[199] Palast.
Proteus tritt auf.
PROTEUS.
Erst war ich treulos gegen Valentin,
Nun muß ich auch an Thurio unrecht handeln:
Mit falschem Schein, als spräch' ich seinethalb,
Nutz' ich den Zutritt eignem Liebeswerben.
Doch Silvia ist zu schön, zu treu, zu heilig,
Gehör zu geben niedriger Bestechung.
Beteur' ich treuergebnen Sinn für sie,
Wirft sie mir vor die Falschheit an dem Freund;
Und weih' ich ihrer Schönheit meinen Schwur,[199]
Heißt sie mich meines Meineids gleich gedenken,
Weil Julien ich mein Liebeswort gebrochen.
Doch, wie sie mich auch immer quält und martert,
Genug, um jede Hoffnung zu ertöten,
Stärkt sich nur meine Lieb' und schmeichelt ihr,
Dem Hündchen gleich, je mehr zurückgestoßen.
Doch Thurio kommt, jetzt müssen wir zum Fenster
Und ihrem Ohr ein nächtlich Ständchen bringen.
Thurio kommt mit Musikanten.
THURIO.
Wie, Proteus? Seid Ihr mir vorausgeschlichen?
PROTEUS.
Ja, werter Thurio! denn Ihr wißt, daß Liebe
Zum Dienst hinschleicht, wo sie nicht gehen kann.
THURIO.
Ja, Herr; doch hoff' ich, daß Ihr hier nicht liebt.
PROTEUS.
Ich tu' es doch, sonst wär' ich fern von hier.
THURIO.
Wen? Silvia?
PROTEUS.
Ja, Silvia – um Euretwegen.
THURIO.
So dank' ich Euretwegen. Jetzt, ihr Herrn,
Stimmt nun, und gleich darauf fangt fröhlich an!
In der Entfernung treten auf der Wirt, und Julia in Pagentracht.
WIRT. Nun, mein junger Gast! mich dünkt, Ihr leidet an der Mehlcholik; ich bitte Euch, warum?
JULIA. Ei, mein guter Wirt, weil ich nicht fröhlich sein kann.
WIRT. Kommt. Ihr sollt fröhlich sein; ich will Euch hinbringen, wo Ihr Musik hören und den Edelmann sehen werdet, nach dem Ihr fragtet.
JULIA. Aber werde ich ihn sprechen hören?
WIRT. Ja: das werdet Ihr!
JULIA. Das wird Musik sein.
Die Musik beginnt.
WIRT. Hört! Hört!
JULIA. Ist er unter denen?
WIRT. Ja, aber still, laßt uns zuhören:
Wer ist Silvia? Was ist sie,
Die aller Welt Verehrung?[200]
Heilig, schön und weis' ist sie,
In himmlischer Verklärung.
Lob und Preis ihr, dort und hie.
Ist sie nicht so schön als gut?
Denn Schön' und Güte weilt hie.
Amor ihr im Auge ruht,
Ihn von Blindheit heilt sie.
Er, dort blickend, Wunder tut.
Dich, o Silvia, singen wir,
Die hoch als Fürstin thronet;
Du besiegst an Huld und Zier,
Was auf Erden wohnet.
Kränzt das Haupt mit Rosen ihr!
WIRT.
Nun? Seid Ihr noch schwermütiger als zuvor?
Was ist Euch, Freund? Gefällt Euch die Musik nicht?
JULIA. Ihr irrt; der Musikant gefällt mir nicht.
WIRT. Warum, mein artiges Kind?
JULIA. Er spielt falsch, Vater.
WIRT. Wie? Greift er unrecht in die Saiten?
JULIA. Das nicht; aber er reißt so in die Saiten, daß er die Saiten meines Herzens zerreißt.
WIRT. Ihr habt ein zartes Ohr.
JULIA. Oh, ich wollte, ich wäre taub; es macht mein Herz schwer.
WIRT. Ich merke, Ihr habt keine Freude an Musik.
JULIA. Nicht die geringste, wenn sie so mißlautet.
WIRT. Hört, welch ein schöner Wechsel in der Musik!
JULIA. Ach, dieser Wechsel ist das Böse.
WIRT. Ihr wollt, daß sie immer dasselbe spielen?
JULIA. Ich wollte, daß derselbe immer dasselbe spielte. Aber, Wirt, findet sich dieser Herr Proteus, von dem wir sprechen, oft bei dem Fräulein ein?
WIRT. Ich sage Euch, was Lanz, sein Diener, mir gesagt hat, – er liebt sie über alle Maßen.
