Erste Szene

[103] Zimmer bei Baptista.


Lucentio, Hortensio und Bianca treten auf.


LUCENTIO.

Fiedler, laßt ab; Ihr werdet allzu dreist.

Habt Ihr die Freundlichkeit so schnell vergessen,

Mit der Euch Katharine hier empfing? –

HORTENSIO.

Zanksücht'ger Schulgelehrter! Immer war

Die göttliche Musik die Herrscherin:

Drum steht zurück und gönnet mir den Vorzug;

Und wenn wir eine Stunde musiziert,

Soll Euer Lesen gleiche Muße finden.

LUCENTIO.

Ihr Widersinn 'ger Tropf! der nicht begriff,

Zu welchem Zweck Musik uns ward gegeben: –

Ist's nicht, des Menschen Seele zu erfrischen,

Nach ernstem Studium und der Arbeit Müh'? –

Deshalb vergönnt, daß wir philosophieren,

Und ruhn wir aus, dann mögt Ihr musizieren.

HORTENSIO.

Gesell! Ich will dein Trotzen nicht ertragen! –

BIANCA.

Ei, Herrn, das heißt ja doppelt mich beleid'gen,

Zu zanken, wo mein Will' entscheidend ist.

Ich bin kein Schulkind, das die Rute scheut,

Ich will mich nicht an Zeitbestimmung binden,

Nein, Stunde nehmen, wie's mir selbst gefällt.

Den Streit zu schlichten, setzen wir uns hier:

Nehmt Euer Instrument und spielt indessen,

Denn wir sind fertig, eh' Ihr nur gestimmt.

HORTENSIO.

So schließt ihr, wenn ich recht in Stimmung bin?


Zieht sich zurück.[103]


LUCENTIO.

Das wird wohl nie der Fall sein. Stimmt nur immer!

BIANCA.

Wo blieben wir?

LUCENTIO.

An dieser Stelle, Fräulein:

Hac ibat Simois, hic est Sigeia tellus,

Hic steterat Priami regia celsa senis.

BIANCA.

Wollt Ihr das übersetzen?

LUCENTIO. Hac ibat – wie ich Euch schon sagte; – Simois – ich bin Lucentio; – hic est – Sohn des Vincentio in Pisa; – Sigeia tellus – so verkleidet, um Eure Liebe zu erflehen; – hic steterat und jener Lucentio, der um Euch wirbt; – Priami – ist mein Diener Tranio; – regia – der meinen Namen trägt; – celsa senis – damit wir den alten Herrn Pantalon anführen.

HORTENSIO.

Fräulein, nun stimmt die Laute.

BIANCA.

O pfui! das E ist falsch, das G ist recht.

LUCENTIO.

Recht, darum geh! mein Freund, und stimme wieder!

BIANCA. Laßt mich nun versuchen, ob ich es übersetzen kann. Hac ibat Simois – ich kenne Euch nicht; – hic est Sigeia tellus – ich traue Euch nicht; – hic steterat Priami – nehmt Euch in acht, daß er uns nicht hört; – regia – seid nicht zu verwegen; – celsa senis – verzweifelt nicht.

HORTENSIO.

Fräulein, nun stimmt sie.

LUCENTIO.

A und F sind falsch.

HORTENSIO.

Ihr seid wohl selbst das A und F, Herr Aff'.

Wie feurig keck der Schulgelehrte wird! –

Fürwahr, der Schelm wagt's, ihr den Hof zu machen;

Wart' Schulfuchs, ich will besser dich bewachen.

BIANCA.

Vielleicht glaub' ich Euch einst, jetzt zweifl' ich noch.

LUCENTIO.

O zweifelt nicht! Gewiß, der Äacide

War Ajax, nach dem Ahnherrn so genannt.

BIANCA.

Ich muß dem Lehrer glauben, sonst beteur' ich,

Von meinem Zweifel ließ' ich noch nicht ab.

Doch sei's genug. Nun, Licio, ist's an Euch.

Ihr guten Lehrer, nehmt's nicht übel auf,

Daß ich so scherzhaft mit euch beiden war.

HORTENSIO.

Ihr mögt nun gehn und uns ein Weilchen lassen,

Dreistimmige Musik kommt heut nicht vor.[104]

LUCENTIO.

Seid Ihr so pünktlich? Nun, so muß ich warten

Und auf ihn achten; denn irr' ich mich nicht,

Macht unser feiner Sänger den Verliebten.

HORTENSIO.

Fräulein, eh' Ihr die Laute nehmt zur Hand,

Muß ich beginnen mit den Anfangsregeln,

Daß Ihr des Fingersatzes Kunst begreift

Und Eure Skala lernt in kürzrer Zeit,

Vergnüglicher, brauchbarer, kräftiger,

Als je ein andrer Lehrer Euch's gezeigt: –

Hier habt Ihr's aufgeschrieben, schön und faßlich.

BIANCA.

Die Skala hab' ich längst schon absolviert.

HORTENSIO.

Doch hört, wie sie Hortensio konstruiert!

BIANCA liest.

C. Skala, Grund der Harmonie genannt,

D. Soll Hortensios heiße Wünsche deuten.

E. F. O Bianca, schenk' ihm deine Hand,

G. A. Und laß sein treues Herz dich leiten.

H. Nimm zwei Schlüssel an, die er dir bot,

C. Dein Erbarmen, oder seinen Tod.

BIANCA.

Das nennt Ihr Skala? Geht, die mag ich nicht,

Die alte lieb' ich mehr, bin nicht so lüstern,

Seltsamer Neu'rung Echtes aufzuopfern. –


Ein Diener kommt.


DIENER.

Fräulein, der Vater will, Ihr laßt die Bücher

Und helft, der Schwester Zimmer aufzuschmücken: –

Ihr wißt, auf morgen ist der Hochzeittag.

BIANCA.

Lebt wohl, ihr lieben Lehrer, ich muß gehn.


Bianca und Diener ab.

LUCENTIO.

Dann, Fräulein, hab' ich keinen Grund zu bleiben.


Ab.


HORTENSIO.

Doch Grund hab' ich, den Schulfuchs zu erforschen.

Mir scheint nach seinem Blick, er sei verliebt:

Doch Bianca, ist dein Sinn so ganz verächtlich,

Dein wandernd Aug' auf jeden Knecht zu werfen,

So lauf', zu wem du willst! Bist du so niedrig,

Such' ich ein andres Weib, und so erwidr' ich.


Ab.[105]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 103-106.
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