Erste Szene

[767] Olivias Garten. Viola und der Narr mit einer Trommel.


VIOLA. Gott grüß' dich, Freund, und deine Musik! Stehst du dich gut bei deiner Trommel?

NARR. Nein, Herr, ich stehe mich gut bei der Kirche.

VIOLA. Bist du ein Kirchenvorsteher?

NARR. Das nicht, Herr, ich stehe mich gut bei der Kirche, denn ich stehe mich gut in meinem Hause, und mein Haus steht bei der Kirche.

VIOLA. So könntest du auch sagen, der König stände sich gut bei einer Bettlerin, wenn die Bettlerin bei ihm steht, oder die Kirche stände sich gut bei der Trommel, wenn die Trommel bei der Kirche steht.

NARR. Richtig, Herr. – Seht mir doch dies Zeitalter! Eine Redensart ist nur ein lederner Handschuh für einen witzigen Kopf: wie geschwind kann man die verkehrte Seite herauswenden!

VIOLA. Ja, das ist gewiß; wer artig mit Worten tändelt, kann sie geschwind leichtfertig machen.

NARR. Darum wollte ich, man hätte meiner Schwester keinen Namen gegeben.

VIOLA. Warum, Freund?

NARR. Ei, Herr, ihr Name ist ein Wort, und das Tändeln mit dem Wort könnte meine Schwester leicht fertig machen. Aber wahrhaftig, Worte sind rechte Hundsfötter, seit Verschreibungen sie zuschanden gemacht haben.

VIOLA. Dein Grund?

NARR. Meiner Treu, Herr, ich kann Euch keinen ohne Worte[767] angeben, und Worte sind so falsch geworden, daß ich keine Gründe darauf bauen mag.

VIOLA. Ich wette, du bist ein lustiger Bursch und kümmerst dich um nichts.

NARR. Nicht doch, Herr, ich bekümmere mich um etwas. Aber auf Ehre, ich kümmere mich nicht um Euch; wenn das heißt, sich um nichts kümmern, so wünschte ich, es möchte Euch unsichtbar machen.

VIOLA. Bist du nicht Fräulein Olivias Narr?

NARR. Keinesweges, Herr. Fräulein Olivia hat keine Narrheit; sie wird keinen Narren halten, bis sie verheiratet ist; und Narren verhalten sich zu Ehemännern wie Sardellen zu Heringen: der Ehemann ist der größte von beiden. Ich bin eigentlich nicht ihr Narr, sondern ihr Wortverdreher.

VIOLA. Ich sah dich neulich beim Grafen Orsino.

NARR. Narrheit, Herr, geht rund um die Welt; sie scheint allenthalben. Es täte mir leid, wenn der Narr nicht so oft bei Euerm Herrn als bei meinem Fräulein wäre. Mich deucht, ich sah Eure Weisheit daselbst.

VIOLA. Wenn du mich zum besten haben willst, so habe ich nichts mehr mit dir zu schaffen. Nimm, da hast du was zu deiner Ergötzlichkeit.

NARR. Nun, möge dir Jupiter das nächste Mal, daß er Haare übrig hat, einen Bart zukommen lassen!

VIOLA. Wahrhaftig, ich sage dir, ich verschmachte fast nach einem, ob ich gleich nicht wollte, daß er auf meinem Kinne wüchse. Ist dein Fräulein zu Hause?

NARR auf das Geld zeigend. Sollte nicht ein Paar von diesen jungen?

VIOLA. Ja, wenn man sie zusammenhielte und gehörig wirtschaften ließe.

NARR. Ich wollte wohl den Herrn Pandarus von Phrygien spielen, um diesem Troilus eine Cressida zuzuführen.

VIOLA. Ich verstehe Euch: Ihr bettelt gut.

NARR. Ich denke, es ist keine große Sache, da ich nur um eine Bettlerin bettle. Cressida war eine Bettlerin. Mein Fräulein ist zu Haus, Herr. Ich will ihr bedeuten, woher Ihr kommt; wer Ihr seid, und was Ihr wollt, das liegt außer meiner[768] Sphäre; ich könnte sagen: »Horizont«, aber das Wort ist zu abgenutzt. Ab.

VIOLA.

Der Bursch ist klug genug, den Narr'n zu spielen,

Und das geschickt tun, fodert ein'gen Witz.

Die Laune derer, über die er scherzt,

Die Zeiten und Personen muß er kennen

Und wie der Falk auf jede Feder schießen,

Die ihm vors Auge kommt. Dies ist ein Handwerk,

So voll von Arbeit als des Weisen Kunst.

Denn Torheit, weislich angebracht, ist Witz;

Doch wozu ist des Weisen Torheit nütz?


Junker Tobias und Junker Christoph kommen.


JUNKER TOBIAS. Gott grüß' Euch, Herr!

VIOLA. Euch gleichfalls, Herr!

JUNKER CHRISTOPH. Dieu vous garde, Monsieur.

VIOLA. Et vous aussi; votre serviteur.

JUNKER CHRISTOPH. Hoffentlich seid Ihr's, und ich bin der Eurige.

JUNKER TOBIAS. Wollt Ihr unser Haus begrüßen? Meine Nichte wünscht, Ihr möchtet hineintreten, wenn Ihr ein Geschäft an sie habt.

VIOLA. Ich bin Eurer Nichte verbunden; ich will sagen, ich bin verbunden, zu ihr zu gehn.

JUNKER TOBIAS. So kostet Eure Beine, Herr, setzt sie in Bewegung!

VIOLA. Meine Beine verstehn mich besser, Herr, als ich verstehe, was Ihr damit meint, daß ich meine Beine kosten soll.

JUNKER TOBIAS. Ich meine, Ihr sollt gehn, hineintreten.