JULIA. Wo ist Lanz?[201]
WIRT. Er ist fort, seinen Hund zu suchen, den er morgen, auf seines Herrn Befehl, der Dame zum Geschenk bringen muß.
JULIA. Still! Geh bei Seit', die Gesellschaft entfernt sich.
PROTEUS.
Thurio, seid unbesorgt! Ich spreche so,
Daß Ihr die List selbst rühmt, wie sie gelingt.
THURIO.
Wo treffen wir uns?
PROTEUS.
Bei Sankt Gregors Brunnen.
THURIO.
Lebt wohl!
Thurio und die Musikanten ab.
Silvia erscheint oben am Fenster.
PROTEUS.
Fräulein, ich biet' Euer Gnaden guten Abend.
SILVIA.
Ich danke, meine Herrn, für die Musik;
Wer ist's, der sprach?
PROTEUS.
Mein Fräulein, kenntet Ihr sein treues Herz,
Ihr würdet bald ihn an der Stimm' erkennen.
SILVIA.
Herr Proteus, hört' ich recht.
PROTEUS.
Proteus, mein edles Fräulein, Euer Diener.
SILVIA.
Was ist Euer Wille?
PROTEUS.
Euern zu erlangen.
SILVIA.
Euer Wunsch ist schon erfüllt; mein Will' ist dieser:
Daß Ihr sogleich nach Haus und schlafen geht.
Du schlau, meineidig, falsch, treuloser Mann!
Glaubst du, ich sei so schwach, so unverständig,
Daß mich verführte deine Schmeichelei,
Der du mit Schwüren schon so manche trogst?
Zur Heimat kehre, deine Braut zu sühnen!
Denn, – hör' es, blasse Königin der Nacht, –
Ich bin so fern, mich deinem Flehn zu neigen,
Daß ich dein schmachvoll Werben tief verachte;
Und schon beginn' ich selbst mit mir zu hadern,
Daß ich noch Zeit verschwende, dich zu sprechen.
PROTEUS.
Ich will's gestehn, mein Herz, ich liebt' ein Fräulein;
Doch sie ist tot.
JULIA beiseit.
Falsch wär's, wenn ich so spräche;
Denn ich bin sicher, sie ist nicht begraben.[202]
SILVIA.
Sei's, wie du sagst; doch Valentin, dein Freund,
Lebt noch; dem ich, du bist desselber Zeuge,
Verlobte bin; und hast du keine Scham,
Ihn durch dein freches Dringen so zu kränken?
PROTEUS.
Man sagte mir, auch Valentin sei tot.
SILVIA.
So denk', ich sei es auch; denn in sein Grab,
Des sei gewiß, versenk' ich meine Liebe.
PROTEUS.
Laßt, Teure, mich sie aus der Erde scharren!
SILVIA.
Geh, rufe Juliens Lieb' aus ihrer Gruft,
Und kannst du's nicht, begrabe dort die deine!
JULIA beiseit.
Das hört er nicht.
PROTEUS.
Fräulein, wenn Euer Herz so grausam ist,
Bewilligt doch Eu'r Bildnis meiner Liebe,
Das Bildnis, das in Eurem Zimmer hängt:
Zu diesem will ich reden, seufzen, weinen;
Denn, da das wahre Selbst von Eurer Schönheit
Sich weggeschenkt, bin ich ein Schatten nur,
Und Eurem Schatten will ich liebend huld'gen.
JULIA beiseit.
Wär' es ein wahres Selbst, betrögst du es,
Und machtest es zum Schatten, wie ich bin.
SILVIA.
Mich freut es nicht, zum Götzen Euch zu dienen;
Doch, da es gut für Eure Falschheit paßt,
Nur Schatten, falsch Gebilde, anzubeten,
Schickt zu mir morgen früh, ich send' es Euch;
Und so schlaft wohl!
PROTEUS.
Wie, wer verurteilt liegt
Und morgen seine Hinrichtung erwartet.
Proteus geht ab und Silvia von oben hinweg.
JULIA. Wirt, wollt Ihr gehen?
WIRT. Meiner Treu, ich war fest eingeschlafen.
JULIA. Sagt mir, wo wohnt Proteus?
WIRT. Ei, in meinem Hause. Wahrhaftig, ich glaube, es ist beinahe Tag.
JULIA.
Das nicht; doch ist's die längste Nacht gewesen,
Die ich je durchgewacht, und auch die bängste.
Sie gehn ab.[203]
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