[54] Troja. Pandars Garten.
Pandarus und Troilus' Diener treten auf.
PANDARUS. Heda! Wo ist dein Herr? Ist er bei meiner Nichte Cressida? –[54]
DIENER. Nein, Herr, er wartet auf Euch, daß Ihr ihn zu ihr führt.
Troilus kommt.
PANDARUS. Oh, hier kommt er. Nun, wie geht's? Wie geht's?
TROILUS. Du da, geh fort!
Diener ab.
PANDARUS.
Habt Ihr meine Nichte gesehn? –
TROILUS.
Nein, Pandarus. Ich wank' um ihre Tür
Gleich einer neuen Seel' am Strand des Styx,
Des Fährmanns wartend. O sei du mein Charon
Und schaff' mich schnell zu jenen sel'gen Fluren,
Wo ich mag schwelgen in dem Lilienbeet,
Bestimmt für den Beglückten! Liebster Pandar,
Von Amors Schulter nimm die bunten Schwingen,
Und fleuch mit mir zu Cressida!
PANDARUS.
Weilt hier im Garten; und ich rufe sie.
Pandarus geht ab.
TROILUS.
Mir schwindelt; rings im Kreis dreht mich Erwartung;
Die Wonn' in meiner Ahnung ist so süß,
Daß sie den Sinn verzückt. Wie wird mir sein,
Wenn nun der durst'ge Gaumen wirklich schmeckt
Der Liebe lautern Nektar? Tod, so fürcht' ich,
Vernichtung, Ohnmacht, oder Lust zu fein,
Zu tief eindringend, zu entzückend süß
Für meiner gröbern Sinn' Empfänglichkeit:
Dies furcht' ich sehr, und fürchte außerdem,
Daß im Genuß mir Unterscheidung schwindet,
Wie in der Schlacht, wenn Scharen wild sich drängend
Den flieh'nden Feind bestürmen.
Pandarus kommt zurück.
PANDARUS. Sie macht sich fertig: gleich wird sie hier sein; nun seid gescheut! Sie errötet und holt so kurz Atem, als wäre sie von einem Gespenst erschreckt. Ich will sie holen. Es ist die niedlichste Spitzbübin: sie atmet so kurz wie ein eben gefangner Sperling. Geht ab.[55]
TROILUS.
Die gleiche Angst umspannt auch meine Brust;
Mein Herz schlägt rascher als ein Fieberpuls,
Und alle Kräfte stocken regungslos,
Vasallen gleich, die unversehns begegnen
Dem Aug' der Majestät.
Pandarus kommt mit Cressida zurück.
PANDARUS. Komm, komm; wozu dies Erröten? Scham ist nur ein einfältiges Kind. – Hier ist sie nun; schwört Ihr nun die Eide, die Ihr mir geschworen habt. – Was, willst du schon wieder entfliehen? Muß man dich erst durch Wachen zähmen, sag? Komm doch heran; komm heran! Wenn du zurückgehst, stellen wir dich vorn in die Reihen. – Warum sprecht Ihr nicht mit ihr? Nun, zieh doch diesen Vorhang weg, und laß dein Gemälde betrachten! Liebe Zeit! Wie sie sich fürchtet, dem Tageslicht ein Ärgernis zu geben! Wenn es dunkel wäre, ihr würdet einander schon näher kommen. So, so; jetzt bietet Schach, und Ihr nehmt die Dame. Seht, dieser Kuß war das Handgeld – hier baue, Zimmermann; hier ist die Luft lieblich. Ja, wahrhaftig, ihr sollt alle Karten ausgespielt haben, ehe ich euch von einander lasse – nur zu! Nur zu!
TROILUS. Ihr habt mich aller Worte beraubt, Liebste! –
PANDARUS. Worte zahlen keine Schulden; gebt ihr Taten; aber sie wird Euch auch um die Taten bringen, wenn sie Eure Tätigkeit in Anspruch nimmt. – Was, wieder geschnäbelt? Hier heißt's, »zur Bekräftigung dessen von beiden Parteien wechselseitig« – Kommt hinein, kommt hinein, ich will ein Feuer machen lassen. Pandarus geht ab.
CRESSIDA. Wollt Ihr hineingehn, mein Prinz?
TROILUS. O Cressida, wie oft habe ich mich so gewünscht!
CRESSIDA. Gewünscht, mein Prinz? Die Götter gewähren – o mein Prinz! –
TROILUS. Was sollen sie gewähren? Was verursacht dies liebliche Abbrechen? Was für tiefverborgne Trübung erspäht mein süßes Mädchen in dem klaren Brunnen unsrer Liebe?
CRESSIDA. Mehr Trübung als Wasser, wenn meine Furcht Augen hat.[56]
TROILUS. Die Furcht macht Teufel aus Engeln; sie sieht nie richtig.
CRESSIDA. Blinde Furcht, von sehender Vernunft geführt, geht sichrer zum Ziel als blinde Vernunft, die ohne Furcht strauchelt. Das Schlimmste fürchten, heilt oft das Schlimmste.
TROILUS. Was könnte meine Geliebte fürchten? In Cupidos Maskenzug wird nie ein Ungeheuer aufgeführt.
CRESSIDA. Auch nie etwas Ungeheures?
TROILUS. Nichts als unsre Unternehmungen: wenn wir geloben, Meere zu weinen, in Flammen zu leben, Felsen zu verschlingen, Tiger zu zähmen; weil wir wähnen, es sei der Dame unsres Herzens schwerer, genug Prüfungen zu ersinnen, als für uns irgend etwas Unmögliches zu bestehn. Das ist das Ungeheure in der Liebe, meine Teure, – daß der Wille unendlich ist, und die Ausführung beschränkt; daß das Verlangen grenzenlos ist, und die Tat ein Sklav' der Beschränkung.
CRESSIDA. Man sagt, jeder Liebhaber schwöre, mehr zu vollbringen, als ihm möglich ist, und behalte dennoch Kräfte, die er nie in Anwendung bringt; er gelobe, mehr als zehn auszuführen, und bringe kaum den zehnten Teil von dem, was einer vermöchte, zustande. Wer die Stimme eines Löwen und das Tun eines Hasen hat, ist der nicht ein Ungeheuer?
TROILUS. Gibt es solche? Wir sind nicht von dieser Art. Lobt uns nach bestandener Prüfung, und schätzt uns nach Taten; unser Haupt müsse unbedeckt bleiben, bis Ruhm es krönt. Keine Vollkommenheit, die noch erst erreicht werden soll, werde in der Gegenwart gepriesen; wir wollen das Verdienst nicht vor seiner Geburt taufen, und ist es geboren, so soll seine Bezeichnung demütig sein: Wenig Worte und feste Treue! Troilus wird für Cressida ein solcher sein, daß, was Bosheit ihm Schlimmstes nachsagen mag, ein Spott über seine Treue sei; und was Wahrheit am wahrsten sprechen kann, nicht wahrer als Troilus.
CRESSIDA. Wollt Ihr hineingehn, mein Prinz?
Pandarus kommt zurück.[57]
PANDARUS. Wie? Noch immer errötend? Seid Ihr noch nicht mit Schwätzen fertig?
CRESSIDA. Nun, Oheim, was ich Törichtes beginne, sei Euch zugeeignet.
PANDARUS. Ich danke schönstens. Wenn der Prinz von dir einen Buben bekommt, so soll er mir gehören. Sei dem Prinzen treu; wenn er wankelmütig wird, so halte dich an mich.
TROILUS. Ihr kennt nun Eure Bürgen: Eures Oheims Wort und meine feste Treue.
PANDARUS. Nun, ich will auch für sie gut sagen. Die Mädchen aus unsrer Verwandtschaft wollen lange gebeten sein; aber, einmal gewonnen, sind sie standhaft: rechte Kletten, sag' ich Euch, sie bleiben haften, wo man sie hinwirft.
CRESSIDA. Kühnheit kommt nun zu mir und macht mir Mut:
Prinz Troilus! Euch liebt' ich Tag und Nacht,
Seit manchem langen Mond.
TROILUS.
Wie warst du mir so schwer denn zu gewinnen?
CRESSIDA.
Schwer nur zum Schein; doch war ich schon gewonnen
Vom ersten Blick, der jemals, – o verzeiht!
Sag' ich zu viel, so spielt Ihr den Tyrannen.
Ich lieb' Euch nun; doch nicht bis jetzt so viel,
Daß ich's nicht zähmen kann – doch nein, ich lüge:
Mein Sehnen war wie ein verzognes Kind
Der Mutter Zucht entwachsen. Oh, wir Ärmsten!
Was plaudr' ich da? Wer bleibt uns wohl getreu,
Wenn wir uns selbst so unverschwiegen sind?
So sehr ich liebte, warb ich nicht um Euch,
Und doch fürwahr wünscht' ich ein Mann zu sein,
Oder daß wir der Männer Vorrecht hätten,
Zuerst zu sprechen. Liebster, heiß' mich still sein!
Sonst im Entzücken red' ich ganz gewiß,
Was mich dereinst gereut. O sieh, dein Schweigen,
So schlau verstummend, lockt aus meiner Schwachheit
Die innersten Gedanken: schließ' den Mund mir!
TROILUS.
Gern! Tönt er auch die süßeste Musik.
Er küßt sie.
PANDARUS.
Recht artig! Meiner Treu![58]
CRESSIDA.
Mein Prinz, ich bitt' Euch sehr, entschuldigt mich;
Nicht wollt' ich so mir einen Kuß erbetteln.
Ich bin beschämt, – o Himmel! Was begann ich?
Für diesmal muß ich Abschied nehmen, Prinz.
TROILUS. Abschied, mein süßes Mädchen?
PANDARUS. Abschied? Nun ja, ihr mögt bis morgen früh Abschied nehmen –
CRESSIDA.
Laßt's nun genug sein –
TROILUS.
Was erzürnt dich, Liebste?
CRESSIDA.
Mein eignes Hiersein, Prinz.
TROILUS.
Ihr könnt Euch selbst
Doch nicht entfliehn?
CRESSIDA.
Laßt mich, daß ich's versuche.
Zwar, eine Art von meinem Selbst bleibt hier,
Doch ein Unart'ges, das sich selbst verläßt,
Als deine Törin. Oh, wo blieb mein Sinn?
Ich möchte gehn, – ich sprech', ich weiß nicht was.
TROILUS.
Wer so verständig spricht, weiß, was er spricht.
CRESSIDA.
Vielleicht, mein Prinz, zeig' ich mehr List als Liebe
Und sprach so dreist ein frei Geständnis aus,
Mir Euer Herz zu fahn. Doch Ihr seid weise,
Oder liebt nicht; denn weise sein und lieben
Vermag kein Mensch; nur Götter können's üben.
TROILUS.
Oh, daß ich glaubt', es könne je ein Weib
(Und wenn sie's kann, glaub' ich's zuerst von Euch)
Für ewig nähren Liebesflamm' und Glut,
In Kraft und Jugend ihre Treu' bewahren,
Die Schönheit überdauernd durch ein Herz,
Das frisch erblüht, ob auch das Blut uns altert!
Daß nur die Überzeugung mir erstarkte,
Ihr könntet meine Treu' und Innigkeit
Erwidern mit dem gleichgefüllten Maß
Der reinen, ungetrübten Herzensneigung:
Wie würde mich's erheben! Aber, ach!
Ich bin so wahrhaft, wie der Wahrheit Einfalt,
So einfach, wie die Wahrheit spricht im Kinde.
CRESSIDA.
Den Wettkampf nehm' ich an.[59]
TROILUS.
O hold Gefecht,
Wenn Recht um Sieg und Vorrang ficht mit Recht!
Treuliebende in Zukunft werden schwören
Und ihre Treu' mit Troilus versiegeln:
Und wenn dem Vers voll Schwür' und schwülst'gen Bildern
Ein Gleichnis fehlt, der oft gebrauchten müde,
Als – treu wie Stahl, wie Sonnenschein dem Tag,
Pflanzen dem Mond, das Täubchen seinem Täuber,
Dem Zentrum Erde, Eisen dem Magnet,
Dann, nach so viel Vergleichungen der Treu',
Wird als der Treue höchstes Musterbild
»So treu wie Troilus« den Vers noch krönen
Und weihn das Lied.
CRESSIDA.
Prophetisch sei dies Wort!
Werd' ich dir falsch, untreu nur um ein Haar, –
Wenn Zeit gealtert und sich selbst vergaß,
Wenn Regen Trojas Mauern aufgelöst,
Blindes Vergessen Städte eingeschlungen,
Und mächt'ge Reiche spurlos sind zermalmt
Ins staub'ge Nichts: – auch dann noch mög' Erinn'rung,
Spricht man von falschen, ungetreuen Mädchen,
Schmähn meine Falschheit: sagten sie, so falsch
Wie Luft, wie Wasser, Wind und lockrer Sand,
Wie Fuchs dem Lamm, wie Wolf dem jungen Kalbe,
Panther dem Reh, Stiefmutter ihrem Sohn,
Ja, schließ' es dann und treff' ins Herz der Falschheit:
»So falsch wie Cressida!«
PANDARUS. Wohlan, der Handel ist geschlossen; das Siegel drauf, das Siegel drauf, ich will Zeuge sein. Hier fass' ich Eure Hand, hier die meiner Nichte; wenn ihr je einander untreu werdet, die ich mit so viel Mühe zusammengebracht habe, so mögen alle armen Liebesvermittler bis an der Welt Ende nach meinem Namen Pandarus heißen; alle unbeständigen Liebhaber soll man Troilus nennen, alle falschen Mädchen Cressida, und alle Zwischenträger Pandarus. Sagt Amen!
TROILUS. Amen!
CRESSIDA. Amen![60]
PANDARUS. Amen! Und somit will ich euch eine Kammer und ein Bett nachweisen: und damit das Bett euer artiges Liebeständeln nicht ausschwatze, drückt es tot! Nun fort! – Und Amor gönn' auch hier allen schweigsamen Kindern 'nen Pandar, Bett und Kammer, um ihre Not zu lindern.
Sie gehn ab.
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Troilus und Cressida
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