schuld. Cedric, der den Namen Alfred vergötterte, behandelte den einzigen Sprößling dieses großen Königs mit einer Verehrung, wie sie damals kaum einer anerkannten Prinzessin zu Theil wurde. Rowenas Wille war stets Gesetz für den ganzen Hausstand. Cedric selbst, als hätte er ihre Herrschaft wenigstens in diesem kleinen Kreise anerkannt wissen wollen, schien einen Stolz darein zu setzen, sich wie ihr erster Unterthan zu benehmen.[193]

So ward Rowena nicht nur an die Ausübung ihres freien Willens gewöhnt, sondern übte sogar eine Art despotischer Autorität, die sie geneigt machte, jedem Versuche, ihre Neigungen zu leiten, zu widerstreben und ihre Unabhängigkeit in einem Falle zu behaupten, in welchem selbst an Nachgeben gewöhnte Frauencharaktere nicht selten der Autorität ihrer Eltern und Vormünder Trotz bieten. Was sie meinte und tief empfand, äußerte sie auch freimüthig. Cedric, der sich von dem gewohnten Respect gegen ihre Ansichten durchaus nicht frei machen konnte, sah schließlich kein Mittel mehr, sein Ansehn als Vormund ihr gegenüber zu behaupten.

Umsonst suchte er sie durch die Aussicht auf einen eingebildeten Thron zu reizen. Rowena, die sehr einsichtsvoll war, betrachtete diesen Plan weder als ausführbar noch auch als wünschenswerth für sie, wenn er auszuführen wäre. Sie verhehlte nicht im geringsten ihre Zuneigung zu Wilfred von Ivanhoe, und erklärte, daß, wäre der Ritter ihrer Wahl und Gunst ihr für immer entrückt, sie lieber ihre Zuflucht im Kloster suchen als einen Thron mit Athelstane theilen würde, den sie längst verachtete und nun gradezu haßte, da er ihr im besagten Punkte Unruhe und Herzeleid verursachte.

Trotzdem beharrte Cedric, der keine sehr hohe Meinung von weiblicher Beständigkeit hegte, fortwährend dabei, alles anzuwenden, um die beabsichtigte Verbindung zu Stande zu bringen, weil er dadurch der Nationalsache einen bedeutenden Dienst zu leisten glaubte. Die plötzliche und romanhafte Erscheinung seines Sohnes in den Schranken von Ashby hatte er daher als einen tödtlichen Schlag für alle seine Hoffnungen aufgefaßt. Seine Vaterliebe hatte zwar auf einen Augenblick den Sieg über Stolz und Patriotismus davon getragen, doch waren beide verstärkt zurückgekehrt, und hiedurch angestachelt, war er entschlossen, einen entscheidenden Versuch zur Verbindung Athelstanes und Rowenas zu machen, und zugleich alle Maßregeln zu treffen, die ihm zur Wiederherstellung der sächsischen Unabhängigkeit erforderlich schienen.

Zu diesem Zwecke gab er sich mit Athelstane die größte Mühe, doch sah er sich wie der junge Heißsporn Harry Percy ab und zu veranlaßt, zu klagen, »daß er eine solche Milchsuppe zu einer so ehrenvollen That bewegen solle.« Athelstane war freilich eitel[194] genug und hörte gern von seiner hohen Abkunft reden, sowie auch von seinem Recht auf den Thron und die Königswürde. Allein es genügte ihm schon, wenn seine nächste Umgebung ihm diese Huldigung darbrachte. Er hatte den Muth, es mit Gefahren aufzunehmen, und doch scheute er die Unbequemlichkeit, sie aufzusuchen. Er machte die von Cedric aufgestellten Principien zu den seinigen, und hätte gern über die Sachsen geherrscht, wenn sie vorher ihre Freiheit errungen hätten; aber sobald es Anstrengung kostete, dieses Ziel zu erreichen, blieb er stets Athelstane der Unentschlossene, verschob alles auf morgen und begann kein Unternehmen sofort. Die warmen und rührenden Ermahnungen Cedrics hatten nur geringen Einfluß auf ihn; sie glichen glühenden Kugeln, die ins Wasser geworfen ein wenig Dampf, flüchtiges Aufbrausen und Zischen erregen, dann aber sogleich wieder todt daliegen.

Gab es Cedric auf, kaltes Eisen zu schmieden, so wandte er sich gewöhnlich wieder zu Rowena, ohne eben glücklicher zu sein. Plauderte sie mit ihrer Zofe über Wilfreds Tapferkeit und Schicksal, und unterbrach sie Cedric, so rächte Editha sich gewöhnlich dadurch, daß sie auf Athelstanes Unglück in den Schranken von Ashby zu sprechen kam, was der unangenehmste Gegenstand für Cedrics Ohren war. So wurde denn dem trotzköpfigen Sachsen die Reise durch jede Art von Mißvergnügen und Verdrießlichkeit vergällt. Mehr als einmal verwünschte er im Stillen das Turnier und die Thorheit, es besucht zu haben.

Zu Mittag machten die Reisenden auf Athelstanes Wunsch in einer schattigen Waldgegend unweit einer Quelle Halt, um ihre Pferde ausruhen zu lassen und selbst einige Erfrischungen einzunehmen, mit denen der gastfreie Abt einen Maulesel beladen hatte. Das Mahl dauerte ziemlich lange; und es wurde ihnen unmöglich, Rotherwood zu erreichen, ohne die ganze Nacht unterwegs zu sein, was sie denn auch veranlaßte ihren Weg mit schnelleren Schritten als bisher zu verfolgen.

Quelle:
Scott, Walter: Ivanhoe. Berlin 1901, S. 186-195.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ivanhoe
Ivanhoe (Wordsworth Collection)
Ivanhoe: Roman (Fischer Klassik)
Ivanhoe, ein historischer Roman. Für die reifere Jugend frei bearb. von Alber Geyer. Illustriert von W. Zweigle
Ivanhoe

Buchempfehlung

Anonym

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Das chinesische Lebensbuch über das Geheimnis der Goldenen Blüte wird seit dem achten Jahrhundert mündlich überliefert. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Richard Wilhelm.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon