[215] Eine Straße.
Es treten auf Lucio und zwei Edelleute.
LUCIO. Wenn sich der Herzog und die andern Herzoge nicht mit dem König von Ungarn vergleichen, nun, so fallen alle Herzoge über den König her.[215]
ERSTER EDELMANN. Der Himmel gebe uns seinen Frieden, aber nicht des Königs von Ungarn Frieden! –
ZWEITER EDELMANN. Amen!
LUCIO. Du sprichst dein Schlußgebet wie der gottselige Seeräuber, der mit den zehn Geboten zu Schiff ging, das eine aber aus der Tafel auskratzte.
ZWEITER EDELMANN. »Du sollst nicht stehlen?«
LUCIO. Ja, das schabte er aus.
ERSTER EDELMANN. Nun, das war ja auch ein Gebot, das dem Kapitän und seinem ganzen Haufen gebot, ihren Beruf aufzugeben: sie hatten sich eingeschifft, um zu stehlen. Da ist keiner von uns Soldaten, dem beim Tischgebet vor der Mahlzeit die Bitte um Frieden recht gefiele.
ZWEITER EDELMANN. Ich habe noch keinen gehört, dem sie mißfallen hätte.
LUCIO. Das will ich dir glauben! Denn ich denke, du bist nie dabei gewesen, wo ein Gratias gesprochen ward.
ZWEITER EDELMANN. Nicht? Ein dutzendmal wenigstens! –
ERSTER EDELMANN. Wie hast du's denn gehört? In Versen?
ZWEITER EDELMANN. In allen Silbenmaßen und Sprachen!
ERSTER EDELMANN. Und wohl auch in allen Konfessionen? –
LUCIO. Warum nicht? Gratias ist Gratias, aller Kontrovers zum Trotz, so wie du, Exempli gratia, ein durchtriebener Schelm bist, und mehr von den Grazien weißt als vom Gratias.
ERSTER EDELMANN. Schon gut; wir sind wohl beide über einen Kamm geschoren.
LUCIO. Recht, wie Samt und Egge; du bist die Egge.
ERSTER EDELMANN. Und du der Samt; du bist ein schönes Stück Samt, von der dreimal geschornen Sorte. Ich will viel lieber die Egge von einem Stück englischen haarichten Fries sein, als ein Samt, über den eine französische Schere gekommen ist. Habe ich dich nun einmal recht herzhaft geschoren?
LUCIO. Nein, ich denke, du hast diese Schere schon recht schmerzhaft verschworen, und ich will nach deinem eignen Geständnis deine Gesundheit aus bringen lernen, aber, solange ich lebe, vergessen, nach dir zu trinken.[216]
ERSTER EDELMANN. Ich habe mir wohl eben selbst zu nahe getan; habe ich nicht?
ZWEITER EDELMANN. Das hast du auch, du magst dich verbrannt haben oder nicht.
LUCIO. Seht nur, kommt da nicht unsre Frau Minnetrost? Ich habe mir Krankheiten unter ihrem Dach geholt, die kosten mich –
ZWEITER EDELMANN. Wie viel?
ERSTER EDELMANN. Ratet nur! –
ZWEITER EDELMANN. Er wird Euch nicht gestehn, wieviel Mark sie ihm jährlich kosten.
ERSTER EDELMANN. Recht, und überdem noch –
LUCIO. Ein paar französische Kronen! –
ERSTER EDELMANN. Immer willst du mir Krankheiten andichten; aber du steckst im Irrtum, ich habe mir nichts geholt.
LUCIO. Und doch bist du hohl durch und durch; deine Knochen sind hohl, die Ruchlosigkeit hat in dir geschwelgt.
Eine Kupplerin kommt.
ERSTER EDELMANN. Nun, wie geht's? An welcher von deinen Hüften hast du jetzt die gründlichste Sciatica?
KUPPLERIN. Schon gut! Eben wird einer verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, der war mehr wert als fünftausend solche wie Ihr.
ERSTER EDELMANN. Wer denn, sagt doch?
KUPPLERIN. Zum Henker, Herr, Claudio ist's, Signor Claudio!
ERSTER EDELMANN. Claudio im Gefängnis? Nicht möglich!
KUPPLERIN. Ich sage Euch, es ist gewiß; ich sah ihn verhaftet, ich sah ihn weggeführt; und was noch mehr ist, binnen drei Tagen soll ihm der Kopf abgehauen werden.
LUCIO. Nun, trotz allen Torheiten von eben, das sollte mir leid sein. Weißt du's denn gewiß?
KUPPLERIN. Nur zu gewiß; es geschieht, weil Fräulein Julia schwanger von ihm ward.
LUCIO. Glaubt mir, es ist nicht unmöglich. Er versprach mir, mich vor zwei Stunden zu treffen, und er war immer pünktlich im Worthalten.[217]
ZWEITER EDELMANN. Dazu kommt, daß es ganz mit dem übereinstimmt, wovon wir zusammen sprachen.
ERSTER EDELMANN. Und am meisten mit dem letzten öffentlichen Ausruf.
LUCIO. Kommt, hören wir, was an der Sache ist.
Lucio und die Edelleute gehn ab.
KUPPLERIN. So bringen mich denn teils der Krieg und teils das Schwitzen, und teils der Galgen, und teils die Armut um alle meine Kunden. Nun? Was bringst du mir Neues?
Pompejus kommt.
POMPEJUS. Den haben sie jetzt eben eingesteckt! –
KUPPLERIN. Und was hat er vorgehabt?
POMPEJUS. Ein Mädchen.
KUPPLERIN. Ich meine, was hat er begangen?
POMPEJUS. In einem fremden Bach Forellen gefischt.
KUPPLERIN. Wie? Hat ein Mädchen ein Kind von ihm?
POMPEJUS. Nein, aber es hat eine Weibsperson ein Mädchen von ihm. Habt Ihr nicht von dem Ausruf gehört? He?
KUPPLERIN. Was für ein Ausruf, Mann?
POMPEJUS. Alle Häuser in den Vorstädten von Wien sollen eingerissen werden.
KUPPLERIN. Und was soll aus denen in der Stadt werden?
POMPEJUS. Die sollen zur Saat stehen bleiben; sie wären auch drauf gegangen, aber ein wohlweiser Bürger hat sich für sie verwendet.
KUPPLERIN. Sollen denn alle unsre Gast- und Schenkhäuser in der Vorstadt eingerissen werden?
POMPEJUS. Bis auf den Grund, Frau.
KUPPLERIN. Nun, das heiß' ich eine Veränderung im Staat! Was soll nun aus mir werden? –
POMPEJUS. Ei, fürchtet Ihr nichts; guten Advokaten fehlt es nicht an Klienten. Wenn Ihr schon Euer Quartier ändert, braucht Ihr darum nicht Euer Gewerbe zu ändern; ich bleibe noch immer Euer Zapfer. Mut gefaßt! Mit Euch wird man's so genau nicht nehmen; Ihr habt Eure Augen in Euerm[218] Beruf fast aufgebraucht; über Euch werden sie schon ein Auge zudrücken.
KUPPLERIN. Was soll nun werden, Zapfer Thomas? Laß uns auf die Seite gehn.
POMPEJUS. Hier kommt Signor Claudio, den der Schließer ins Gefängnis führt, und da ist auch Fräulein Julia.
Gehn ab.
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