VIOLA. Ich will Euch durch Gang und Eintritt antworten; aber man kommt uns zuvor.


Olivia und Maria kommen.


Vortreffliches, unvergleichliches Fräulein, der Himmel regne Düfte auf Euch herab!

JUNKER CHRISTOPH. Der junge Mensch ist ein großer Hofmann: »Düfte regnen.« Schön![769]

VIOLA. Mein Auftrag ist stumm, Fräulein, außer für Euer bereitwilliges und herablassendes Ohr.

JUNKER CHRISTOPH. »Düfte!« »Bereitwillig!« »Herablassend!«- Ich will mir alles dreies merken.

OLIVIA.

Macht die Gartentür zu, und laßt mich ihm Gehör geben!


Junker Tobias, Junker Christoph und Maria ab.


Gebt mir die Hand, mein Herr!

VIOLA.

Gebietet über meine Dienste, Fräulein!

OLIVIA.

Wie ist Eu'r Name?

VIOLA.

Reizende Prinzessin,

Cesario ist der Name Euers Dieners.

OLIVIA.

Mein Diener, Herr? Die Welt war nimmer froh,

Seit niedres Heucheln galt für Artigkeit.

Ihr seid Orsinos Diener, junger Mann.

VIOLA.

Und der ist Eurer; Eures Dieners Diener

Muß ja, mein Fräulein, auch der Eure sein.

OLIVIA.

Sein denk' ich nicht; wär' sein Gedächtnis lieber

Ein leeres Blatt, als angefüllt mit mir!

VIOLA.

Ich komm', um Euer gütiges Gedächtnis

An ihn zu mahnen –

OLIVIA.

O entschuldigt mich!

Ich hieß Euch niemals wieder von ihm reden.

Doch hättet Ihr sonst etwa ein Gesuch,

Ich hörte lieber, wenn Ihr das betriebt,

Als die Musik der Sphären.

VIOLA.

Teures Fräulein –

OLIVIA.

Ich bitt', erlaubt! Nach der Bezauberung,

Die Ihr nur erst hier angestiftet, sandte

Ich einen Ring Euch nach; und täuschte so

Mich, meinen Diener, und ich fürcht', auch Euch.

Nun steh' ich Eurer harten Deutung bloß,

Weil ich Euch aufdrang mit unwürd'ger List,

Was, wie Ihr wußtet, doch nicht Euer war.

Was mochtet Ihr wohl denken? Machtet Ihr

Zu Eurem Ziele meine Ehre nicht,

Und hetztet jeglichen Verdacht auf sie,

Den ein tyrannisch Herz ersinnen kann?[770]

Für einen, der behende faßt wie Ihr,

Zeigt' ich genug; ein Flor, und nicht ein Busen,

Versteckt mein armes Herz: so sprecht nun auch!

VIOLA.

Ihr dauert mich.

OLIVIA.

Das ist ein Schritt zur Liebe.

VIOLA.

Nein, nicht ein Fuß breit; die Erfahrung zeigt,

Daß man sich oft auch Feinde dauern läßt.

OLIVIA.

So wär's ja wohl zum Lächeln wieder Zeit.

O Welt! wie leicht wird doch der Arme stolz!

Soll man zur Beute werden, wie viel besser

Dem Löwen zuzufallen als dem Wolf!


Die Glocke schlägt.


Die Glocke wirft mir Zeitverschwendung vor. –

Seid ruhig, junger Freund! Ich will Euch nicht.

Und doch, kommt Witz und Jugend erst zur Reife,

So erntet Euer Weib 'nen feinen Mann.

Dorthin liegt Euer Weg, grad' aus nach Westen!

VIOLA.

Wohlauf, nach Westen!

Geleit' Eu'r Gnaden Heil und froher Mut!

Ihr sagt mir, Fräulein, nichts für meinen Herrn?

OLIVIA.

Bleib'!

Ich bitt' dich, sage, was du von mir denkst.

VIOLA.

Nun, daß Ihr denkt, Ihr seid nicht, was Ihr seid.

OLIVIA.

Und denk' ich so, denk' ich von Euch dasselbe.

VIOLA.

Da denkt Ihr recht: ich bin nicht, was ich bin.

OLIVIA.

Ich wollt', Ihr wärt, wie ich Euch haben wollte!

VIOLA.

Wär's etwas Bessers, Fräulein, als ich bin,

So wünsch ich's auch; jetzt bin ich Euer Narr.

OLIVIA.

O welch ein Maß von Hohn liebreizend steht

Im Zorn und der Verachtung seiner Lippe!

Verschämte Lieb', ach! sie verrät sich schnell

Wie Blutschuld: ihre Nacht ist sonnenhell.

Cesario, bei des Frühlings Rosenjugend!

Bei jungfräulicher Sitt' und Treu und Tugend!

So lieb' ich dich, trotz meinem stolzen Sinn,

Daß ich des Herzens nicht mehr mächtig bin.

Verhärte nicht dich klügelnd durch den Schluß,[771]

Du könntest schweigen, weil ich werben muß.

Nein, feßle lieber Gründe so mit Gründen:

Süß sei es, Lieb' erflehn, doch süßer, Liebe finden.

VIOLA.

Bei meiner Jugend! bei der Unschuld! nein!

Ein Herz, ein Busen, eine Treu', ist mein,

Und die besitzt kein Weib; auch wird nie keine

Darüber herrschen, außer ich alleine.

Und Fräulein, so lebt wohl: nie klag' ich Euerm Ohr

Die Seufzer meines Herren wieder vor.

OLIVIA.

O komm zurück! Du magst dies Herz betören,

Ihn, dessen Lieb' es haßt, noch zu erhören.


Beide ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 767-772.
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